[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2002/05 | Seite 44
51. Jahrgang | Mai
Nachschlag
Wie lange noch, Herr Minister?
Szene-Protokoll:
Mittwoch, 3. April 2002, 17.00 Uhr: Eröffnungsveranstaltung der Bundesschulmusikwoche 2002 in Halle; die
Händel-Halle voll besetzt mit Musiklehrer/-innen aus ganz Deutschland, anwesend als Gäste auch hochrangige
kulturpolitische Vertreter von Bund, Land und Stadt. Auf der Bühne das Schulorchester der Latina, dem die
musikalische Umrahmung anvertraut ist.
Wie gehabt: Der Dirigent hebt den Taktstock, die jungen Musiker/-innen setzen ihre Instrumente an. Es folgt
der erste Einsatz, doch keiner spielt! Der Dirigent erstarrt, das Publikum reagiert, der Autor eingeschlossen,
irritiert. Ein Blick ins Programmheft gibt Gewissheit, dass es sich nicht um John Cages 1952 komponiertes Werk
433 handelt. Nein, das Auditorium wurde Augenzeuge einer originellen Inszenierung, die auf derzeitige
Strukturprobleme an der Latina hinweisen sollte. Aufklärung folgte unmittelbar durch einen jungen Musiker,
der mutig zum Rednerpult schritt. Die Gäste der Bundesschulmusikwoche 2002 hörten seine engagierte
Rede, aus der zwei Punkte erinnert werden:
Wir protestieren gegen die erfolgte Stundenkürzung am Instrumentalzweig der Latina August Hermann
Francke.
Die seitens des Kultusministers, Herrn Gerd Harms, gegebene Zusicherung vom 1. Oktober 2001, sich der Sache
bis zum 31. Dezember2001 wohlwollend anzunehmen, ist bis dato nicht eingelöst.
Die Instrumentalklassen des Musikzweiges der Latina August Hermann Francke in Halle an der Saale sind aus
der ehemaligen Spezialschule für Musik der Hochschule Felix Mendelssohn-Bartholdy Leipzig hervorgegangen.
Diese Spezialschule wurde 1965 zusammen mit drei gleichartigen Schulen in Berlin, Dresden und Weimar gegründet,
um musikalische Begabungen optimal zu fördern. Derzeit bildet die Instrumentalausbildung zusammen mit dem
Stadtsingechor den Musikzweig an der Latina August Hermann Francke, einem Gymnasium in Landesträgerschaft.
Die Inszenierung der Schüler hatte offensichtlich zum Ziel, über Begabtenförderung, wie sie
in vergleichbarer Form nicht nur in Halle, sondern auch in Berlin, Dresden und Weimar angeboten wird, wieder
neu ins Gespräch zu kommen. Zum Verständnis sei erwähnt, dass Sachsen-Anhalt keine Musikhochschule
unterhält, also andere, meist an solche Hochschulen angebundene Begabtenförderungen hier keine der
üblichen Alternativen darstellen.
Nach persönlichen Rückfragen und Gesprächen basiert die Effizienz der gegenwärtigen Ausbildung
wohl auf einer Reihe von organisatorischen, personellen und räumlichen Voraussetzungen, die sich bisher
erfreulicherweise an internationalen Standards orientieren konnten:
Ein differenzierter Eignungstest ermöglicht eine genaue Einschätzung des individuellen Leistungsprofils
und somit die Zusammensetzung relativ homogener Lerngruppen.
Die Stundentafel für Musik ist in die Stundentafel der anderen Fächer integriert.
Der Musikunterricht gliedert sich in Teilfächer (Instrumentales Hauptfach, Nebenfach Klavier, Korrepetition,
Chor, Orchester, Ensemblespiel, Musiktheorie, Gehörbildung, Musikkunde...) und wird von darin spezialisierten
Kolleg/-innen erteilt.
Das neue Musikhaus in den Franckeschen Stiftungen bietet eine ausreichende Zahl von Unterrichts-, Proben-
und Überäumen.
Internatsplätze ermöglichen auch auswärtigen Schülern die musikalische Ausbildung.
In summa: Optimale Voraussetzungen, um junge Talente der Musik zu fordern und zu fördern. Wer kann ernsthaft
Kürzungen erwägen oder Hand anlegen wollen an ein solch institutionalisiertes Musik-Juwel, ohne
sich (Musik-)kulturellen Kahlschlages schuldig zu machen?
Doch die Sparäxte unserer Finanzminister und in Folge die Rotstifte unserer Kulturminister scheinen heute
vor nichts, aber auch gar nichts mehr zurückzuschrecken!
Vielmehr sollte das Bewusstsein vorherrschen, alles dafür zu tun, um die Erfolge der hallensischen Schule
fortzusetzen, ja sogar auszubauen, indem die bestehende Anbindung der vergleichbaren Schulen in Berlin, Dresden
und Weimar an die jeweiligen Musikhochschulen vor Ort auch in Sachsen-Anhalt umgesetzt wird. Über länderübergreifende
Kooperationsformen mit der Leipziger Hochschule für Musik sollte dringend nachgedacht werden. Und wenn
man Finanzierungsmodelle überlegt, könnte durchaus auch eine finanzielle Beteiligung von wohlsituierteren
Eltern an dieser speziellen Ausbildung in Erwägung gezogen werden. Damit würde zugleich dem Wunsch
des ebenfalls zur Eröffnung anwesenden Kultusministers Gerd Harms nach verstärkter Zusammenarbeit
von Schule und Elternhaus entsprochen.
Aus der Distanz und angesichts von sicher landesweit drückenden Problemen nicht nur in der Bildungslandschaft
Sachsen-Anhalts mag das derzeitige Strukturproblem an der Latina dem Außenbeobachter marginal erscheinen.
Erkennt man jedoch in der musikpädagogischen Konzeption dieser Schule ein Modell für effiziente Begabtenförderung
mit all ihren persönlichkeitsprägenden Implikationen und gewährleistet folgerichtig deren Weiterführung,
dann eröffnen sich Möglichkeiten, landeseigene musikalische Bildungspotenziale auch in anderen Ausbildungssegmenten
und Tätigkeitsbereichen weiter zu entwickeln.
Es liegt an den politisch Verantwortlichen, die Weichen für die Zukunft der Begabtenförderung im
Land Sachsen-Anhalt zu stellen. Der Elternwille scheint erkundet, die dortigen (Musik-)Pädagog/-innen haben
sicher ihre Hausaufgaben gemacht, kooperative und erfolgversprechende Ideen sind auf dem Tisch. Bleibt der hoffnungsvolle
Appell ganz im Stile einer amerikanischen Fernsehserie: Herr Minister übernehmen Sie!