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nmz-archiv
nmz 2002/05 | Seite 24
51. Jahrgang | Mai
Pädagogik
Wortreden, Klangreden und lautstarke Interjektionen
Der Salzburger Kongress Mensch und Musik bestach durch ungewöhnliche Präsentationsformen
Eine besondere Verknüpfung von Wissenschaft und Kunst konnten zirka 180 Teilnehmende auf dem Kongress
Mensch und Musik, der im März dieses Jahres in Salzburg stattfand, erleben. In Kooperation
der beiden Salzburger Universitäten (Paris-Lodron und Mozarteum) mit dem ORF wurde eine Veranstaltung auf
die Beine gestellt, die einerseits den aktuellen wissenschaftlichen Stand zur Frage der Musikwirkung auf den
Menschen dokumentieren und andererseits neue Wege der Kunstausübung und -erfahrung aufzeigen sollte.
Die Musikpsychologin Regina Pauls und der Musikwissenschaftler Horst-Peter Hesse, dem die Leitung eines jüngst
am Mozarteum installierten Forschungsnetzwerks Mensch und Musik obliegt, hatten das wissenschaftliche
Programm mit Vorträgen hochkarätiger Wissenschaftler zusammengestellt, während die Inszenierung
der künstlerischen Beiträge in den Händen von Helmi Vent lag.
Ihr Konzept war es, Kunst aus der kulinarischen Nische herauszulösen und mit den Wortbeiträgen
sowie dem gesamten Kongressgeschehen zu verzahnen. Es gab also nicht nach harter intellektueller Beanspruchung
das wohlverdiente traditionelle Genuss-Konzert, vielmehr wurden die Wortreden mit Klangreden verbunden und Plauderzeiten
in Pausen und bei Stehempfängen von herausfordernden Klangimprovisationen oder Werken zeitgenössischer
Musik durchtönt.
Kreative Unruhestifter beim Salzburger Kongress: Martin Grubinger und
das Ensemble moz.art percussioneum. Foto: Univ. Mozarteum / Christian Schneider
Schon die Begrüßungsveranstaltung verblüffte die Zuhörer, musste man doch erst langsam
sortieren, was da ablief: In die offiziellen Begrüßungs-, Dankes- und Lobreden auf die
Honoratioren im rondellartig angelegten Foyer des ORF-Landesstudios werden dezente Kommentare vom
Kontrabass (Joelle Léandre) eingestreut, das Rednerpult wird von dem Stimmkünstler Chris Amrhein
mit Untertongesang verschoben und in die Rede des Mozarteum-Rektors Roland Haas mischen sich gesungene Grußfloskeln
der hervorragenden Vokalimprovisatorin Lauren Newton. Unverbindliches Begrüßungs-Blabla singend führt
sie das Publikum schließlich in den Vortragssaal, in dem sogleich die nächste Überraschung wartet:
feine, schwer zu ortende Metallklänge vielleicht noch letzte Vorbereitungen der Bühnentechnik?
Mitnichten drei Percussionisten auf Hubwagen bespielen das Deckengestänge. Während die erwartungsvolle
Zuhörerschaft Platz nimmt, metrisieren und rhythmisieren sie ihre Aktion und schließen sich mit einem
Pipedrum-Kollegen zu einem furiosen Quartett zusammen.
Solche quasi aus dem Nichts, aus dem vermeintlichen Zufall sich herausgestaltenden Klanginszenierungen konnte
man im Verlauf des Kongresses immer wieder bestaunen, etwa im Anschluss an den Festvortrag des Neurophysiologen
Wolf Singer, als nahtlos an den Applaus des Publikums auf verschiedene Sitzränge verteilte Percussionisten
ein rhythmisches Klatschquartett anschlossen.
Als Kongressteilnehmerin konnte man die ungemein stimulierende und die Aufmerksamkeit stets neu fokussierende
Wirkung von Musik am eigenen Leibe erleben. Diese Wirkung stellte sich insbesondere auch dann ein, wenn Wort-
und Klangbeiträge miteinander in Dialog traten beziehungsweise die Instrumental-/Vokalkünstlerinnen
und -künstler das verbale Geschehen klanglich ausloteten. Sie leiteten die Vorträge nicht nur bruchlos
ein und aus, sondern mischten sich mit lautstarken Interjektionen ein, so zum Beispiel in eine Round-Table-Diskussion,
die von heftigen Kontrabassklängen aufgerüttelt wurde.
Helmi Vent bezog in ihre Performance-Fragmente auch Räume und Mobiliar des ORF-Studios ein. Nicht nur
das Gestänge der Bühnendecke, auch Scheinwerfer und Bohrmaschine, Brüstungen der Foyer-Galerie
und Metallspinde dienten der Klangerzeugung. Sie nutzte den Rundbau der Eingangshalle zur Choreografierung von
Klangaktionen; die Positionen und Raumbewegungen der Spielerinnen und Spieler gehörten zum musikalischen
Konzept, das als Raum-Klang-Körper-Einheit in Szene gesetzt war. Beziehung und Kommunikation lautete der
rote Faden, der sich durch alle künstlerischen Essays zog.
Im fulminanten Finale, das das Publikum in helle Begeisterung versetzte, wurden wiederum Verbindungen gestiftet,
diesmal zwischen traditionellen und unkonventionellen Instrumenten sowie zwischen Werkinterpretation und Improvisation.
Zunächst gingen der Geiger Benjamin Schmid und der Pianist (Miklos Skuta) vom reproduktiven Musizieren
in eine improvisierte nach-denkliche Klangrede über und bereiteten so den Boden für Eisenstangen-Klänge,
Untertongesang- und Marimba vor. Während die ersten Spieler sich ausblendeten, traten weiter Percussionisten
(Ensemble moz.art. percussioneum) hinzu, die unter Führung des atemberaubend musikalisch und artistisch
spielenden Martin Grubinger eine Mischung von kompositorisch vorgegebener Motivik und freier improvisatorischer
Entwicklung darboten.
Das Konzept, den Kongress Mensch und Musik zu einem Ereignis auf verschiedenen, aber miteinander
verbundenen Ebenen werden zu lassen, ging auf. Es wurden neue Vermittlungsformen von Musik erprobt, die dem
Kongressthema adäquat waren. Was die Beziehung zwischen Mensch und Musik wirklich ausmacht, konnte aber
eher auf der nonverbalen Ebene erlebt als wissenschaftlich aufgeklärt werden: Wenn sie risikoreich, in
vielen Facetten von Geräusch und Klang schillernd, rhythmisch vital, konzentriert und spieltechnisch hochkompetent
auf der Basis intelligenter Spielpläne zu Interaktion und Kommunikation zwischen Menschen wird, dann trifft
sie uns zentral, dann stimuliert sie das Gehirn, setzt auf direktem Wege Emotionen frei und verbindet die Funktionsebenen
vom unmittelbaren Vitalitätsaffekt bis zur kognitiven Reflexion kurz gesagt, sie erreicht und energetisiert
den ganzen Menschen.
Ähnlich lautete auch das Fazit zahlreicher Vorträge, die das Thema aus neurophysiologischer, medizinischer,
entwicklungspsychologischer und pädagogischer Sicht beleuchteten. Eine Aufklärung des Phänomens
Mensch und Musik kann man sich jedoch nur als ferne Zukunftsvision vorstellen, da die Schritte des empirisch
Nachweisbaren sehr kleingliedrig sind. Ziel weiterer Forschungen wird es sein, die Komplexität der musikalischen
Informationsverarbeitung im menschlichen Gehirn genauer zu erfassen, um daraus pädagogische Folgerungen
zu ziehen, die sich wiederum auf die Ausbildung von Musikpädagoginnen und pädagogen auswirken
werden. Auch in dieser Hinsicht setzte Rektor Roland Haas neue Akzente: Er plädierte für einen weitaus
höheren Stellenwert der pädagogischen Fächer an musikalischen Ausbildungsinstituten, schließlich
handle es sich nicht um einen dekorativen, sondern um einen substanziellen Bereich.