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nmz-archiv
nmz 2002/05 | Seite 33-34
51. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Die Macht des Geldes
Kurt-Weill-Fest Dessau im zehnten Jahr
Entgegen seiner landläufigen Einschätzung als gut konsumierbarer Songschreiber kann Kurt Weill immer
noch provozieren. Er saß noch nie im Elfenbeinturm, und die Wirksamkeit seiner Kunst war ihm wichtiger
als eine abgehobene Qualität seiner Kunst selbst. Diese Erkenntnis vermittelt das ihm gewidmete
jährliche Fest in Dessau von Mal zu Mal überzeugender. Aber man konnte zum zehnjährigen Bestehen,
übrigens zum letzten Mal in der Handschrift des künstlerischen Leiters Andreas Altenhof, nur ein kleines
Jubiläum feiern, dem Rotstift in öffentlichen Händen seis geklagt.
So fehlte diesmal einiges an Nachwuchspflege und nicht-professionellen Aktivitäten, was bisher zukunftsträchtige
Substanz des Festivals ausgemacht hatte: der Lotte-Lenya-Gesangswettbewerb wird aufgrund seiner geplanten internationalen
Ausrichtung künftig alle zwei Jahre stattfinden; die Anhaltische Musiktheaterwerkstatt, in der letztes
Jahr Jugendliche aus Musikschulen der Region mit dem Musical Rote Socken mit eigener künstlerischer
Realitätsverarbeitung für Zündstoff gesorgt hatten, kämpft derzeit um ihr Überleben.
Umso bemerkenswerter die Eckpfeiler des Programms, zum Teil große künstlerische Leistung und von
erstaunlich aktueller politischer Aussage. Krieg und Frieden thematisieren sowohl Weills letztes in Deutschland
verfasstes Werk, die Oper Die Bürgschaft, wie auch Johnny Johnson, erfolgreicher
Musical-Einstand in der neuen Heimat USA, dies jedoch mit gänzlich verschiedenen, dem jeweiligen Umfeld
angepassten Stilmitteln. Klarer kann sich der typus theatralis (Stephen Hinton), dem die konkret
bezogene Verständigung mit seinem Publikum wichtiger ist als ein übergreifender, musikgeschichtlich
klassifizierbarer Personalstil, nicht zeigen. Dabei hat sich das Verständnis vom Weillschen
Tonfall nicht zuletzt dank der Dessauer Aktivitäten schon erheblich geweitet: Dem Publikum dämmert
so langsam, dass sich neben dem ironisch pointierten Dreigroschen-Songstil auch seriöse,
zeitgenössisch-traditionell changierende Satztechniken und unverstellt sentimentales, populäres Melos
zu doppelbödiger Einheit verbinden können. Jüdischer Verdi wurde Weill ja auch einmal
genannt. Er konnte eben alles, schlüpfte wie ein Chamäleon in die jeweils passende musikalische Haut.
Szene aus Die Bürgschaft: visionärer Kulturpessimismus
in Form der großen Oper. Foto: Boris Geilert/GAFF-Fotoarchiv
Kein Songspiel, kein Lehrstück, die bürgerliche Form der großen Oper musste es sein, um das
Heraufziehen der finstersten Zeiten 1932 vorwegnehmend zu kommentieren. Mit der Bürgschaft
zeigen Weill und sein Librettist Caspar Neher, Ausstatter des Welterfolgs Dreigroschenoper, wie
die Macht des Geldes alle Regeln der Menschlichkeit außer Kraft setzt und zur Umwertung aller Werte führt.
Schillers Hohelied der Freundschaft erfährt so eine tief pessimistische Deutung. Nicht nur marxistische
Sentenzen untermauern sie, sondern ebenso Zitate des römischen Philosophen Seneca, biblische Symbole, Parabeln
des Volkssängers Johann Gottlieb Herder, die wiederum in den Proben Rabbinischer Weisheit
des Moses Mendelssohn, wie Weill aus Dessau gebürtig, wurzeln kurz, ein vielschichtig geknüpftes
Beziehungsnetz, das der Komponist geradezu zum Pasticcio nach barockem Vorbild ausweitete und als seinen Ring
des Nibelungen zum Gesamtkunstwerk erklärte.
Dem Gesetz des Geldes und der Macht gibt Jonathan Eaton in seiner bereits dritten Inszenierung
des Werkes er brachte es beim Spoleto-Festival zur Weill-Jahrhundertfeier zur amerikanischen Erstaufführung
und auch 1998 in Bielefeld erstmals seit 40 Jahren wieder auf eine deutsche Bühne ein frappierend
aktuelles Gesicht, indem er von seiner Allgemeingültigkeit überzeugt. Eine Bürgschaft, wie sie
der Getreidehändler David Orth für seinen besten Kunden Johann Mattes abgibt, ist für den Regisseur
wichtige Grundlage ziviler Gesellschaften. Doch die Idylle trägt den Keim des Untergangs in sich. Denn
es ändert sich nicht der Mensch; es sind die Verhältnisse, die seine Haltung verändern
dieser ostinatohafte Kommentar eines kleinen Chores von grünlichen Elendsgestalten mit
blutroten Händen übernimmt die Funktion des Chorals der Bachschen Passionen. Wo Weill/Neher
brechtischer sind als Brecht, von dem sie sich doch emanzipieren wollten, setzt Eaton die Verantwortlichkeit
des Einzelnen dagegen: Der Nebel ist es, der ihn im Strudel sich umschichtender Machtverhältnisse scheitern
lässt, Bild sowohl für Naturzerstörung als auch für zwischenmenschliche Unaufrichtigkeit.
So stürzen Danila Korogodskys an Symbolen und Farbstilisierungen schier überquellende Märchenbilder
in ein albtraumhaftes Gewalt-Szenario. Das wiederum immer rechtzeitig gebrochen wird durch die köstlichen
Drei, ein in Trivialrhythmen schwelgendes Schurkentrio in den wechselnden Masken von Geschäftsmann,
Günstling und Ganove. Ihm gehört der attraktiv-ironische, doch auch grobe Songstil, während der
Chor sich in barocker Polyphonie, das Solistenensemble in eher romantischem Melos ergeht. Wie der junge GMD
Golo Berg diese divergenten Fäden zusammenhält, die Anhaltische Philharmonie und die Sänger zu
nuancenreicher Präzision anfeuert, hörbare Spiellust sich in differenzierte sichtbare Aktion umsetzt,
das ist eine der ganz großen Theaterleistungen.
Während Neher 1958 an der Städtischen Oper Berlin eine entschärfte Neuinszenierung
herausbrachte, bestach in Dessau der Mut zur realistischen und doch fantasiegeschärften Auseinandersetzung
mit brennenden Problemen.
Das wollte die Johnny Johnson-Coproduktion mit der Neuen Oper Wien und dem Frankfurter Kleist Forum
zweifellos auch. Seit dem 11. September liegen ja die Reibungsflächen und Gedankentrümmer nur so herum.
Dass Regisseur Dieter Berner die Geschichte vom naiven Pazifisten Johnny, der seiner Freundin zuliebe in den
Ersten Weltkrieg zieht, erschrockenen Ground Zero-Touristen vorspielen lassen möchte, ist noch eine passable
Idee. Doch wenn Johnny die Generäle mit Lachgas kurieren will oder im Irrenhaus der Völkerbund gegründet
wird, schleicht sich peinlich chargierender Wiener Schmäh ein. Auch Weills zündende Rhythmen und scharf-karge
Instrumentation lösen sich zuweilen in Schrammelmusik auf. Von Dramatik, gar ihrer ironischen Reflexion,
keine Spur. Dabei führt auch dieses vermeintlich leichte Stück eine ernste, nicht widerspruchsfreie
Auseinandersetzung um den Krieg, der alle anderen überflüssig machen soll, und enthält so prophetische
Preziosen wie etwa das Lied der Freiheitsstatue, die sich missbraucht fühlt und in düster-modalen
Tönen die zu erwartende Entvölkerung unseres Planeten beklagt.
Die beliebten Dinnershows, Dreigroschen-Workshops und Crossover-Aktivitäten diesmal mit Gitte
und Max Raabe sowie die Uraufführung des recht klischeehaften Schauspiels Lenya von
Michael Kunze, Autor des Musicals Elisabeth, vervollständigten nach dem Motto Es geht
auch anders, doch so geht es auch das Programm.
Nachdem Andreas Altenhof zur Neuköllner Oper in Berlin wechselte, plant sein Nachfolger Clemens Birnbaum
Konzentration und Ausweitung zugleich. Durchaus soll der Facettenreichtum des alten Festivalkonzepts erhalten
bleiben, der sich ebenso durch Weills Musik selbst wie durch ihre unterschiedlichen Interpretationen sparten-
und epochenübergreifend legitimiert. Ein Kompositionswettbewerb soll dies zukunftsweisend bekräftigen.
Zugleich will der Musikwissenschaftler und ehemalige Chefdramaturg der Musikfestspiele Dresden drohender Verzettelung
vorbeugen. So stellt er sich speziellere thematische Ausrichtungen vor, die Weill stärker in einen historischen,
aber auch gegenwärtigen Kontext eingebunden vermitteln. Einen Vorgeschmack darauf dürfte das Konzert
der Sopranistin Stefanie Wüst geboten haben: In einer geschickten Zusammenstellung von Songs, biografischen
Notizen und Briefzitaten zog die von Michael Nündel am Klavier begleitete Sängerin Verbindungslinien
zwischen Weill, Eisler und Stefan Wolpe, dessen 100. Geburtstag es in diesem Jahr zu feiern gilt.
Dass politische Kunst in der Novembergruppe, wo die drei Ende der 20er-Jahre zusammentrafen, etwas anderes
bedeutete als man es sich nach jahrzehntelanger Bevormundung gemeinhin vorstellt, nämlich Avantgardismus
auf inhaltlicher wie formeller Ebene, war ein Fazit dieser äußerst differenzierten Darbietung. Wie
jedoch ganz im Sinne von Dessaus größtem Sohn Kunst direkt in das aktuelle Umfeld einzugreifen vermag,
war beim Geburtstagsspektakel mit einem Gastspiel des Stelzentheaters Grotest Maaru zu erfahren:
Die seltsamen Figuren und ihre fremdartig-poetischen Pantomimen empfing der Ruf Juden raus, und
die Attacken eines glatzköpfigen Jugendlichen ließen sich nur durch Umarmungen abwehren: Küsst
die Faschisten, wo ihr sie trefft!