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nmz-archiv
nmz 2002/05 | Seite 15
51. Jahrgang | Mai
Initiative
Konzerte für Kinder
Ein Stück Bildungsauftrag der Kulturorchester
Die Schulmusiken der Bergischen Symphoniker Remscheid-Solingen · Von Volker Mattern
Freude an klassischer Musik und am Musizieren zu wecken und junge Zuhörer mit ihren Eltern für die
Arbeit eines Sinfonieorchesters zu interessieren dieses Anliegen verfolgt das Philharmonische Orchester
der Städte Remscheid und Solingen (Bergische Symphoniker) seit langem. Dabei geht das Orchester
in seiner konzertpädagogischen Arbeit gezielt und konsequent vor: Der erste Kontakt zwischen Schülern
und Musikern erfolgt auf sehr persönliche Art und Weise in den so genannten Schulmusiken, die
regelmäßig in allen Solinger und Remscheider Grund- und Sonderschulen stattfinden. Bei diesem bundesweit
einmaligen Projekt besuchen kleine Formationen der einzelnen Instrumentengruppen man höre und staune
über hundert Mal pro Saison die Kinder in den Schulklassen. Darauf aufbauend werden die jungen Hörer
zu thematisch gebundenen Schul- und Familienkonzerten eingeladen. Häufig werden die Projekte zusammen mit
den Lehrern oder anderen Kooperationspartnern wie etwa dem Düsseldorfer Theater Kontra-Punkt
inhaltlich und konzeptionell neu erarbeitet.
Tuba im Team: Über das Instrument stellen die Musiker den Kontakt
zu den Kindern her. Foto: Bergische Symphoniker
Ein traditionelles, vor Jahren vom damaligen Solinger GMD Lothar Zagrosek initiiertes Ereignis sind die Solinger
Wandelkonzerte. Symphonikerwerkstätten und andere Begleitangebote, Cross-Over-Projekte
speziell für Jugendliche in den Bereichen Rock und Jazz sowie philharmonische Grenzgänge
in den Abo-Konzerten runden das umfangreiche Angebot ab. Diese konsequente Arbeit für und mit Kindern hebt
auch die Jury des Deutschen Musikverleger-Verbandes e.V. in ihrer Begründung für die diesjährige
Verleihung des Preises für das beste Konzertprogramm der Spielzeit 2001/2002 an die Bergischen Symphoniker
ausdrücklich hervor.
Im Folgenden geht es also weniger um neue, möglicherweise spektakuläre inhaltlich-konzeptionelle
Ansätze, sondern vielmehr um einen aktuellen Situationsbericht über die Arbeit eines Kulturorchesters
im Kinder- und Jugendbereich. Dabei möchte ich die so genannten Schulmusiken ins Zentrum der
Erörterungen rücken, und zwar deshalb, weil nach unserer Auffassung durch diese Veranstaltungen die
unabdingbaren Voraussetzungen für alle weiteren Bemühungen im zenralen Aufgabenbereich der Kinder-
und Jugendkonzerte geschaffen werden. Weiterhin aber auch aufgrund der Tatsache, dass diese Arbeit, die in Remscheid
schon seit Jahrzehnten stattfindet und die nach der Fusion der beiden Orchester im Jahre 1995 auch sofort auf
Solingen übertragen wurde, zweifellos Modellcharakter hat oder besser gesagt haben sollte!
Als Frage formuliert: Warum führen eigentlich nicht alle deutschen Orchester ebenfalls solche Schulmusiken
in vergleichbarem Umfang durch? Als Einzelveranstaltungen begegnet man ähnlichen Projekten auch anderswo,
aber meines Wissens nach nirgends auch nur in annähernd vergleichbarem Umfang. Um etwaigen Einwänden
vorzubeugen, muss in diesem Zusammenhang betont werden, dass das Philharmonische Orchester der Städte Remscheid
und Solingen mitnichten unterbeschäftigt ist. Im Gegenteil: Mit rund 160 Auftritten pro Saison sowie einer
eigenen Kammerkonzertreihe zählt dieser Klangkörper zweifellos zu den fleißigsten
des Landes. Der besondere Stellenwert, den die Arbeit dieses vielseitigen Orchesters auch über die Grenzen
Solingens und Remscheids hinaus genießt, dokumentiert sich in einem zukunftsorientierten Profil mit erfolgreichen
Auslandstourneen, Auftritten in renommierten Konzertsälen wie der Kölner Philharmonie sowie der regelmäßigen
Musiktheaterpräsenz im Aalto Theater Essen.
Trotz der hohen Belastung, die mit diesem kontinuierlichen künstlerischen Aufwärtstrend der letzten
Jahre einhergeht, widmen sich die Musiker und Musikerinnen der Bergischen Symphoniker mit großem Engagement
und unermüdlichem Einsatz auch der musikpädagogischen Basisarbeit. Jeder, der die Orchesterlandschaft
in Deutschland kennt, weiß, dass dies nicht selbstverständlich ist! Nur am Rande sei erwähnt,
dass dieses Engagement nicht zusätzlich vergütet wird, sondern lediglich je Veranstaltung als ein
Dienst gewertet wird. Die Schulmusiken finden dabei jeweils parallel zu den anderen Proben oder
Veranstaltungen statt und gehen folglich weder zu Lasten der jährlichen Konzertzahl noch zu Lasten der
daraus resultierenden Erträge. Es bedarf lediglich einer zugegebenermaßen ausgeklügelten
Disposition und Vorausplanung, um zu vermeiden, dass das tarifvertraglich festgelegte Dienstlimit überschritten
wird.
Angesichts der Klagen über eine allerorts zu konstatierende Überalterung des Konzertpublikums und
der daraus resultierenden Erkenntnis, dass es höchste Zeit ist, dieser Entwicklung möglichst effektiv
entgegenzuwirken, sollten Projekte wie die Schulmusiken der Bergischen Symphoniker eigentlich zum
festen Aufgabenkanon möglichst aller deutschen Kulturorchester gehören.
Wie sieht eine solche Veranstaltung im Einzelnen aus? Es gibt vier Instrumentengruppen, ein Streichquintett,
eine Holz-, eine Blechbläsergruppe sowie eine Zweiergruppe Schlagwerk/Harfe. Für jede der Gruppen
gibt es dem didaktischen Grundkonzept entsprechende besetzungsspezifische Arrangements der verwendeten Stücke.
Die Gruppen sind wechselnd besetzt, so dass sich die zusätzliche Dienstbelastung möglichst gleichmäßig
verteilt. Besucht werden jeweils die dritten Klassen aller Grund- und Sonderschulen in Remscheid und Solingen
(insgesamt handelt es sich dabei um 26 Grund- und 4 Sonderschulen). Ziel ist es, jeder Klasse im Laufe eines
Schuljahres möglichst alle vier Instrumentengruppen präsentieren zu können. Begleitend existieren
Lehrerarbeitskreise zur inhaltlichen Vorbereitung, in denen auch Generalmusikdirektorin Romely Pfund regelmäßig
präsent ist. In diesen Gremien werden Unterrichtsmaterialien erarbeitet, die allen Lehrern für die
Vorbereitung zur Verfügung gestellt werden. Dies ist deshalb von zentraler Bedeutung, weil in den Veranstaltungen,
die jeweils eine Schulstunde umfassen, auch gemeinsam gesungen und im Rahmen von Mitspielstücken
musiziert wird. In einem Musikrätsel geht es darum, in einem Kinderliederpotpourri möglichst
viele der erklingenden Melodien zu bestimmen. Jedes Kind erhält ein Kärtchen, auf dem es die richtigen
Melodien im Multiple-Choice-Verfahren ankreuzen kann. Hierbei hat es sich gezeigt, dass es sinnvoll ist, die
früher verwendeten Volkslieder möglichst durch Titelmelodien aus der Sendung mit der Maus
und Ähnlichem zu ersetzen. Natürlich werden daneben auch alle Instrumente der Gruppe einzeln vorgestellt
und erklärt, gefolgt von Erläuterungen zur Dynamik oder zu einfachen musikalischen Formverläufen
(Variation) und besonderen Spieltechniken (etwa im Rahmen eines Pizzicato-Mitspielstücks).
Eine Musikerin oder ein Musiker übernimmt jeweils die Moderation. Die Kinder machen in aller Regel begeistert
mit, sind motiviert, dürfen die vorgestellten Instrumente auch ausprobieren und kommen auf diesem Wege
sehr schnell mit den Musikern ins Gespräch.
Hat ein Schüler in der dritten Klasse im Idealfall alle vier Schulmusiken erlebt, sind dies die besten
Voraussetzungen, um in den Klassenstufen 4, 5 und 6 die Inhalte der Schulkonzerte zu wechselnden Themen nachvollziehen
und verstehen zu können. Aufgrund der verschiedenen Vorgeschichten der ehemals eigenständigen Orchester
in Remscheid und Solingen haben sich hier wie dort zwar einige unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte herauskristallisiert,
die jedoch das Grundkonzept keinesfalls tangieren. So gibt es etwa in Remscheid für die dritten Klassen
ergänzend zu den Schulmusiken jedes Jahr vier Aufführungen von Prokofieffs Peter und der Wolf
(unter szenischer Mitwirkung der Schüler im jeweils selbst entworfenen und gebauten Bühnenbild!),
während auf der anderen Seite das Schulkonzert für die Klassenstufe 4 in Solingen grundsätzlich
als Wandelkonzert realisiert wird. Hier verteilen sich die verschiedenen Instrumentengruppen in
den Räumen des Solinger Theater- und Konzerthauses. Die Kinder suchen diese nacheinander auf, hören
den Musikern zu und diskutieren das Gehörte und Erlebte. Zum Abschluss finden sich alle Musiker im großen
Konzertsaal zusammen und musizieren gemeinsam ein Orchesterwerk.
Für die fünften Klassen heißt das Thema des nächsten Jahres Musikalische Zaubereien
(mit Dukas Zauberlehrling und Ausschnitten aus der Zauberflöte), für
die sechsten Klassen Ein musikalischer Streifzug durch die Welt des Musicals (in Kooperation mit
der Musicalklasse der Musikhochschule Köln). Insgesamt bieten die Bergischen Symphoniker pro Saison 20
bis 24 Schulkonzerte für die genannten Klassenstufen an.
Hinzu kommen in einem nächsten Schritt jeweils zwei Familienkonzerte in jeder Stadt, um
die bisher nur im Rahmen von schulischen Veranstaltungen gemachten Erfahrungen auch mit den Eltern, Großeltern
oder Freunden vertiefen zu können. Diese Konzerte finden grundsätzlich am Wochenende zu familienfreundlichen
Zeiten statt. In der kommenden Saison sind an dieser Position zwei Uraufführungen vorgesehen, und zwar
einmal das Symphonic Musical Fun to Pia von Thomas Holland-Moritz. In diesem Stück
entführt uns das Mädchen Pia an einen fernen Ort, der nichts anderes ist als unsere eigene Fantasie.
So entstehen Tagträume für Ohr und Auge.
Zum anderen wird ein innovatives Projekt im Rahmen der bewährten Zusammenarbeit mit dem Düsseldorfer
Theater Kontra-Punkt auf dem Programm stehen: Von der Königin, die ihre Musik verlor nach Yehudi
Menuhin und Christopher Hope (Libretto: Frank Schulz) mit der Musik von Ben Süverkrüp und Matthias
Schlothfeld. In dieser Produktion werden die Musiker auch agieren, etwa indem die Bläser als Minister der
Königin in Erscheinung treten und sich nur in einer Lautsprache äußern, bevor sie
lernen, ein Instrument zu spielen.
Dieses Basisangebot für Kinder und Jugendliche wird regelmäßig ergänzt durch Sonderkonzerte:
Philharmonic Rock mit der auf solche Projekte spezialisierten René Möckel Band oder
Jazz meets Classic in Kooperation mit Peter Herbolzheimer und seinem Bujazzo oder in der
kommenden Saison zusammen mit dem JugendJazzOrchester NRW. In der laufenden Spielzeit wurde auch zum
ersten Mal und mit Erfolg versucht, ein breiteres jugendliches Publikum in ein Abo-Konzert zu locken: Grenzgänge
hieß das Thema in einem Philharmonischen Konzert, in dem neben John Rutters populärem Magnificat
mehrere Auftragskompositionen für Jazztrio und Orchester von Markus Stockhausen und Arild Andersen uraufgeführt
wurden.
All diese Angebote brauchen einen Humus, auf dem sie gedeihen und sich entwickeln können.
Diese Grundlage bilden beim Philharmonischen Orchester Remscheid-Solingen die Schulmusiken. Dieser Baustein
lässt sich den guten Willen aller Beteiligten natürlich vorausgesetzt auch in der Angebotspalette
anderer Orchester integrieren. Für die Kinder, unser potenzielles Publikum von morgen, kann das musikalische
Angebot eigentlich gar nicht groß genug sein. Von daher wäre es zu wünschen, dass dieses Modell
möglichst viele Nachahmer fände.
Dr. Volker Mattern ist Geschäftsführer der Bergischen Symphoniker.