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nmz-archiv
nmz 2002/05 | Seite 47
51. Jahrgang | Mai
Dossier: Musik und nationale Identität
Globalisierungs-Bestreben zwischen Eigenart und Melange
Zur Geschichte und zur heutigen Situation des Musikschaffens in Korea
Wenn Sie in Korea in irgendeinen kleinen CD-Shop gehen (es gibt dort kaum größere) und traditionelle
Musik verlangen, echte alte koreanische Musik, dann kann es geschehen, dass man Ihnen ein Vierer-Set mit Korean
Lyric Songs zeigt, und gar nicht so teuer. Sie fragen nach, Sie kennen sich aus, können aber leider
gar nicht lesen, was auf dem Cover geschrieben steht: Richtig alte Musik? Gagok? Shijo? Kasa? Die alten
koreanischen Liedgattungen? Der Verkäufer bestätigt nachdrücklich, nennt sogar die Namen der
Begleitinstrumente: die Wölbbrettzithern Kayagum und Komungo mit ihrem dumpfen Klang, die summende
Flöte Taegum mit dem über ein zusätzliches Loch gelegten Bambusblatt, die schnarrende Bambusoboe
Piri und so weiter, und Sie greifen zu. Elf Flugstunden später legen Sie diese CDs in Ihren Player, und
heraus kommt: ein reichlich Brahmssches Orchesterlied, sehr getragen, mit Geigenschmalz und Oboentränen.
Allerdings in Koreanisch. Das nächste Lied ist ebenso getragen, aber es schimmert ein puccinesker Einfluss
durch das Modernste, das Sie in Ihrer Sammlung finden, mag eine getragene Chinoiserie sein, wie Ravel
sie hätte schreiben können.
Der Komponist Isang Yun überzeugt, überzeugend...
Natürlich sind Sie enttäuscht. Doch dies ist die heute immer noch recht beliebte Musik aus der Zeit
der ersten Adaption westlicher Musikkultur in Korea bis hinein in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Das erscheint
auf den ersten Blick als Reduktion: Was die Koreaner an der westlichen Klassik als erstes schätzten, der
schöne Klang, ist hier verbunden mit einigen äußerlichen formalen Eigenschaften
der alten Liedkunst. Künstlerisch befriedigend ist das freilich nicht.
Korea hat sich, anders als Japan, nicht früh und nicht gerne westlichen Einflüssen geöffnet.
In der kriegsstrategisch wichtigen Lage der Halbinsel zwischen Japan und China hatte das koreanische Volk in
seiner Zurückgezogenheit im Land der Morgenstille über Jahrhunderte immer wieder gegen
die Invasionsabsichten der Japaner zu kämpfen. Die Besetzung Koreas durch Japan von 1910 bis 1945 stellte
den brutalen Höhepunkt dar.
In dieser Zeit war die Pflege der koreanischen Kultur streng verboten. Die japanische Besatzung führte
auch das Ende der Yi-Dynastie herbei und damit eines feudalen konfuzianisch geprägten Staatswesens mit
seiner hierarchisch gestaffelten, aber in sich konsistenten Kultur. Musik hatte repräsentative, rituelle,
philosophische und geistliche (buddhistisch oder schamanistisch) Verpflichtungen. Die stilistisch verwandte
Musik des Bürgertums, zum Beispiel die meist solistisch mit leiser Trommel begleiteten Sanjos, konnte in
seiner Bedeutung mit unserer bürgerlichen Musik seit der Klassik nicht mithalten.
...und skeptisch. Fotos: Werner Panke
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Besatzung lag diese Kultur darnieder. Nur langsam wurde sie als
bedeutendes Kulturerbe entdeckt und vom Staat gefördert. Ihren alten gesellschaftskonstituierenden Rang
aber erhielt sie nie wieder. Als kultureller Hintergrund und als Basis des Klangempfindens jedoch ist sie allen
Musikschaffenden Koreas präsent.
Für die Neue Musik Koreas ist die Entwicklung des Komponisten Isang Yun geradezu paradigmatisch. Noch in
den 50er-Jahren hatte auch er jene rührselige West-Musik geschrieben. Sein Streichquartett, für das
er den Seouler Kunstpreis 1955 erhielt, weist einen gewissen asiatischen Einschlag auf, der ihn bereits als
koreanischen Bartók nur eben 40 Jahre verspätet auszeichnete. Mit dem Preisgeld konnte
er es sich leisten, ein Studium in Paris und Berlin zu beginnen. Er war damals bereits 39 Jahre alt.
In der alten Musik Koreas treten Melodik und vor allem Harmonik hinter eine vielschichtige Tongestaltung zurück.
Mit seiner Hauptklangtechnik, die direkt Bezug auf den rauhen Klang, das melismatische Vibrato und die sich
der Zeit enthebenden Schwebungen nimmt, hat Yun als erster die westliche Komposition koreanisiert und eine Musik
geschaffen, die aus der wahren Fülle seiner musikalischen Erfahrungen und Imagination erwuchs. In Reák
(1966) für Orchester zum Beispiel lassen sich alle Klanggestalten direkt auf Elemente der verschiedenen
Formen der altkoreanischen Hofmusik und die Behandlung ihrer Instrumente zurückführen. Gleichwohl
klingt das Werk, abgesehen vom Einsatz von Signalinstrumenten wie Peitsche und Klapper, wie die hochexpressive
Musik der Zeit, besonders, wenn es von nicht unbedingt mit der koreanischen Musik vertrauten westlichen Orchestern
gespielt wird. (siehe Aekyung Choi: Reák (1966), eine Analyse, in: Ssi-ol. Almanach 2000/01 der Internationalen
Isang Yun Gesellschaft e.V., Berlin 2002, S. 101 ff.). Ermutigt fühlte Yun sich damals, um 1960 herum,
von den Klangkompositionen Ligetis und Pendereckis einerseits, sowie von Messiaens und Boulez
Interesse an außereuropäischen Klängen und Rhythmen. Yun glaubte, die Zeit wäre reif für
die Emanzipation nationaler Traditionen in einer anerkanntermaßen eurozentrierten und globalisierten Musikkultur.
Während Yun, der aus politischen Gründen nicht nach Südkorea zurückkehren konnte, selber
die dort übliche stilistische Nachahmung als Lehrmethode strikt ablehnte und immer die eigene Kreativität
seiner Studenten zu entdecken half, machten es sich Sukhi Kang und andere im starren Universitätssystem
Koreas bequem und begründeten Schulen von Komponisten. Das war für die Weitergabe von
Kenntnissen in der traditionellen Musik vernünftig, wohl kaum aber für eine auf Fortschritt und Individualität
angelegte Musik. Der moderne koreanische Komponist schien sich so zu fühlen wie der antike Hofmusiker:
Er musste eine korrekte Musik abliefern, und dazu gehörte eben auch die meisterliche Einfügung koreanischer
Stilelemente.
Jedoch hat sich in den letzten Jahren, nachdem die Ableger des Yunschen Modells erlahmt sind und eine
neue, international ausgebildete Generation hervorgetreten ist, die innerkoreanische Diskussion belebt. Die
wird durchaus heftig betrieben. Von totaler Ablehnung traditioneller Stilelemente über das Komponieren
avantgardistischer Musik für alte Instrumente bis zur Übertragung alter Musik aufs westliche Orchester
geht das Spektrum. Man erregt sich über die Unkenntnis und das Desinteresse der ausschließlich westlich
geschulten Interpreten an der alten Musik, weil sie nicht in der Lage sind, sich im Labyrinth der Klangvorstellungen
der Komponisten zurechtzufinden. Dies ist auch das Hauptproblem bei der Verbreitung dieser Musik in die westliche
Welt, und es wäre eine Herausforderung, der sich die hiesigen Orchester und Veranstalter noch längst
nicht gestellt haben. Die Starrheit des koreanischen Neue-Musik-Lebens in Korea selbst ist dabei, sich zu lockern.
Abseits dieser Diskussionen aber tauchen Werke auf, wie von den Komponistinnen Yunkyung Lee und Mi-young Han,
in denen ohne bekenntnishafte Systematik, als ganz naturhaftes Musiziergefühl, Komplexität, Klänge
und Formen des alten Erbes aufleben, nicht mehr als musiksprachlicher Gegensatz, sondern als Faden im Gewebe.
Und erst hier wird an den von Isang Yun einst gesetzten, aber in Korea selbst bislang unerreichten Maßstab
angeknüpft.
Während in Korea die musikalische Vergangenheit meistens an der klanglichen Oberfläche zu finden
ist, verbirgt sich in der japanischen neuen Musik das alte Japan im Akt des Komponierens. Eine gelungene Kadenz
die Japaner, deren eigene Musik keine Harmonik kennt, lieben Kadenzen hat die Bedeutung einer
klanglichen Kalligrafie. Eine Schwebung ist eine zen-buddhistische Konzentrationsübung, nicht ein harmonisches
Experiment.
Sie haben die Invasion der westlichen Musikkultur mit einem erstaunlichen Judo-Griff in eine Assimilation ihrerseits
verkehrt. Nationale Identität in der Musik ist hier keine Frage des Kampfes mehr, sondern die Gewissheit
eines ruhigen Lächelns.
Noch glücklicher in den westlichen Musikgefilden aber segelt derzeit China mit eigenem Wind. Tan Dun
und Bright Sheng sind internationale Kompositionsstars. Ihre Musik ist die sinfonische Version der stark illustrativen
chinesischen Klassik, die mit ihrer anmutigen Melodik und dem hellen Klang ihrer Instrumente, aber auch mit
ihrem martialischen Getöse ohnehin keinen so übergroßen Abstand zum Westen hatte. Dabei ist
die Volksrepublik China noch lange nicht so infiltriert vom westlichen Kulturleben wie Japan und Korea.
Der Staat hält die traditionelle Musik, aus welchen propagandistischen oder nationalistischen Gründen
auch immer, im Bewusstsein, und unvermittelt zeigt sich ihre Globalisierbarkeit China, das Reich der
neuen musikalischen Mitte?