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nmz-archiv
nmz 2002/05 | Seite 13
51. Jahrgang | Mai
Kulturpolitik
Diagnose: chronische Unterfinanzierung
Steht das Nordkolleg Rendsburg nun endgültig vor dem Aus?
Im Nordkolleg Rendsburg wird wie immer konzentriert gearbeitet. Die Atmosphäre fordert auch an diesem
April-Wochenende alle Kursteilnehmer zu persönlichen Höchstleistungen heraus. Alles liegt friedlich
da, und doch ist dieser Tage nichts, wie es einmal war. Die Idylle täuscht, denn das Nordkolleg Rendsburg
steht möglicherweise schon bald vor dem Aus.
Wie ein Damoklesschwert hängt die kontinuierlich rückläufige Förderung des Landes seit
Jahren über der Einrichtung: allein 27 Prozent seit 1998. Nun droht der ohnehin dünne Faden endgültig
zu reißen. Eine erneute siebenprozentige Kürzung gegenüber dem Vorjahr wurde dem Direktor und
Geschäftsführer des Nordkollegs, Peter Amadeus Schneider im laufenden Haushaltsjahr vor kurzem bekannt
gegeben. Hinzu kommt ein Investitionsstau, den niemand aufzulösen vermag.
Kursleiter Eric Ericson mit einer Teilnehmerin. Foto: Nordkolleg Rendsburg
Die als GmbH organisierte Bildungsstätte hat ihre Rücklagen weitestgehend aufgezehrt. Trotz stetigem
Personalabbau (allein sechs Stellen in den vergangenen vier Jahren) und einer zugleich kontinuierlichen Steigerung
der Teilnehmertage mit entsprechenden eigenerwirtschafteten Erlösen ist das Defizit nicht mehr aufzufangen.
Längst arbeiten die Mitarbeiter des Nordkollegs am Rande ihrer vertraglichen Belastbarkeit.
Das Land zwischen den Meeren tut sich keinen Gefallen. Wie vermutlich kaum eine andere staatlicherseits geförderte
Bildungseinrichtung in der Bundesrepublik Deutschland wird das Nordkolleg Rendsburg mit nur noch 26,1 Prozent
aus öffentlichen Kassen gestützt. 23,4 Prozent der Finanzierung davon trägt das Land, die verbleibenden
2,7 Prozent steuern der Kreis und die Kommune bei. Die chronische Unterfinanzierung seitens der öffentlichen
Hand hat Ausmaße erreicht, die es dem Haus schwer machen werden, sich auch weiterhin mit einem vergleichbaren
bildungspolitischen Profil auszuweisen.
Im Zentrum Schleswig-Holsteins, zwischen Eider und Nord-Ostsee-Kanal gelegen, behauptet sich das Nordkolleg
imageträchtig als eine von fünf Bildungsstätten im Lande. Für den musikalischen Bereich
hat sich die Einrichtung konkurrenzlos positioniert und ist aus der Kulturlandschaft nicht mehr wegzudenken.
Bereits 1995 übertrug die damalige Kultusministerin des Landes, Marianne Tidick, der Einrichtung Teilfunktionen
einer Landesmusikakademie, und so kooperiert das Nordkolleg seither mit dem Schleswig-Holstein Musik Festival,
der Musikhochschule Lübeck, dem Landesverband deutscher Musikschulen, dem Musiktherapieinstitut Rendsburg
und dem Landesmusikrat Schleswig-Holstein, um nur einige der Partner zu nennen.
Das Nordkolleg ist der Standort des Landesjugendchores und des Landesjugendjazzorchesters Schleswig-Holstein
und damit wesentlicher Beförderer des musikalischen Spitzennachwuchses im Land.
Darüber hinaus sind diverse musikalische Aktivitäten ohne die Einrichtung undenkbar, denn mit drei
Hörsälen, elf Seminarräumen, einem Konzertsaal für Tonproduktionen, drei Flügeln, zwei
Klavieren und vielen weiteren Instrumenten, sowie hundertdrei Betten in zweiundsechzig Einzel- und Doppelzimmern
ist das Nordkolleg funktionsfähig ausgestattet. Einschlägige Kurse mit Hans Werner Henze bis hin zu
den Sommerakademien mit Eric Ericson haben dem Nordkolleg national wie international zu hohem Ansehen verholfen.
Auf Bundesebene zeigt sich das Rendsburger Kleinod darüber hinaus als Mitglied im Arbeitskreis der Musikbildungsstätten
aktiv. Jeder weiß um das positive Image und die bildungspolitisch intensive Arbeit der Einrichtung, die
sich im Übrigen auch jenseits der musikalischen Schwerpunktsetzung durch ihre inhaltliche Ausrichtung nach
Skandinavien und in den Ostseeraum profiliert hat. Warum also tut niemand etwas dafür, diese Institution
am Leben zu erhalten? Insbessondere an die Landesregierung richtet sich die Frage, ob das sichere Sterben der
Einrichtung wissentlich in Kauf genommen wird.
In einem mit Datum vom 7. März 2002 veröffentlichten Bericht der Landesregierung (Drucksache 15/1712)
zur Weiterentwicklung der Kulturpolitik im Lande heißt es: Unser Ziel lautet unverändert Mehr
Kultur für Menschen. Zugleich wird festgehalten, dass unbenommen der Zielsetzung nach einem
Mehr an Kultur von einer veränderten Rolle des Staates in der Kulturförderung ausgegangen werden muss.
In welchen Bereichen sich das Land verstärkt zurückziehen will, bleibt offen, denn hierzu bedarf
es der Auswertung einer umfassenden Evaluation, deren Ergebnisdiskussion seit eineinhalb Jahren andauert und
bis dato noch nicht abgeschlossen ist. In jedem Fall wolle man im Kultursektor auf eine Leistungssteigerung
in allen Bereichen, mithin auch für einen effizienten Einsatz öffentlicher Mittel dringen.
Bei der Frage, warum Kultur für dieses Land wichtig sei, wird das kulturelle Angebot vor allem als weicher
Standortfaktor für ökonomische Belange geltend gemacht.
Ohne Zweifel kann Kultur als Signal für den ökonomischen Bereich und als Indikator für die Eigenschaften
einer Region verstanden werden. Kulturförderung kann zu einer Verbesserung der Standortqualität führen
und sich auf das Image einer Region positiv auswirken.
Gleichwohl wird es aber nicht gelingen, die Auswirkungen von Kultur in Zahlen und Rechenbeispielen nachzuweisen.
Empirische Studien haben längst belegt, dass das Kulturangebot letztendlich für die Standortwahl eines
Unternehmens nur eine geringe Rolle spielt. Kultur als Mittel zum Zweck einer gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
zu begreifen fruchtet aus verschiedenen Gründen nicht. Kultur ist weitaus mehr, denn sie prägt die
Gesellschaft jenseits wirtschaftlicher Interessen eingreifend und nachhaltig.
Die Landesregierung in Schleswig-Holstein kennt diese Fakten, aber angesichts leerer Staatskassen und dem
verständlichen Versuch, der Überschuldung des Landes entgegenzuwirken, werden vermeintlich neue Vorzeichen
gesetzt. Und leider wird bei der Lösung der Probleme der einfachste Weg beschritten. Hinhaltung und keinerlei
Festlegung kennzeichnen das Resultat.
Die Kultureinrichtungen im Lande sind offen für konstruktive Kritik. Außerdem wünscht man
sich endlich ein deutliches Zeichen seitens der Kulturpolitik. Es kann doch nicht wirklich im Interesse liegen,
eine Einrichtung wie das Nordkolleg einfach ausbluten zu lassen. Niemand wird der Einrichtung ernsthaft den
Vorwurf machen können, dass es sich bei 26,1 Prozent öffentlicher Förderung und gleichzeitiger
Wahrung des kulturpolitischen Auftrags nicht ernsthaft um weitere Einnahmen bemüht habe. Nichts wäre
leichter gewesen, als das Haus durch zahlungskräftige Teilnehmer jenseits des bildungspolitischen Interesses
zu füllen; Anfragen gibt es genug.
Tatsächlich ist es aber ein Unding, eine öffentlich arbeitende Einrichtung erst im laufenden Haushaltsjahr
darüber zu informieren, dass die Zuschüsse sinken, und zugleich einen Ausgleich des überraschend
entstandenen Defizits bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Bildungsauftrages zu fordern.
Seit Jahren bemühen sich neben dem Nordkolleg Rendsburg auch andere kulturelle Einrichtungen in Schleswig-Holstein
um planbare Zuverlässigkeit. Das Prinzip der Kameralistik lässt sich nicht auflösen, gleichwohl
würden Absichtserklärungen staatlicherseits eine Menge bewirken. In anderen Bundesländern ist
dies bereits seit Jahren gang und gäbe.