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nmz-archiv
nmz 2002/05 | Seite 23
51. Jahrgang | Mai
Pädagogik
Geständnisse eines Musikschulleiters a. D.
Gemeinsam
Ich möchte nicht länger allein in meinem ehemaligen Unterrichtszimmer sitzen. Wie schön wäre
es, wenn jetzt Dietmar Mantel hereinkäme, über viele Jahre hinweg nicht nur meine rechte Hand, sondern
darüber hinaus wie ein Freund und Bruder, mit dem ich alles, was mich bewegte, besprechen konnte. Wie schön
wäre es, wenn auch alle anderen Lehrer hier sein könnten, all die, mit denen ich in wohltuender Form
der Gemeinschaft und des Vertrauens zusammen arbeiten durfte. Wie schön war diese Form der Team-arbeit,
wie segensreich für alle unsere Schüler und welche hervorragende Voraussetzung für unser musikalisches
Familienleben.
Niemals war ich allein! Ich denke an Helga Baader, unsere erste Sekretärin und verständnisvolle
Fürsprecherin aller Schülerinnen und Schüler. Durch sie erfuhr auch ich die Nöte oder Wünsche
unserer Mädchen und Jungen. Frau Baader wusste genau, wer wann zum letzten Mal in der Vortragsstunde aufgetreten
war und welches Stück mit mehr oder weniger Erfolg gespielt wurde. Dies nicht nur deswegen, weil sie die
Programme zu schreiben hatte, sondern weil sie gemeinsam mit uns Lehrern persönlichen Anteil an der musikalischen
Entwicklung eines jeden nahm. Überhaupt die wöchentlichen Vortragsstunden! Sie waren wohl das Zentrum
der Kommunikation und Zusammenarbeit. Hier konnte jeder die Schüler unserer Schule kennen lernen, die wiederum
und deren Eltern die Lehrer unserer Musikschule und alle zusammen die Fortschritte der gemeinsamen Arbeit. Es
galt auch festzustellen, mit welchen der Schüler vielleicht ein neues Ensemble zu bilden sei. Das war nämlich
für uns alle, Lehrer, Eltern wie Schüler, immer selbstverständlich: Jedes Kind hatte, unbeschadet
seiner persönlichen Begabung, das Recht, in einer Kammermusikformation und in einem Orchester mitzuwirken.
Wir Lehrer fühlten uns verpflichtet, gemeinsam dafür zu sorgen, dass diese Rechte der Kinder eingelöst
wurden. Das war oft keine leichte Aufgabe, denn die Auswahl der geeigneten Partner, die Festlegung einer für
alle Beteiligten zumutbaren Probenzeit, die Berücksichtigung der Wünsche der Eltern, und vieles andere
mehr, erforderten von uns Lehrern Arbeit, Ausdauer, Zähigkeit und Überzeugungskraft. Nur wer selbst
von der Notwendigkeit des Ensemblespiels überzeugt war, konnte diese Überzeugungsarbeit leisten. Aber
wir kannten ja alle den Nutzen des Musizierens im Ensemble und setzten uns dafür ein wie echte Eltern,
die nicht nachgeben, wenn es darum geht, für die eigenen Kinder Gutes zu tun. Wir beeinflussten auch oft
die uns anvertrauten Kinder und deren Eltern, wenn die Frage im Raume stand, welches Instrument wohl das geeignetste
für unseren jungen Schüler sein könnte. Für diese Entscheidungen spielte neben persönlicher
Eignung und persönlichem Wunsche auch der Bedarf in den verschiedenen Ensembles eine wichtige Rolle. Nur
so ist es zu erklären, dass ein Mangelinstrument wie die Bratsche an unserer Schule in kürzester
Zeit zu einem Renner werden konnte. Wie in jeder Familie, so hätte es auch bei uns schnell
Streit geben können, hätten wir Lehrer nicht an einem Strang gezogen und zusammengehalten. Diskussionen
und Streitgespräche über die besten Wege zur Erreichung der gesetzten Ziele gab es zur Genüge.
Aber sie dienten ausschließlich der Sache und niemals der Profilierung einzelner. Wir wussten was Teamarbeit
ist und haben sie praktiziert. Über jeden neuen Mitstreiter, der besser war als wir selbst, haben wir uns
gefreut und versucht, ihm optimale Arbeitsbedingungen zu schaffen. Wir haben uns in den Unterrichtsstunden besucht,
um unsere Schüler besser verstehen zu lernen. Nach dem Unterricht haben wir gemeinsam über unsere
unterschiedlichen Erfahrungen gesprochen. Wir kannten alle unsere Schüler mit ihren Stärken und Schwächen,
haben immer die Schwachen so fair behandelt wie die Starken und von allen verlangt, miteinander zu arbeiten
und zu musizieren. Und das tun sie auch heute noch!