[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2002/05 | Seite 20
51. Jahrgang | Mai
Rezensionen
Mit Pauken und Tapeten
Jörg Immendorffs Rakes Progress bei Arthaus erschienen
Es herrscht Langeweile im Kinderzimmer der Party-Gesellschaft. Flippige Gimmicks wären zwar genügend
da: Die Leinwand, so groß wie ein Werbe-Plakat, der Mega-Pinsel mit Airbrush-Funktion und ein riesiges
Flugzeug in schrillem Gelb. Aber Tom mag nicht mehr, er will endlich was Neues erleben. Zum Glück taucht
der alte Nick Schadow auf und bringt wie immer eine zündende Idee mit: Er hätte da eine steinreiche
Zirkusartistin an der Hand Tom sollte sie heiraten...
Für die Salzburger Festspiele 1996 verlegte Maler Jörg Immendorff Igor Strawinskys The Rakes
Progress in ein poppig-buntes Kinderzimmer mit Tapeten wie von Keith Haring. Das ist fürs Auge erfrischend,
aber die mannshohen Ausstattungselemente sprengen fast den Bühnen-Rahmen. Und sie verdecken mitunter, wie
gekonnt Regisseur Peter Mussbach die Bordell- und Irrenhaus-Szenen arrangiert. Dazu kommt ein Heer von Affen,
das aus jener Bilderserie William Hogarths stammt, die Strawinsky zur Oper inspirierte. Bei Mussbach fungieren
sie zuerst als Bühnenarbeiter, werden unversehens immer mehr und am Ende bevölkern sie die ganze Bühne.
Was Sylvain Cambreling aus der Camerata Academica holt, passt recht gut zu Immendorffs Farborgie: Keine neue
Sachlichkeit und auch keine messerscharfen Rhythmen. Nur die Pauke setzt manchmal bissige Akzente. Ansonsten
überwiegen zarte, gelegentlich etwas indifferente Klangmischungen. Auf ihnen spinnt Dawn Upshaw silbrige
Vokal-Girlanden, die Cabaletta der Anne wird zum Moment innigster Wonne. Auch Monte Pederson hat aufgesetzte
Faxen nicht nötig, um die brutalen Züge Nicks zu modellieren. Und Jerry Hadley dürfte als Tom
Rakewell momentan ohnehin unschlagbar sein: Er pendelt, immer hochmusikalisch, zwischen großkotziger Entertainer-Attitüde
und infantilem Trotz. Das Ganze bereitet ihm hörbar Vergnügen. Am Ende spielt er doch wieder mit seiner
Propeller-Maschine. Tom hebt in ihrem Cockpit ab. Auf dem Heckflügel steht der Name: Liberty.
Oliver Wazola
Igor Strawinsky, The Rakes Progress; Dawn Upshaw (Anne Trulove), Jerry Hadley (Tom Rakewell),
Monte Pederson (Nick Shadow), Jonathan Best (Trulove), Jane Henschel (Baba the Turk) u.a.; Chor der Wiener
Staatsoper, Camerata Academica, Sylvain Cambreling; Regie: Peter Mussbach; Ausstattung: Jörg Immendorff,
Bildregie: Brian Large (1996)
Arthaus/Naxos DVD 100 254 (157)