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nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 29
56. Jahrgang | September
Deutscher
Tonkünstler Verband
Lampenfieber bei Musikern
Neuerscheinung in der Reihe „Musikpädagogische Impulse“
Im Musikverlag Burkhard Muth kürzlich erschienen, stellt
die Publikation von Claudia Kopitzki „Lampenfieber bei Musikern – Umgangs-
und Präventionsmöglichkeiten“ einen wichtigen Beitrag
zu dieser alltäglichen und doch zu wenig ernstgenommenen Problematik
dar.
Auf über 140 Seiten werden alle positiven und negativen Aspekte
der Künstlerproblematik untersucht und ein ausführliches
Literaturverzeichnis sowie ein Anhang mit Internetquellen komplettieren
die umfassende Studie.
Claudia Kopitzki: „Ausgangspunkt der Überlegungen war
die Doppelbödigkeit des Begriffes Lampenfieber als einer Erscheinung,
die sowohl inspirierend als auch blockierend wirken kann. Nach
einer Darstellung von Indikatoren von Lampenfieber (körperliches
Ausdrucksverhalten, vegetative Erscheinung, Depersonalisierung,
kognitive Erscheinungsbilder, externe Variablen) wurde dieses in
einen allgemein-biologischen Zusammenhang gestellt. Dabei ging
es neben einer Abgrenzung zur Furcht auch um Angst in ihren verschiedenen
Spielarten, um die lebenserhaltende Funktion als uralte Alarmbereitschaft
bis hin zu deren Entgleisung in Form einer Angststörung. Bei
der Prüfung der physiologischen Aspekte des Lampenfiebers
wurde durch die Unterscheidung zwischen physiologischen und dysfunktionalem
Lampenfieber die begriffliche Analyse bestätigt.“ (Kopitzki
S. 128)
Die weiteren Ausführungen zeigen die körperlichen Auswirkungen
von Lampenfieber auf, an die sich aufgrund der schwer zu ziehenden
Trennung zu psychologischen Reaktionen eine Betrachtung dieser
Aspekte anschließt. Im den ersten Teil abschließenden
Kapitel „Soziokulturelle und pädagogische Faktoren“ stehen
grundlegende Überlegungen zur Persönlichkeit des Musikers
in seinen verschiedenen Facetten von seiner Biographie über
die berufliche Entwicklung bis zur Beziehung zur Kultur seiner
Zeit. Für eine weitere Analyse, wie sich persönlichkeitsimmanente
Eigenschaften auf das Problem auswirken, ist der Zusammenhang von
Lampenfieber und Narzissmus interessant.
Im zweiten Kapitel geht es um verschiedene Untersuchungen zum
Thema Lampenfieber. Kopitzki fand heraus, dass etliche in der Literatur
zu findende Aspekte durch empirische Untersuchungen bestätigt
werden konnten. Als wesentliches Ergebnis ist hier die herausragende
Rolle all der Gesichtspunkte festzuhalten, die die Vorbereitung
betreffen, während den situativen Faktoren des Lampenfiebers
eher die Rolle zukommt, Mängel zu katalysieren.
Hieraus ergibt sich die im 3. Kapitel dargestellte Maßnahme
für die Bewältigung dysfunktionalen Lampenfiebers fast
zwangsläufig. Ausgehend von grundsätzlichen Überlegungen
zu einer verbesserten Übemethodik, in der Gedächtnisleistung
und -struktur eine besondere Rolle spielt, führt diese
Thematik zum Kapitel „Umgang mit Fehlern“. Überlegungen
zum antizipierenden Umgang mit der Konzertsituation und die Methode
des mentalen Trainings runden als imaginative Vorgehensweise den
musikimmanent-inhaltlichen Teil ab.
Für die Problembewältigung werden mit dem autogenen Training,
der Alexandertechnik sowie der Feldenkrais-Methode exemplarisch
die derzeit wohl bekanntesten Entspannungstechniken vorgestellt.
Außer der Bewältigung des Lampenfiebers bieten sie Abhilfe
bei vielerlei Verspannungen und Beschwerden und führen zu
einer höheren Körperwahrnehmung. Dies kann den Umgang
des Musikers mit sich selbst und mit seinem Instrument positiv
fördern.
Zu den bekannten Entspannungstechniken gehört auch die „progressive
Muskelentspannung“ nach Jacobsen, die hier in den Kontext
verhaltenstherapeutischer Maßnahmen gestellt wird. Abschließend
wird deutlich auf die Verantwortung der Musiklehrer hingewiesen,
die im Umgang mit Vorspielsituationen eine besondere Rolle spielt.
Auch eine stärkere Einbindung der Musikphysiologie in die
Musikausbildung wird vorgeschlagen, da ein unzureichender Umgang
mit den Instrumenten und dem eigenen Körper beim Üben
und Musizieren zu Schäden führen kann und damit auch
bis zur Berufsunfähigkeit eines Musikers.
Die kognitiven Erscheinungsbilder sind im Alltag des Musikers
am bekanntesten:
Negative Gedanken wie „ich versage“, „das schaffe
ich nicht“, „ich werde alles vergessen“ kennt
jeder Prüfling. Diese kognitiven Erscheinungsbilder lösen
ein Gefühl aus: „als seien alle sorgfältig geprobten
Stellen ausgelöscht und als sei die Kontrolle über die
eigenen gestalterischen Fähigkeiten, einschließlich
des Gedächtnisses, der Wahrnehmung und der Bewegung nicht
mehr voll verfügbar.“ (Kopitzki S. 17)
Dass diese Angststörung keine neue Erscheinung unseres schnelllebigen
Stressalltags ist, zeigt ein Text der Dichterin Sappho aus dem
Jahr 600 vor Chr.: ... Das hat mir starr gemacht das Herz in der
Brust vor Schrecken, Schon ein Blick auf dich, und es kommt kein
Laut mehr aus meiner Kehle, Ach, die Zunge ist mir gelähmt,
ein zartes Feuer rieselt unter der Haut mir plötzlich, Nichts
vermag mein Auge zu sehen, ein Rauschen braust in meinen Ohren.
Und der Schweiß rinnt nieder an mir, das Zittern packt mich
ganz, Noch fahler als Gras des Feldes bin ich; wenig fehlt und
in tiefer Ohnmacht schein’ ich gestorben.“ (Kopitzki
S. 21)
Interessant ist zuzsätzlich ein Kapitel des Verlegers Burkhard
Muth (Musikpädagoge und M.A.) über die Herleitung des
Begriffs Lampenfieber.
„
Aus etymologischer Sicht dürfte für den deutschen Sprachraum
das Kanonenfieber im Sinne von Aufregung vor der Schlacht als Vorläufer
anzusehen sein, wobei das französische „fiévre
de la rampe“ (Rampenfieber) möglicherweise mit hineinspielte.
Demnach „fieberte“ schon der Soldat der Schlacht entgegen, ähnlich
wie heute der Musiker seinem Auftritt oder der Bühne (Rampe)
entgegenfiebert. Der Wortbestandteil „Lampen“ ist im
Sinne der Bühnenbeleuchtung zu verstehen, stammt also aus
der Welt des Theaters. Aus etymologischer Sicht ist der Begriff
also eher mit einer Art Vorfreude oder Erwartungsspannung verbunden – mehr
nicht. Erst später also wandelt sich der Begriff zum negativen
Angstzustand.
Dieses Buch von Claudia Kopitzki ist sehr umfassend und umsichtig
geschrieben, indem es tatsächlich alle Bereiche rund um das
Thema „Lampenfieber“ abdeckt. Eine Publikation, die
für Musiker und Musiklehrer von höchstem Interesse sein
dürfte.
Adelheid Krause-Pichler
Claudia Kopitzki: „Lampenfieber bei Musikern. Musikpädagogische
Impulse“, hrsg. von P. Ackermann und
U. Mazurowicz, Musikverlag Burkhard Muth, ISBN 978-3-929379-14-3 www.muth-verlag.de