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nmz-archiv
nmz 2002/05 | Seite 36
51. Jahrgang | Mai
Jazz, Rock, Pop
Ehrwürdige Koryphäen, echte Entdeckungen
Das Festival Jazz Lines in München 2002: eine Nachlese
Wenn man es genau nimmt, in das Festival Jazz Lines inzwischen Münchens einziges wirkliches
Jazz-Festival. Sicher, da gibt es noch den Rumpf-Klaviersommer, der als verschlankte Variante des ursprünglichen
Spektakels im Bayerischen Hof fortgesetzt wird. Und auch die Jazzmusiker-Initiative J.I.M. lädt immer wieder
zu einem eigenen Konzerttreffen ein. Der Vorstellung eines Festivals jedoch kommt Jazz Lines am
ehesten entgegen.
Denn die Organisatoren Annelie Knobloch und Sepp Dachsel buchen nicht einfach nur Künstler in einen Saal,
sondern versuchen, Musik und Raum mit einem thematischen Konzept zu verbinden. Sie haben das Glück, von
kompetenter Seite unterstützt zu werden, zum einen von Dieter Dorn und dem Bayerischen Staatsschauspiel,
das Theaterbühnen und Logistik zur Verfügung stellt. Zum anderen von der BMW Group, die ihr Sponsoring
von der Vorgängerreihe Jazz & More auch auf die aktuellen Veranstaltungen übertragen
hat. Nur das Kulturreferat der Stadt München hat sich weitgehend aus der Unterstützung zurückgezogen,
den Sparzwang der Verwaltungsgremien im Genick.
Erika Stucky.
Foto: Ssirus W. Pakzad
Trotz dieses kleinen Wermutstropfens jedoch konnte Jazz Lines in vollem Umfang stattfinden und
hatte 22 zum Teil hervorragende Konzerte zu bieten. Das Spektrum reichte von der intellektuellen Fraktion amerikanischer
Improvisatoren wie Carla Bley, Pharoah Sanders und dem Tin Hat Trio über schrill-kreative Gestalten wie
Erika Stucky und Diamanda Galás bis hin zu den ehrwürdigen Koryphäen der europäischen
Jazzmoderne wie Gianluigi Trovesi, Louis Sclavis und Henri Texier.
Es gab manche Enttäuschung wie den Münchner Saxophonnarziss Günther Klatt, der sein Konzert
in der Glyptothek nur zur überzogenen Selbstdarstellung nutzte. Es gab erwartete Highlights wie Trovesis
Armstrong-Hommage, Fresus filmisch unterstützte Sardinien-Suite Sonos e Memoria oder
auch Rabih Abou-Khalils neues Quintett mit dem sagenhaften Gabriele Mirabassi an der Klarinette.
Die Überraschungen jedoch lagen manchmal im Detail. Louis Sclavis etwa hatte mit dem Trompeter und Livesampling-Spezialisten
Médéric Collignon ein berauschendes Talent in die Band geladen, das aus der Verknüpfung von
Elektronik und Spiel ungewohnt neue Effekte herleitete. Der Wiener Akkordeonist Otto Lechner wiederum schaffte
es mit einer anregend unterhaltsamen Mischung aus Postfolklore, Pop-Persiflage und zeitgenössisch jazzender
Klangentwicklung, das Publikum betörend in seine Ausdruckswelt zu geleiten. Da die Konzerte überhaupt
erfreulich gut besucht waren, bestätigt auch das Publikum die Ahnung, die man bereits hatte: München
braucht ein Festival wie Jazz Lines, damit es kulturell konkurrenzfähig bleibt. Und natürlich
auch, weil es Spaß macht.