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nmz-archiv
nmz 2002/05 | Seite 21
51. Jahrgang | Mai
Noten
Der Kobold zwischen den vier Händen
Progressive Anfängerliteratur fürs Pianisten-Duo
Zahlreiche Neuerscheinungen von Noten für Klavier vierhändig lassen den Rückschluß zu,
dass hier ein Bedarf besteht beziehungsweise erwartet wird. Tatsache ist, dass vierhändiges Klavierspiel
in Konzerten, in Radio-Programmen, im CD-Geschäft und im Unterricht gewinnt. Die hier vorgestellten Notenausgaben
stehen mit jedem dieser Hefte beispielhaft für einen bestimmten Sektor innerhalb des klaviervierhändigen
Gesamtkomplexes: Musik der Tradition, der Moderne, Musik mit pädagogischer Zweckbestimmung im engeren Sinn,
sowie Volks- und Popularmusik.
Friedrich Kiel: Zwei kleine Sonaten op. 6 (1850), Edition Dohr 99693
Nach einem Variationswerk und vier Humoresken für Klavier zu vier Händen, im Verlag Kunzelmann
erschienen, ist dies das dritte Werk Kiels in der Gattung, das durch Verlegerinitiative wieder in den Handel
gekommen ist. Im Gegensatz zu den Stücken von Loeschhorn sind diese Sonaten als kleine Konzertstücke
zu betrachten und für diverse Gelegenheiten, wie zum Beispiel Wettbewerbe, gut geeignet. Primo ist zwar
im allgemeinen Melodieträger, aber Secondo hat nicht nur einfache Begleitfunktion.
An vielen Stellen herrscht in beiden Sonaten ein Prinzip des Austauschs und Wechselspiels mit den musikalischen
Elementen. Nimmt man die 1. Sonate zur Hand, so lasse man sich nicht von dem vielleicht zunächst etwas
simpel erscheinenden Prinzip der unisono geführten Melodie im Diskant über einfach nachgeschlagenen
Akkorden im Bass irritieren. Es wird danach schnell anders, und spätestens in der Durchführung bestätigt
sich: Kiel hat Einfälle, die ergänzt werden durch souveräne Verarbeitung. Der Schwierigkeitsgrad
liegt für beide Spieler im Übergangsbereich von leicht zu mittelschwer, je nach dem auch, wie man
das Tempo von Vivace der 1. Sonate versteht.
Carl A. Loeschhorn: 15 Klavierstücke zu vier Händen zum Unterricht für Anfänger op. 86,
Boosey & Hawkes/Bote & Bock
Loeschhorn, von 1851 Klavierlehrer am Königlichen Institut für Kirchenmusik in Berlin, verdient,
als Komponist wieder entdeckt zu werden. In nach traditioneller Methode des Anfängerunterrichts konzipierter
Weise beginnt es bei diesen Stücken in der Nr. 1 im Fünftonraum auf weißen Tasten in Parallelbewegung
der Hände (unisono) mit langen Notenwerten und einfachen Tonfolgen, wobei allein der Part von Primo so
angelegt ist. Secondo anspruchsvoller im Satz mit der notwendigen harmonisch-klanglichen Unterfütterung
ist für den Lehrer kenntlich (kann natürlich auch ein anderer etwas fortgeschrittener Schüler
sein). Der Tonraum wird für Primo ausgeweitet und das Unisonospiel schrittweise durch selbstständige
Stimmführung ersetzt... Dies ist eine Tradition in der vierhändigen Anfängerliteratur von Diabelli
bis ins 20. Jahrhundert.Unterschiede waren vor allem im 19. Jahrhundert auf den Harmoniefaktor bezogen festzustellen.
Da hat Loeschhorn seine Inspiration spielen lassen. In seinen Stücken zeigt sich das durch eine persönliche
Note. Ein kluges Geleitwort mit einer ganzen Reihe nützlicher Hinweise ist dem Notentext in der
vorliegenden Ausgabe vom Herausgeber Gerhard Schroth vorangestellt. Als Beilage eine CD, die die Möglichkeit
gibt, den jeweils anderen Part auf CD-Player mitlaufen zu lassen. Ein Nachteil: Der Spieler muss sich dem
Tempo nach der Einspielung unterordnen, und die agogischen Feinheiten kommen nicht zum Tragen.
Otfried Büsing: Strepitolino (1999) für 1 Flügel zu vier Händen mit Neben-Instrumenten,
gravis EG 682
Das Stück steht als Beispiel für ein Werk aus unseren Tagen. Die Übersetzung des Titels zielt
auf einen italienischen Kobold, der unsichtbar Spieler und Hörer im Zeitraffer
von drei Minuten durch verschiedene Phasen der Avantgarde und andere musikstilistische Richtungen des 20.
Jahrhunderts zu begleiten scheint: Mit Spielpraktiken des Klaviers auf den Tasten und im Innenraum des Flügels,
wobei an den betreffenden Stellen ein Jazzbesen bei Primo und ein weicher Paukenschlägel bei Secondo
benötigt werden. Unabhängig von uneingegrenztem Umgang mit dem Klang ist doch eine Strukturierung
wahrnehmbar, die zum Wundern Anlass geben mag, wenn, etwa in der Mitte, plötzlich eine Passage in mehrfach
oktaviertem Unisono der vier Hände erscheint. An das Werk mit bemerkenswerter Aussagekraft können
sich vom spieltechnischen Schwierigkeitsgrad her auch schon weniger fortgeschrittene Spieler wagen.
Uwe Korn: Für kleine & große Hände, Doblinger 01 835
Zehn Tänze des klassischen U-Musik-Bereichs Cha-Cha-Cha, Rumba, Ragtime, Langsamer Walzer, RocknRoll,
Calypso, Walzer, Tango, Samba, Rock sind über ihre feststehenden rhythmischen Vorgaben hinaus
hinsichtlich Melodik, Klang, Struktur und Klaviersatz vom Komponisten oder Arrangeur kreativ geformt. Einige
Stücke möchte man nochmals zusätzlich lobend erwähnen: Nr. 1, 2, 4 und 8. Bei diesen so
positiv zu fällenden Urteil im Substanziellen ist die Information im Titel für die dort genannte
Zielgruppe irreführend. Auf dem Deckblatt der Notenausgabe und nochmals auf der Innenseite ist zu lesen
sehr leichte einstimmige Anfängerstücke mit Begleitung für Fortgeschrittene oder Lehrer.
Aber kein Stück hat einen einstimmigen Part, jedenfalls nicht durchgehend, weder Primo noch Secondo.
Und soweit mit Einstimmigkeit die unisono geführten Partien von Primo gemeint sein sollten, handelt es
sich meistens um Oktavräume und mehr, die mit entsprechender Mobilität von Fingern und Hand zu durchmessen
sind. Was mit sehr leicht in Literaturlisten und entsprechender Fachliteratur bezeichnet wird,
ist das nicht! Im Übrigen sind die Partien beider Spieler, von kleinen Nuancen abgesehen, in diesem Spielheft
dem gleichen Schwierigkeitsgrad zuzuordnen: Noch leicht!
Emmerich Bünemann: Sammelsurium. Leichte Spielmusik (Reihe: Musica Allegra), Trio Musik Edition MA-002
Hier liegt eine Sammlung von zwei Dutzend Stücken im Umfang von einer Zeile bis zu drei Doppelseiten
vor in traditionell harmonisch einfachem Satz. Zur Hälfte sind es Volkslieder aus Europa, den
USA und Israel. Ein paar Stückchen hat der Herausgeber beigesteuert, der auch als Arrangeur für
die meisten übrigen Sätze gelten dürfte. Unter ihnen befindet sich Ich bin der Schneider
Kakadu, dem Thema aus Beethovens Klaviertrio op. 121 folgend. Der Zielgruppe , Anfänger
bis mittleres Können entspricht die Konzeption im Notenband. Es gibt für Primo auch Stücke
im Fünftonraum. Die Anordnung berücksichtigt im weiteren Verlauf aber nicht konsequent die Progression
in der Schwierigkeit. Auch bei Secondo befindet sich gelegentlich ein etwas leichterer Part.