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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 32
52. Jahrgang | April
Bayerischer Musikrat
Kulturförderung ohne Abstriche
Bayerischer Musikrat fordert „Bildungspakt Musik“
Angesichts der bundesweit festzustellenden rückläufigen
Tendenz von musikalischen Bildungsangeboten hat der Präsident
des Bayerischen Musikrates und Intendant der Hofer Symphoniker,
Wilfried Anton, zu einem Bildungspakt Musik aufgerufen. Im Vorfeld
zur Eröffnung der Frankfurter Musikmesse machte Anton deutlich,
dass Deutschland als Kulturnation nur dann bestehen kann, wenn
die Infrastruktur der musisch-kulturellen Bildung auf Dauer abgesichert
und der breiten Bevölkerung zugänglich ist. „Wenn
Sparpakete geschnürt werden, steht die Kulturförderung
als erstes auf dem Prüfstand“, kritisierte Anton. „Müssen
Schulstunden eingespart werden, kommen Musik und Kunsterziehung
oft genug als erstes unter die Räder oder werden in unverbindliche
Wahlfachangebote abgedrängt. Dabei ist es doch gerade die ästhetische
Bildung, die den Kindern und Jugendlichen ein Wertebewusstsein
und zugleich eine kritische Medienerziehung vermittelt”,
sagte Anton.
Im Hinblick auf die PISA-Studie
warnte Anton davor, jetzt einseitig auf kognitive Fächer wie
Deutsch oder Mathematik abzuheben. „Natürlich müssen unsere
Kinder richtig Lesen und Rechnen können. Doch auch hier belegen mehrere,
unabhängig voneinander erstellte, wissenschaftliche Studien, dass Schüler/-innen
mit verstärktem Musikunterricht im Durchschnitt zugleich bessere Leistungen
in den kognitiven Fächern erbringen. So haben sich Lesefähigkeit,
räumliches Denk- und Abstraktionsvermögen sowie die
Konzentrationsfähigkeit, das Team- und allgemeine Sozialverhalten bei
musikgeförderten Kindern und Jugendlichen erheblich verbessert – sogar
in Klassen in denen versuchsweise zugunsten des zusätzlichen Musikunterrichtes
weniger Wochenstunden in Deutsch, Mathematik oder einer Fremdsprache erteilt
wurden. Entgegen ursprünglicher Befürchtungen erzielten also die
Probanden am Schuljahresschluss dieselben, vielfach sogar bessere Ergebnisse
als ihre Mitschüler/-innen der Vergleichsklassen.“
Musik für breite Kreise
Anton sieht darin zugleich neuere Ergebnisse hirnphysiologischer
Untersuchungen bestätigt: „Nicht etwa wir Musiker,
sondern unbestechliche Naturwissenschaftler und Mediziner haben
festgestellt, dass die Intensität der gleichzeitigen Ansprache
beider menschlicher Hirnhälften bei solchen Testpersonen
am stärksten war, die ein Musikinstrument spielen oder gelernt
haben. Umso wichtiger ist es daher, dass das Erlernen eines Instruments
kein Privileg von Besserverdienenden sein darf, sondern breiten
gesellschaftlichen Kreisen zugänglich sein muss. Infolgedessen
ist es bildungs- und gesellschaftspolitisch der falsche Weg,
dass schon jetzt die ersten Sing- und Musikschulen geschlossen
werden und weitere dieser Einrichtungen in ihrer Existenz bedroht
sind. Hier nur auf kurzfristige Einsparpotentiale zu schielen
ist nicht weit genug gedacht und verspielt leichtfertig ein Investitionspotential
in das kostbarste Humankapital unserer Gesellschaft, in unsere
Jugend. Richtig ist vielmehr die Sing- und Musikschulen flächendeckend
auszubauen und abzusichern, um landesweit musikpädagogische
Qualität zu sozial verträglichen Preisen zu gewährleisten.“
Für Anton soll musikalische Bildung so früh wie möglich
einsetzen – spätestens im Kindergarten. „Viele
Leiter/-innen von Kindergartengruppen haben in ihrer Ausbildung
nicht gelernt, mit Kindern spielerisch zu musizieren, zu singen
oder zu tanzen. Ich erhoffe mir vom im Entstehen begriffenen neuen
Bildungs- und Erziehungsplan, dass sich hier bald etwas ändert.
Ein erster Schritt in die richtige Richtung würde sein, die
Kindergärten wieder – wie früher – ministeriell
Unterricht und Kultus zuzuordnen.“
Soziale Belange
Wichtig ist für Anton, dass musische Bildung nicht als Förderung
eines einzelnen Faches, sondern als gesamtgesellschaftliches Anliegen
wahrgenommen wird. „So, wie sich die Hofer Symphoniker, nicht
nur als künstlerisches, sondern als musisch-soziales Instrument
und Dienstleister für die Region verstehen, gilt auch für
die Musik allgemein, dass sie durch ihre Transferwirkungen weit über
sich selber hinausgreift.
Wir brauchen daher einen Bildungspakt Musik, an dem sich nicht
nur wir Musiker/-innen, sondern alle gesellschaftlichen Gruppen,
der Sport, die Kirchen, die Kultur-, Heimat- und Brauchtumsvereine
et cetera beteiligen, um die musisch-kulturelle Bildung sicherzustellen.
Denn ein Kulturstaat ohne musische Bildung entzieht sich seiner
Existenzgrundlage.“