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nmz-archiv
nmz 2002/05 | Seite 7
51. Jahrgang | Mai
Musikwirtschaft
Umsonst oder nicht, das ist die Frage
Noten im Internet: ein Medium zwei Geschäftsideen
Deutschland gilt als das Land mit dem dichtesten Netz an Verlagen und Musikalienhändlern. Diese setzen
nach wie vor aufs klassische Papiergeschäft, neue Geschäftsideen wie Noten mittels Internet zu vermarkten,
werden eher verhalten aufgenommen. Die neue musikzeitung stellt zwei Unternehmen vor, die sich mit Noten im
Netz befassen: Die skandinavisch-amerikanische Internet-Firma Amazing Music World vertreibt Noten von Musikern
und Verlagen via Internet. Die Besonderheit: Man bekommt keine Notenausgaben zugesandt, sondern druckt sie sich
am heimischen Computer aus. Im oberbayerischen Zorneding ist die zweite Firma angesiedelt, die hier vorgestellt
werden soll: Stretta Music GmbH. Udo Wessiepe und Johan van Slageren waren Dirigenten und Musikverleger bis
das Internet sie auf ihre Geschäftsidee brachte: Noten umsonst via Netz. Der Clou: die kostenfreien Noten
werden durch Anzeigenkunden finanziert.
Seit zwei Jahren existiert SheetMusicNow.com. So nennt sich die Website der 1998 von dem Ehepaar Eje in Kopenhagen
gegründeten Internetfirma Amazing Music World. Von 20 Mitarbeitern weltweit arbeiten auch heute noch die
meisten in Kopenhagen, weiter gibt es Mitarbeiter in Deutschland, den USA und Moskau. Jonathan Irons, A &
R Manager im Hamburger Büro, über seine Firma: Wir sind ein virtuelles Musikhaus und sprechen
die gleiche Zielgruppe an wie traditionelle Musikalienhandlungen. Wir verkaufen Werke zum Herunterladen, vorwiegend
klassische Musik, auch Jazz, aber keine Popmusik.
Vertreten völlig unterschiedliche Konzepte: Johan van Slageren (li.,
Stretta Music GmbH) und Jonathan Irons (Amazing Music World).
Fotos: C. Oswald
Das erklärte Ziel von Irons ist es, bis Ende dieses Jahres 100.000 Werke im Internet zu. Damit
würde SheetMusicNow ein einzigartiges Angebot im Netz präsentieren. Zwar gibt es Webseiten, auf denen
man in der bis zu dreifachen Menge von Werken stöbern kann, aber nur bei SheetMusicNow kann man sie ansehen,
anhören und dann sofort kaufen.
Die größten Umsätze macht Irons Firma entsprechend der Verbreitung des Internet. Obwohl in
Deutschland ein dichtes Netz von Musikalienhändlern und Verlagen gewissermaßen eine luxuriöse
Situation bieten, bedient SheetMusicNow hier zu Lande noch Versorgungslücken in der Fläche. Außerdem
analysiert Irons ganz richtig: Die wichtigsten Verlage sind in Deutschland. Bereits in Dänemark,
in Amerika, oder in Südamerika ist es sehr viel schwieriger, an die Noten heranzukommen.
Irons legt großen Wert darauf, dass SheetMusicNow kein Verlag, sondern ein Vertrieb ist: Im Moment
ist unsere Hauptaufgabe die Digitalisierung von Verlagsausgaben, die dann in den Vertrieb übernommen werden.
Die Musikauswahl entspricht dem, was in Musikgeschäften verkauft wird. SheetMusicNow kooperiert mit
Verlagen und hat über 100 Verträge beziehungsweise Partner vom russischen Staatsverlag Muzyka, mit
dem ein Exklusivvertrag abgeschlossen wurde, bis hin zu deutschen Verlagen wie Weinberger oder Schott.
Die Werbe- und Marketingstrategien sind in den Offline- und den Online-Bereich gegliedert. Offline wird ganz
klassisch gearbeitet: Wir gehen auf Messen, wir drucken Anzeigen. Sehr wichtig ist uns die Integration
ins Musikleben: So sind wir unter anderem Hauptsponsor der Sommerakademie in Salzburg. Im Online-Bereich
gibt es andere Strategien: Das Internet bietet eine Menge Methoden, weiß Irons, wie man an
Kunden herankommt. Zum Beispiel gibt es eine wahnsinnig große Anzahl von Musikwebsites im Internet. Oder
man gibt Suchbegriffe ein. Gibt man zum Beispiel Viola ein, findet man hervorragende Seiten.
Dabei betont Irons, dass seine Mailing-Aktionen sich im höflichen Bereich bewegen: Von
Spamming, also aggressiver Internetwerbung, sind wir weit entfernt.
Mit einer artist collection bietet man nicht nur prominenten Künstlern wie Chick Corea, Steven
Isserlis oder James Galway ein Podium, sondern gibt gleichzeitig den Suchmaschinen die Möglichkeit zum
Aufstöbern der SheetMusicNow-Seite.
Irons gibt zu, dass er bei seiner Vertriebsmethode keinen Zugriff auf die letztendliche Qualität des Produktes
hat. Er sieht allerdings kein Problem darin: Heutige Büro-Standarddrucker können gute Qualität
liefern. Der wichtigste Mitarbeiter allerdings, das gibt er zu, ist der Mann an der Hotline: Er
gibt viel EDV-Rat über die Bedienung gängiger Programme von Microsoft bis hin zu Adobe und anderen.
Das Konzept der Stretta Music GmbH unterscheidet sich wesentlich von Amazing Music World. Die Website nennt
sich noten-umsonst.de und der Name ist Programm. Johan van Slageren und Udo Wessiepe stützen ihre
Idee eines Internet-Notenvertriebs und -verlags auf die Annahme, dass die meisten User Inhalte aus dem Netz
umsonst haben wollen. Im Zenttrum des Angebots stehen die Noten-Newsletter der Firma: Bis vor kurzem erhielten
die Abonnenten diese 14-tägig erscheinenden Newsletter per E-Mail mit Noten zum Ausdrucken wahlweise
für elf verschiedene Instrumente. Alle Noten produziert und verlegt Stretta Music selbst. Finanziert wird
das Angebot durch Werbung auf jedem Notenblatt, sowie Werbebanner auf der noten-umsonst-Homepage.
Auch im Internet heißt Handel Wandel. Immer neue Angebote müssen entwickelt werden, um die Aufmerksamkeit
der Newsletterempfänger wach zu halten. Bis 30.000 E-Mails mit angehängtem Attachement versandt sind,
dauert es mehrere Stunden. Also hat sich Stretta Music etwas einfallen lassen: Ab sofort erhält der Abonnent
in seiner 14-tägigen E-Mail keine Noten mehr, sondern eine Übersicht der Stücke inklusive
Schwierigkeitsgrad , die er dann von der Website noten-umsonst.de eine Woche lang auf seinen Server herunterladen
kann. Man muss sich also nicht mehr von vornherein für ein Stück entscheiden, sondern kann auch die
weiteren angebotenen Werke anschauen. Vielleicht findet sich ja noch eine interessante Basso continuo-Linie
fürs Cello oder eine weitere Bläserstimme, die einen interessiert.
Mit einer großangelegten Werbeaktion starteten Wessiepe und van Slageren im Sommer 2001: Wir schickten
zunächst an die 250 größten Musikschulen in Deutschland Informationsmaterial, ebenso an Bibliotheken,
Musikhochschulen und einige Theater. Das machten wir drei Monate lang, seither machen wir keine klassische Werbung
mehr. Ein Drittel der monatlichen Neuabonnenten lernen das Angebot durch Mund-zu-Mund-Propaganda kennen,
ein Drittel stoßen durch Suchmaschinen darauf, und das letzte Drittel über die Medien. Als aktuellen
Stand der Abonnenten nannte van Slageren zum Zeitpunkt unserer Recherche die Zahl 30.300. Von Seiten der klassischen
Notenverlage schlägt der Stretta Music GmbH allerdings Skepsis entgegen. Man reibt sich vor allem an dem
Wort umsonst.
Doch die Erfahrung, dass im Netz längst nicht mehr alles umsonst ist, machten auch die beiden Jungunternehmer
aus Zorneding. Van Slageren: Wir haben heute Angebote von Partnern wie dem Kölner Musikhaus Tonger
oder der Firma Dowani (bekannt durch ihre Play along-Angebote) im Netz. Hier bieten wir urheberrechtlich
geschütztes Material an. Allerdings verkaufen wir nicht, sondern geben die Bestellungen direkt an Tonger
oder Dowani weiter.
Das heißt: die umsonst-Angebote sorgen für eine breite Kundenbasis, stellen eine wichtige
Werbe- und Marketingmaßnahme dar. Dann aber ergänzen kostenpflichtige Zusatzdienste die Angebotspalette.