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nmz-archiv
nmz 2002/05 | Seite 34
51. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Meilenstein europäischer Festival-Kultur
Das Ludwig-van-Beethoven-Osterfestival in Krakau 2002
Anfang April ging in Krakau das 6. Ludwig-van-Beethoven-Osterfestival zu Ende. Neben den gleichzeitig laufenden
Veranstaltungen in Salzburg und Luzern zählt das noch relativ junge polnische Festival bereits zu den renommiertesten
seiner Art in Europa. Resultat eines Konzeptes, das nicht mit beliebiger Programmatik aufwartet oder ausschließlich
auf internationale Staraufgebote setzt, sondern das Inhalte sinnvoll bündelt und auch polnische Künstler
respektive Orchester einbezieht.
Gegenwart von Geschichte: Das Mittelalter, die Renaissance, die österreichisch-ungarische Monarchie
in Krakau atmet das Vergangene. Tausend Jahre polnischer und europäischer Kultur fügen sich hier organisch
zu einem einmaligen Gebilde, das Historie und zeitgemäße Urbanität zu integrieren weiß.
Krakau, ein Ort mit Genius Loci, ein Ort wie geschaffen also für kulturelle Events und wie kaum ein zweiter
mithin prädestiniert, auch der so genannten Ernsten Musik ein breiteres Forum zu schaffen, eine Plattform,
die das Genre über die konventionellen Konzertangebote hinaus zu präsentieren vermag.
Krzysztof Penderecki dirigierte Dvoráks Stabat Mater.
Foto: Osterfestival
Mit dem Ludwig-van-Beethoven-Osterfestival scheint dieses Vakuum auf längere Sicht beseitigt
worden zu sein. 1997 von Elzbieta Penderecka ins Leben gerufen, avancierte die Veranstaltung seither kontinuierlich
zu einem der renommiertesten kulturellen Ereignisse des Landes. Dabei setzt das Erfolgsrezept der künstlerischen
Leiterin neben schlüssigen dramaturgischen Konzepten auch auf Synergien, beispielsweise Ambiente und Aura
der Stadt; denn sie eröffnen der Musik dank zahlreicher originärer Veranstaltungsorte eine einmalige
Ausgangslage. Doch trotz den nahezu perfekten Rahmenbedinungen sind auch in Krakau Mut, Passion, Engagement,
ja Enthusiasmus gefragt, denn um ein Festival von Jahr zu Jahr professionell und auf hohem künstlerischen
Niveau neu zu positionieren, bedarf es neben einer funktionierenden organisatorischen Infrastruktur vor allem
ausreichender finanzieller Ressourcen. In diesem Zusammenhang waren bislang in erster Linie Sponsoren gefragt,
da Stadt und Land nur gut die Hälfte des Gesamtbedarfs beisteuerten. Ob die staatliche beziehungsweise
kommunale Unterstützung in Zukunft deutlicher ausfällt, dürfte nicht zuletzt von der Erkenntnis
über Nutzen und Botschaft eines Festivals abhängen, das bereits heute nicht nur identitätsstiftend
wirkt und Brücken nach (West-)Europa schlägt, sondern das ebenso den hohen Standard polnischer Kultur
widerspiegelt.
Zwölf Konzerte in acht Tagen: Auch in diesem Jahr konnte, wer Stehvermögen mitbrachte, an einer
Parforce-Tour künstlerischer Superlative teilhaben, an einem dicht gestrickten, breit gefächerten
Programm, das in gewohnter Manier Populäres mit Unbekanntem oder selten Aufgeführtem zu verbinden
wusste. Desgleichen überzeugte auch die gut balancierte Auswahl der Solisten und Orchester; so standen
jüngeren Musikern wie den Klaviervirtuosen Markus Groh, Sa Chen oder Julia Zilberquit international renommierte
Musiker vom Rang Boris Pergamenschikows, Rudolf Buchbinders, Renate Behles, Andreas Schmidts, Yuri Bashmets
oder Barry Douglas gegenüber, ebenso wie polnische Spitzenorchester (Polish National Radio Symphony
Orchestra, Sinfonietta Cracovia, Sinfonia Varsovia) internationalen Ensembles (Moscow Soloists, Lithuanian National
Symphony Orchestra, Ensemble Wien-Berlin) begegneten. Dass in solch ausgesuchtem Künstler-Tableau die jüngere
Musikergeneration nicht unbedingt im Abseits stehen muss, zeigte, am Auftakt-Abend, beispielhaft die 23-jährige
chinesische Pianistin Sa Chen. Sicher, vor allem aber detailorientiert, begleitet vom Nationalen Polnischen
Radio-Sinfonie-Orchester unter Gabriel Chmura (schwebende Streicher, subtil artikulierte Bläser) gestaltete
Chen Chopins e-Moll Konzert op. 11 aus dem Geist der Romantik gleichermaßen virtuos wie zerbrechlich.
Von durchaus ähnlich ätherisch-luzidem Format die Lesarten des Duos Boris Pergamenschikow/Markus Groh.
Singend, jeder Nuance nachspürend vermochten die äußerst homogen agierenden Partner
mit einem Beethoven-, Schubert-, Schumann- und Chopinprogramm am zweiten Abend einen vorzeitigen Höhepunkt
zu markieren. Intensität, Hermetik, Authentizität, drei Stichworte, die über der Aufführung
sämtlicher Beethoven-Klavierkonzerte zur Halbzeit des Festivals zu schweben schienen. Dass Kraftakte wie
diese auch Magie zeitigen können, bewies der Wiener Pianist Rudolf Buchbinder. Mit der Doppelrolle als
Solist und Dirigent sichtlich und hörbar vertraut, zelebrierte der Beethoven-Spezialist eine zwar der Kammerperspektive
entlehnte, dennoch zugespitzte, expressive Deutung der fünf Konzerte. Eine flexibel aufspielende, dem Solisten
nachhorchende Sinfonietta Cracovia schuf die Basis für einen der größten Publikumserfolge des
Festivals.
Eher verhalteneren Tönen verpflichtet, dennoch von außerordentlicher Spannung und sublimer Energie
getragen die Auftritte des Pianisten Nelson Goerner (Chopin-Balladen), des Baritons Andreas Schmidt (Schubert,
Winterreise) und der Moscow Soloists unter der Leitung Yuri Bashmets (u.a. Der Tod und das Mädchen
in der Bearbeitung Gustav Mahlers). Jenseits der inneren Festivalprogrammatik dann das Karfreitagskonzert,
traditionell, dem Anlaß entsprechend, mit einem geistlichen Werk: Dvoráks Stabat Mater
von 1877. Krzysztof Penderecki der Komponist ebenfalls traditionell mit einem Festival-Dirigat vertreten
wählte das dunkel gestimmte Werk nicht zuletzt als Reminiszenz an eine geplante, aber nicht-realisierte
Krakauer Aufführung am Karfreitag des Jahres 1881. Am Pult der Sinfonia Varsovia, mit dem Philharmonischen
Chor Krakau und blendend aufgelegten Solisten wie der Sopranistin Renate Behle oder dem Bass Radoslaw Zukowski,
wusste Penderecki das komplexe Gefüge der Partitur sicher und detailgenau auszuleuchten. Beifall am Ende
für eine ungemein organische Deutung eines Werkes von seltener introvertierter Schönheit.
Zum erwarteten Höhepunkt des Festivals fand sich am Abschlusstag eine Formation um den Bratscher Yuri
Bashmet und den Pianisten Barry Douglas zusammen. Nach Beethovens Trio B-Dur op. 11 (Barry Douglas, Michel Lethiec,
Arto Noras) und Schuberts Forellenquintett (Chee-Yun, Yuri Bashmet, Arto Noras, Jerzy Dybal, Barry
Douglas) stand die polnische Erstaufführung von Pendereckis Sextett auf dem Programm. Das formal ungewöhnliche
Werk, ein in allen Belangen originärer Kosmos, ein Zwiegespräch unterschiedlicher Charaktere, rhythmisch
verdichtet inspirierte das frei zusammengestellte Ensemble zu Höchstleistungen.
Einen nicht unerheblichen Teil zum Erfolg des Festivals trugen auch in diesem Jahr die beiden Rahmenveranstaltungen
bei. Während die Autografenschau in der Jagiellonen-Bibliothek dem Motto gemäß mit Originalmanuskripten
von Beethoven, Schubert und Chopin hunderte von Besuchern in ihren Bann zog, konnte das zweitägige
Beethoven-Symposium die Arbeit der vergangenen Jahre fortsetzen und gewonnene Erkenntnisse vertiefen. Für
die zahlreich angereisten Wissenschaftler lag der Reiz des Symposiums einmal mehr im Austausch der unterschiedlichen
Erfahrungen in Ost- und Westeuropa. So wurden neueste Forschungsergebnisse nicht nur benannt, sondern in einem
sehr offenen Gesprächsklima auch anregend und kontrovers diskutiert.