nmz 2002 | Seite 24 f.
51. Jahrgang
Sonderausgabe
Statements
Statements
S(anderling) bis T(hierse)
Kurt Sanderling Dirigent
Beata Schanda Vorsitzende des Europäischen Musikrates
Oliver Scheytt Bildungs- und Kulturdezernent der Stadt Essen, Präsident
der Kulturpolitischen Gesellschaft
Manfred Schoof
Jazzmusiker
Irene Schulte-Hillen Vorsitzende des Vorstandes der Deutschen Stiftung Musikleben
Dagmar Sikorski Präsidentin des Deutschen Musikverleger-Verbandes, Vorstandsvorsitzende
des Verbandes Deutscher Bühnen- und Medienverlage
Prof. Dr. Inka Stampfl
Präsidentin des Deutschen Tonkünstlerverbandes
Christian Thielemann
Dirigent
Wolfgang Thierse
Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie
Wichtiger Praxistest
Der Einrichtung des Dirigentenforums beim Deutschen Musikrat messe
ich ganz außerordentliche Bedeutung bei. Die Ausbildung junger
Dirigenten findet ja im Wesentlichen ohne ihr Instrument, also ohne
ein lebendiges Orchester, statt. Und so stellt die Möglichkeit,
dass sich wenigstens ein paar besonders begabte junge Dirigenten
einige Tage unter der Anleitung eines erfahrenen Mentors in der
Praxis erproben können, eine gar nicht hoch genug einzuschätzende
Erfahrung dar. Kurt Sanderling, Dirigent
Auf den Musikrat zählen
Ich war sehr überrascht und tief entsetzt zu hören,
dass der Deutsche Musikrat – kann es wahr sein – sich
in einer Krisensituation befindet. Jede Gefährdung des Deutschen
Musikrates ist zugleich eine Gefährdung des gesamten europäischen
Musiklebens und seiner Organisationsstruktur.
In den vergangenen Jahrzehnten bin ich in verschiedenen europäischen
und internationalen Musikorganisationen tätig gewesen. Von
welcher Seite man auch immer auf das Musikleben sah, die guten Beispiele
kamen für gewöhnlich aus Deutschland. Sie dienten als
Modell für musikalische Organisationen und nationale Musikräte.
Ein Musikrat, der hohe Verantwortung hat; Verantwortung und Macht,
die Fachleuten von Politikern verliehen werden. (Ein Zustand, um
den er von anderen Musikräten Europas beneidet wird!) Ein Musikrat,
der eine Plattform für Diskussion und Austausch darstellt;
der für die Werte der Vergangenheit eintritt und der Zukunft
Aufmerksamkeit schenkt. Ein Musikrat, der Fachorganisationen wie
Projekte vereint. Projekte, die sich mit besonderer Aufmerksamkeit
jungen Musikern zuwenden und diesen Hilfestellungen und Einführung
bieten in das professionelle Musikleben ihres Heimatlandes einerseits
und hin zum internationalen Niveau andererseits. Ein Musikrat, der
sich auf das Fachwissen vieler und den Enthusiasmus noch vieler
mehr verlassen kann: den seiner Mitglieder und den Partnern seiner
Mitglieder. Ich muss hinzufügen, dass der Deutsche Musikrat
eine wichtige Rolle im Internationalen und Europäischen Musikrat
eingenommen hat und einnimmt. Nicht nur, weil er ein gut etabliertes,
aktives Mitglied ist, und nicht nur durch regelmäßig
engagierte Fachleute in verschiedenen Gremien und Ausschüssen,
sondern auch durch das Sekretariat des Europäischen Musikrates,
das ihm seit dem Jahr 2000 angeschlossen ist. Dies ist ein unschätzbarer
Dienst, der eine große Ermutigung zu weiteren Zukunftsplänen
darstellt: den EMC zu einer stärkeren und wahrnehmbaren Organisation
zu machen; der seinen Mitgliedern und letztlich der Sache der Musik
dient und dadurch der Kultur und menschlichen Beziehungen! In der
Erfüllung dieses Auftrags wollen und müssen wir auf den
Deutschen Musikrat zählen. Ich hoffe, das gilt auch für
die Zukunft! Beata Schanda, Vorsitzende des Europäischen Musikrates
Qualifizierte Förderung
Keine
andere Kultursparte spricht so viele Menschen an, bewegt so viele
Herzen und Köpfe wie die Musik. Musik umgibt uns tagtäglich
von morgens bis nachts in und auf allen Kanälen. Das Musikerlebnis
im Konzert, das eigene Musizieren von Millionen Menschen bereichert
jeden Einzelnen, Staat und Gesellschaft.
Der Dachverband aller Musikorganisationen, der zugleich Träger
von „Leitprojekten“ für das deutsche Musikleben
ist, ist unverzichtbar. Die Not, in die er geraten ist, betrifft
alle, gerade auch das Verbandsgeflecht der Kulturorganisation in
der Bundesrepublik. Den Ursachen ist rasch und konsequent nachzugehen.
Doch angesichts der Bedeutung des Deutschen Musikrates darf dieser
jetzt nicht mit seinen Problemen allein gelassen werden, Fingerzeige
helfen nicht weiter.
Auch in dieser Krise steckt eine Chance: Die seit langem diskutierte
innere Verbandsstruktur muss vom Prüfstand wegkommen. Dringend
erforderlich ist eine konzeptgestützte Neuorganisation, die
rasch umgesetzt werden sollte. Die Staatsministerin für Kultur
und Medien und die Landeskulturministerien sollten gemeinsam reflektieren,
wie in Zukunft die hauptamtliche Organisation der deutschen Kulturverbände
insgesamt und des Musikrates im besonderen personell und finanziell
so ausgestattet werden kann, dass eine qualifizierte institutionelle
Förderung sicher gestellt ist, so dass nicht immer wieder aus
der Versuchung eine Notwendigkeit wird, Mittel aus der Projektförderung
in die kontinuierliche Verbandsfinanzierung umzuleiten.
Die Zusammenarbeit im Haus der Kultur in Bonn hat sich grundsätzlich
bewährt, Standortfragen aber werden bei der Reorganisation
auch eine Rolle spielen. Auch in soweit ist die Diskussion um die
Zukunft des deutschen Musikrates keine isolierte Problemstellung.
Die weltweit einzigartige Vielfalt und Kultur des Musiklebens in
der Bundesrepublik braucht einen starken Musikrat. Dafür tragen
alle Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker gemeinsam Verantwortung.
Oliver Scheytt
Bildungs- und Kulturdezernent der Stadt Essen, Präsident der
Kulturpolitischen Gesellschaft
Tragendes Element
Der Deutsche Musikrat ist mit allen seinen Institutionen und Wirkungskreisen
ein unverzichtbares tragendes Element im deutschen Kulturleben und
auch gegenüber dem Ausland. Es ist unvorstellbar, dass eine
deutsche Regierung das Verschwinden dieser Institution zulässt.
Würde dies trotzdem geschehen, dann würde bei einer etwaigen
Kultur-Pisa-Studie die Bundesrepublik bald den letzten Platz einnehmen.
Man wagt es sich nicht vorzustellen! Manfred Schoof, Jazzmusiker
Chance nutzen
Seit
ihrer Gründung im Jahre 1962 durch die Hamburger Kaufleute
Sikorski und Essen arbeitet die Deutsche Stiftung Musikleben eng
mit dem Deutschen Musikrat zusammen. 40 Jahre lang haben wir den
Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ und später
vor allem das Bundesjugendorchester mitfinanziert, in den Leitungsgremien
mitgearbeitet und manchmal auch gemeinsam große Projekte realisiert.
Die Mitglieder der Deutschen Stiftung Musikleben, teilweise bereits
Kinder und Enkel der Gründer, setzen ehrenamtlich ihre Kraft
und Zeit für die Förderung des hochbegabten Nachwuchses
in der Klassik ein. Viele Hundert Mäzene, Privatpersonen und
Unternehmen, spenden uns kleine und große Beträge, die
zu einem großen Teil wieder in die Projekte des Deutschen
Musikrates fließen. Eigene Projekte wie der Deutsche Musikinstrumentenfonds
wenden sich an die erfolgreichen Teilnehmer der Wettbewerbe des
Deutschen Musikrates. Unsere tägliche Arbeit ist eng vernetzt.
Satzungsgemäß zielen wir in die gleiche Richtung wie
der Deutsche Musikrat, allerdings beschreiten wir dabei oft unterschiedliche
Wege.
In den vergangenen Jahren ist unsere Kooperation zunehmend mühsam
geworden. Wir sehen deshalb in der augenblicklichen Krise des Deutschen
Musikrates auch die Chance, unsere Zusammenarbeit neu zu gestalten.
Wichtigste Voraussetzung dafür aus unserer Sicht ist eine klarere
Struktur in den Gremien des Deutschen Musikrates und eine größere
Transparenz in der Kommunikation nach innen und außen.
Unsere Partnerschaft wird nur dann wieder etwas bewegen, wenn beide
Seiten gut aufgestellt sind. Nur dann haben auch unsere Förderer
Freude an uns. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten brauchen
wir einen selbstbewussten, um nicht zu sagen kampfstarken Partner.
Wir wünschen dem Deutschen Musikrat, dass er unter Führung
des neuen Generalsekretärs die Chance für einen Neuanfang
bekommt und nutzt. Irene Schulte-Hillen
Vorsitzende des Vorstandes der Deutschen Stiftung Musikleben
Unverzichtbar
Die
Arbeit des Deutschen Musikrates ist in jeder Beziehung unverzichtbar.
Der musikalische Nachwuchs unseres Landes profitiert in gleichem
Maße von seinem Engagement wie die staatlichen und privaten
Institutionen, die Wettbewerbe und die Musikwirtschaft, für
die ich als Vertreterin des Deutschen Musikverlegerverbandes hier
spreche.
Das breite Spektrum der Arbeit des Musikrates zeigt sich nicht
nur an den erfolgreich durchgeführten 16 Projekten, wie zum
Beispiel „Jugend musiziert“, das Bundesjugendorchester,
das Bundesjazzorchester, die Förderung zeitgenössischer
Musik und so weiter, sondern auch an der inhaltlichen Vielfalt der
Fachthemen, die in den Ausschüssen des Musikrats im Interesse
des Musiklebens in Deutschland kompetent erörtert und Lösungen
zugeführt werden: zu nennen wären hier die Bundesfachausschüsse
für Laienmusizieren, Musikberufe, Musik und Medien, Musikpädagogik,
Musikurheber, Musikwirtschaft und für populäre Musik.
Seit beinahe fünfzig Jahren hat der Deutsche Musikrat die
musikalische Entwicklung unseres Landes nicht nur begleitet, sondern
auf Bundesebene die Interessen aller Musikbereiche – auch
die der populären Musik – maßgeblich beeinflusst.
Repräsentative Auslandsreisen deutscher Ensembles wurden durch
seine Förderungsgelder ermöglicht, internationale Bildungs-
und Kulturhilfe, insbesondere die Unterstützung asiatischer,
afrikanischer und südamerikanischer Länder haben wir seinem
Engagement zu verdanken. Darüber hinaus hat sich der Musikrat
in vorbildlicher Weise stets als Sprachrohr der musizierenden Laien
und Profis verstanden und sich beispielhaft für sie eingesetzt.
Kultur kostet Geld! Der Deutsche Musikrat hat immer bereitwillig
und verantwortungsbewusst Mittel zur Verfügung gestellt, mit
dem Erfolg, dass in keinem europäischen Land seit den zurückliegenden
fünfzig Jahren eine vergleichbar vielfältige Kulturlandschaft
entstanden ist wie in der Bundesrepublik Deutschland. Der Deutsche
Musikrat ist mehr als eine Institution, er ist ein unverzichtbarer
Bestandteil unseres Kulturlebens. Dagmar Sikorski
Präsidentin des Deutschen Musikverleger-Verbandes, Vorstandsvorsitzende
des Verbandes Deutscher Bühnen- und Medienverlag
Dach muss bleiben
Der
Deutsche Tonkünstlerverband (DTKV) hat den Deutschen Musikrat
mit aufgebaut und ihn all die Jahre mit Rat und Tat begleitet. Gerade
die großen Förder-Projekte des Musik-rates, Jugend musiziert,
die Laien-musik-Wettbewerbe, das Musik-Infor-mationszentrum oder
das Bundesju-gendorchester - von der Förderung zeitgenössischer
Musik ganz zu schweigen - benötigen zum Erhalt ihrer Qualität
die Kompetenz eines starken Dachverbandes. Wir bitten daher die
geldgebenden Institutionen nachdrücklich, die Existenz eines
solchen Daches zu gewährleisten. Prof. Dr. Inka Stampfl, Präsidentin des Deutschen Tonkünstlerverbandes
Einzigartige Institution
Zu
Beginn meiner Karriere wurde ich vom Deutschen Musikrat gefördert
und erhielt die wunderbare Gelegenheit, im Rahmen der Konzerte Junger
Künstler in Hannover aufzutreten. Heute muss ich nun hören,
dass diese einzigartige Institution des deutschen Musiklebens zur
Förderung des musikalischen Spitzennachwuchses in seiner Existenz
bedroht ist. Dies muss verhindert werden.
Mit allem Nachdruck unterstütze ich den Aufruf des Deutschen
Musikrates und appelliere an die Kulturstaatsministerin Weiß,
den Fortbestand dieses für das deutsche Musikleben so wichtigen
Verbandes zu garantieren. Christian Thielemann, Dirigent
Neuorientierung nötig
Für
die Kultur in Deutschland ist der Deutsche Musikrat wichtig. Er
vernetzt sämtliche musikalischen Arbeitsfelder vom Berufs-
und Laienmusiker über die musikalische Bildung bis hin zur
Musikwirtschaft. Dieses Netzwerk ist über Jahrzehnte gewachsen
und steht heute einzigartig da im europäischen Vergleich. Förderprojekte
für den musikalischen Nachwuchs und die zeitgenössische
Musik auf regionaler, Landes- und Bundesebene, der Wettbewerb ”Jugend
musiziert“, das Bundesjugendorchester und das Bundesjazzorchester
nehmen feste Plätze im vielgestaltigen Musikleben Deutschlands
ein, aber auch weniger spektakuläre Projekte wie das Forum
für junge Dirigenten oder die CD-Dokumentation neuer Musik
aus den letzten 50 Jahren in Ost und West sind notwendig und wurden
im Deutschen Musikrat möglich.
Jetzt habe ich mit Besorgnis von den finanziellen Nöten dieses
Verbandes gehört – er ist mit 8 Millionen Mitgliedern
ja nicht irgendwer, sondern der größte Verband im Deutschen
Kulturrat. Natürlich muss wirtschaftliche Verantwortung wahrgenommen
werden, doch gilt es Alternativen zu Insolvenz und Zerschlagung
sorgfältig zu prüfen. Oberstes Gebot muss sein, kein Kulturprojekt
des Deutschen Musikrats zu gefährden. Dazu braucht es einvernehmliche
Lösungen, dazu braucht es eine Neuorientierung und arbeitsfähige
Trägerstruktur aller Aktivitäten des Deutschen Musikrates,
wie auch der Unterstützung durch die Bundesregierung. Wolfgang Thierse,
Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie
United Jazz & Rock Ensemble –
Wolfang Dauner, Volker Kriegel, Albert Mangelsdorff Verband deutscher Musikschulen Wolfgang Wagner Festspielleiter Bayreuther Festspiele Harald Wagner Geschäftsführer Bildung und Begabung e.V., Bonn Ulf Werner Geschäftsführer Ensemble Resonanz, Hamburg Hermann Wilske Vorsitzender des Verbandes Deutscher Schulmusiker Baden-Württemberg Lothar Zagrosek Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart / Erster Gastdirgent
und Künstlerischer Berater der Jungen Deutschen Philharmonie Jürgen Zech Vorstandsvorsitzender des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft
im BDI e.V. Hans Zender Komponist und Dirigent Frank Peter Zimmermann
Musiker Udo Zimmermann Generalintendant der Deutschen Oper Berlin