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nmz-archiv
nmz 2002/05 | Seite 30
51. Jahrgang | Mai
ver.die
Fachgruppe Musik
Der Träger ist immer der Gärtner
Ein Musikschulgesetz muss her, sonst gehts weiter bergab · Von Erwin Fischer
Die deutsche Wiedervereinigung ebnete auch den Weg für die Zusammenführung von zwei relativ unabhängig
gewachsenen Musikschulsystemen, wobei diese Zusammenführung von hohen Erwartungen begleitet war. Heute
ist eine enttäuschende Bilanz zu ziehen. Die Fusion der beiden Systeme erschöpfte sich in der völligen
Übernahme des Systems der alten Bundesländer. Lediglich das 1973 gegründete Rundfunk-Musikschulorchester
wurde als Deutsches Musikschulorchester übernommen und als stets geachtetes Glanzstück jugendlichen
Musizierens erhalten. Eine Bilanz der Entwicklung.
Die Entwicklung der Musikschulen in den neuen und alten Ländern ist seit der Wende durch empfindliche
Sparmaßnahmen gekennzeichnet. Sie drückt sich in Stellenreduzierungen, Gebührenerhöhungen,
höheren Wochenstundenzahlen für hauptamtliche Lehrer und in Herauslösungen aus stabilen Finanzierungssystemen
der Länder und Kommunen aus, wozu besonders Umwandlungen zu GmbH, e.V. oder Privatmusikschulen zählen.
Diese gravierenden Sparmaßnahmen mussten unweigerlich zu Niveaubrüchen und irreversiblen Konsequenzen
führen. Die mit hauptamtlichen Lehrern ideal bedachten Musikschulen in Ostberlin büßten durch
KW-Vermerke und Einstellungssperren seit 1989 etwa ein Drittel ihrer festen Planstellen ein. Niveaumindernd
kam hinzu, dass die Lehrer in den neuen Ländern eine Erhöhung ihrer Wochenstunden von 24 auf 33 hinnehmen
mussten. In der Summe der Sparmaßnahmen sanken die Stützungsbeträge von 55 auf 41,9 Prozent;
in Berlin jährlich um durchschnittlich ein Prozent.
Anders ausgedrückt: Die Unterrichtsgebühren haben eine Höhe erreicht, die wachsenden Bevölkerungsanteilen
den Ausbildungszugang verwehren. Perspektivisch und in der Konsequenz bedeutet dies eine zunehmende Privatisierung
der Musikschulen und damit auch das Ende der in den 20er-Jahren in Berlin von Jöde und Kestenberg ins Leben
gerufenen Volksmusikschulbewegung.
Man muss kein Rechenkünstler sein um zu überschlagen, dass der Schüler beziehungsweise seine
Eltern für eine marktwirtschaftlich sich tragende Ausbildung an einer finanziell ungestützten Musikschule
durch Personal- und Verwaltungskosten, Kosten für Instrumentarium, für Mieten, Pacht und sonstige
Wirtschaftsaufwendungen bei 45 Minuten Einzelunterricht monatlich zwischen 100 und 150 Euro hinblättern
müsste. Auch die Strukturkommission der Berliner Musikschulen bei der Senatsverwaltung stellte in ihrem
respektablen Abschlussbericht fest, dass die Musikschulen zur staatlich abzusichernden Grundversorgung
gehören, die nicht kommerziellen Einrichtungen überlassen werden darf, denn die Musikschulen sichern
die Zugänglichkeit zum Musikunterricht und zur Musikkultur für sozial- und bildungsbenachteiligte
Bevölkerungsgruppen, die andernfalls von den Förderungen musischer Kompetenz und Kreativität
ausgeschlossen blieben.
Alternativlösungen ob GmbH, e.V. oder im Yamaha-Franchise-System gehen bestenfalls für
den Träger auf, nicht aber für die Lehrer oder die Schüler einer Ausbildung auf klassischen Instrumenten.
Der immer häufiger angebotene Gruppenunterricht mit vier Schülern ist für Träger und Lehrer
gleichermaßen nur dann effizient, wenn die Gruppe vollzählig ist. Das ist jedoch bei den meisten
Instrumenten illusorisch.
Instrumentale Musikerziehung ist gesellschaftlich nur dann effektiv, wenn sie mindestens sieben Jahre kontinuierlich
und systematisch betrieben werden kann. Sie darf daher weder konjunkturellen Tiefs, noch wechselhaften Sponsoren
oder unregelmäßigen Projektzuschüssen ausgesetzt sein. Ein temporärer Entzug öffentlicher
Mittel reißt Lücken, die nur sehr langfristig wieder geschlossen werden können.
Jetzt rächt es sich, dass es weder dem VdM, noch dem Musikrat, der Gewerkschaft oder der Kultusministerkonferenz
gelungen ist, in Form eines Musikschulgesetzes einen rechtlichen Mindeststatus zu sichern. Empfehlungen des
VdM, etwa die indirekte Absicherung über Bildungsgesetze, haben empfindliche Eingriffe in die Strukturen
nicht verhindert. Zwei Beispiele nur:
Vom VdM wurde im Handbuch von 1977 bilanziert, dass die Wochenstundenzahl für 75,4 Prozent der Musikschullehrer
28 Pflichtstunden betrug. Entgegen den damit verbundenen Empfehlungen und den generell rückläufigen
Arbeitszeiten konnte der VdM eine Anhebung auf 33 beziehungsweise 34 Wochenstunden nicht verhindern, die ganz
erheblich zu Lasten von Schulorganisation und Ausbildungsniveau geht.
In den Planungshinweisen des VDM für die Jahre 1984 bis 1991 wird die Zielorientierung für Anteile
von hauptamtlichen und nebenamtlichen Lehrern mit 50 zu 50 Prozent angegeben. Erreicht wurde diese Zielstellung
bei weitem nicht. Am weitesten entfernt davon ist der Westteil von Berlin, wo an einigen Musikschulen nur Schulleiter
und Stellvertreter hauptamtlich angestellt sind. An Musikschulen Ostberlins bestritten die hauptamtlichen Lehrer
sogar bis zu 80 Prozent des Unterrichts. Trotz der Abschiedssinfonie für Hauptamtliche nach der Wende und
der KW-Vermerke dürfte das Verhältnis der Anstellungsverhältnisse allerdings noch im Rahmen der
Planungshinweise liegen.
Der Regierungswechsel zu Rot-Grün und die Berufung eines Staatsministers für Kultur und Medien weckten
zumindest die Erwartungen, dass den Rotstiften in der musischen Erziehung und Bildung Einhalt geboten werden
würde. Doch angesichts des herrschenden Föderalismus und der kommunalen Trägerschaft von Musikschulen
sowie der Sparzwänge von Kommunen haben solche Erwartungen keinen realistischen Boden.
Dennoch: Was wären die Eckpunkte eines längst überfälligen Musikschulgesetzes? Jeder Vorschlag
wird lückenhaft sein, so auch der folgende: Für ein Gesetz müsste eine Grundorientierung für
den finanziellen, strukturellen und rechtlichen Status der öffentlichen Musikschulen und ihrer gesellschaftlichen
Funktionen erarbeitet werden. In Berlin wurde in einem Gremium aus Senats-, Musikschul- und IG-Medien-Vertretern
ein respektabler Strukturplan für die Zukunft der dortigen Schulen entwickelt. Er orientiert sich unter
anderem am Erhalt kommunal etwa zu 50 Prozent gestützter öffentlicher Musikschulen, an der finanziellen
Verträglichkeit für alle Bevölkerungsschichten und nennt den minimalen Versorgungsgrad mit Musikschulen
in Relation zur Einwohnerzahl.
Ein Gesetz müsste Aussagen treffen zur Proportion zwischen haupt- und nebenamtlicher Lehrkapazität,
zu Unterrichtsorten und Pflichtstundenzahlen und zu Abminderungsstunden für Schul- und Fachbereichsleiter.
Erarbeitet werden müssten in Folge tarifliche Regelungen für hauptamtliche und nebenberufliche Lehrkräfte
sowie Fortbildungsanforderungen.
Empfehlungen des VdM zu Fachbereichen, Leistungsstufen, Prüfungen und Wettbewerben sollten in das Gesetz
einfließen. Schließlich müsste die Frage nach Lehrplänen und ihrer Verbindlichkeit diskutiert
werden.
In der Übergangsphase zur Wiedervereinigung wurden in einigen neuen Bundesländern bereits Entwürfe
für Musikschulgesetze erarbeitet, denen manche Anregung entnommen werden kann. Ein Beispiel für einen
Entwurf bietet zum Beispiel das Land Brandenburg. Bei allen aus Sparzwängen entwickelten Abwandlungen und
Beschneidungen vieler öffentlicher Musikschulen ist ihre gesicherte Grundausstattung längst überfällig.