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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 35
52. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Man spielt nicht mit der Liebe, denn dahinter lauert der Tod
Lustbetont und voll ironischer Bitterkeit: Manfred Trojahns „Limonen
aus Sizilien“ an der Kölner Oper uraufgeführt
Die Opernhäuser in deutschen Landen, aber auch außerhalb
unserer Grenzen stöhnen über Sparmaßnahmen ihrer
Geldgeber, über Premierenstornierungen, Chor-und Orchesterverkleinerungen.
Da darf man denn staunen, was trotz dieser Restriktionen besonders
in den letzten Wochen überall an Ur- und Erstaufführungen
herausgekommen ist. Über einige der neuen Werke berichten
wir in dieser Ausgabe: über Pascal Dusapins „Perelà“ in
Paris, Michèle Reverdys „Medée“ in Lyon,
Awet Terterjans „Das Beben“ in München und, auf
dieser Seite, über Manfred Trojahns „Limonen aus Sizilien“.
In der nächsten Ausgabe folgen Berichte über Pierre Bartholomées „Oedipe
sur la route“ in Brüssel, Azio Corghis „Senja“ in
Münster, O. Frandsens „IKON“ in Kopenhagen, Franz
Koglmanns „Fear Death by Water“ in Wien, Kääräs „Osiris“ in
Helsinki, Ian Wilsons „Hamelin“ in Flensburg sowie über
die zweite Inszenierung von Peter Ruzickas „Celan“ an
der Mainzer Oper.
Wo sind die Limonen aus
Sizilien? Daniel Kirch und Melanie Walz in einer Szene
aus Manfred Trojahns neuer Oper. Foto: Klaus Lefebvre
Wenn die Musik der Liebe
Nahrung ist, spielt weiter:
so sinniert der verliebte Herzog in Shakespeares schwermutsgetönter
Komödie „Was ihr wollt“ zu
Beginn: Ein Grundklang wird angeschlagen. „Komponieren ist für mich
vor allem ein lustbetonter Prozess“ – so verkündete der Komponist
Manfred Trojahn einmal in einem Gespräch. Trojahn, inzwischen ins sechste
Lebensjahrzehnt eingetreten (Jahrgang 1949), bewegt sich unverändert jünglingshaft
und verliebt in alles, was schön ist, in seinen Ideallandschaften, in
Shakespeares imaginärem Illyrien ebenso wie äußerst konkret
in Italien. Shakespeare huldigte er mit seiner abendfüllenden Oper „Was
ihr wollt“ (siehe oben!), an Italien fasziniert ihn besonders das Theater
und hier wiederum die nationale Originalerfindung der Gattung Oper. Charakteristisch
für Trojahn ist dabei, dass er sich für sein (italienisches) Bühnenentree
nicht ein beliebiges Schurkenstück wählte, sondern das höchst
komplexe und komplizierte Pirandello-Verwirrspiel um „Enrico“,
jene Figur, die glaubt, der Salierkaiser Heinrich IV. zu sein. Hier fand Trojahn
alles, was er für ein Opernlibretto als notwendig erachtet: eine spannungsvoll
verrätselte Handlung, die sich zugleich für musikalische Korrespondenzen
und Intensivierungen öffnet, und eine Handlung, die jedem kruden Realismus
abschwört, vielmehr ein künstliches, hochartifizielles Figurenspiel
vorführt, in dessen Aktionen sich das so genannte gesellschaftlich Relevante
in kühl beobachtender Distanz widerspiegelt.
Dem italienischen Theater ist auch Manfred Trojahns jetzt in
Köln uraufgeführte
neue Oper treu geblieben. Puccinis „Trittico“ vor Augen und im
Hinterkopf entschloss sich der Komponist zu einem Einakter-Projekt. Seinem
Librettisten Wolfgang Willaschek schickte er drei Dutzend italienischer Stücke,
aus denen schließlich drei für die Oper ausgewählt wurden:
Luigi Pirandellos „La morsa“ und „Lumie di Sicilia“ sowie
von Eduardo De Filippo „Amicizia“. Der Titel der zweiten Pirandello-Adaption
gab der Drei-Einakter-Oper den übergreifenden Titel: „Limonen aus
Sizilien“. Doch spielen besagte Früchte auch in den beiden anderen
Werken, in „Der Schraubstock“ (La morsa) und „Eine Freundschaft“ (Amicizia),
eine dramaturgisch und motivisch wichtige Rolle. Wolfgang Willaschek formte
und strukturierte die drei Geschichten so, dass sie in ihrem theatralischen
Gestus, in der Art der Figurenzeichnung und Figurenverknüpfung wie eine
Einheit wirken. In „Der Schraubstock“ erlebt man eine typische
Dreieckskonstellation: Frau zwischen Ehemann und Liebhaber. Scheinbar zufällig
erzählt der Ehemann von einem anderen Ehebruch in der Umgebung. Unerbittlich
treibt der Mann das verdeckte Verhör voran: The Turn of the Screw – die
Drehung der Schraube: Man wird an Brittens gleichnamige Oper erinnert. Als
der Mann schließlich der Frau androht, ihr die gemeinsamen Kinder zu
nehmen, erschießt sie sich. Lapidarer Schlusssatz der beiden Männer:
Du hast sie umgebracht. Zynischer kann die typische Schuldzuweisung nicht formuliert
werden.
Im zweiten Stück erscheint der inzwischen erwachsene Sohn aus der zerrütteten „Schraubstock“-Ehe.
Micuccio, so heißt er, hat einst seiner Jugendliebe ein Gesangsstudium
ermöglicht. Sie ist ein berühmter Star geworden, doch Micuccios Versuch,
die alten Gefühle und Beziehungen noch einmal zu beschwören, scheitert:
Er trifft auf eine völlig veränderte Person, die ihn kaum noch wahrnimmt.
Verschiedene Motive fließen hier zusammen: der Verlust einmal sicher
geglaubter Gefühle, die Veränderung des Menschen durch die Zeit,
auch die Gefährdung des Theater-Opern-Künstlers durch die Entfremdung
des eigenen Selbst. Das ständige Existieren in Rollen-Hohlformen bleibt
nicht ohne Folgen für die individuelle Persönlichkeit. Der Rest ist
Zerrüttung: Micuccio, alt und verbittert geworden, will von der einstigen „Freundschaft“ mit
Alberto nichts mehr wissen. Er verlangt, geistig verwirrt, nach einer früheren,
schon verstorbenen Geliebten. Zusammen mit der Schwester Micuccios spielt Alberto
in Verkleidungen die Personen vor, nach denen sich Micuccio sehnt: das alte
Spiel von Sein und Schein. Zynisch offenbart Micuccio seine früheren Beziehungen
zu Albertos Frau und dass deren Sohn von ihm ist. Alberto bricht zusammen:
Klappe! Aus! Die drei Geschichten sind nicht realistisch-psychologisch konzipiert,
sie zeigen vielmehr Situationen aus dem Menschenleben – wie das Leben
so spielen kann. Die Mechanistik bestimmt die Dramaturgie, der kühle Blick
auf Figuren und Konstellationen. Die Bühne von Ulrich Schulz schafft die
notwendige Distanz für die Beobachtung: Das Orchester sitzt auf der Szene,
agiert wird davor auf der Vorderbühne sowie auf einer installierten kleineren
Guckkastenbühne hoch über dem Orchester, was den Aktionen etwas Spielzeugartiges,
Verfremdendes verleiht. Günter Krämers Regie führt die Figuren
in diesem Sinne bei gelegentlichen „Rückfällen“ in ein
zu realistisches Spiel.
Manfred Trojahns Musik zeichnet sich durch einen distinkten Gestus
aus: Sie stützt, strukturiert, kommentiert die Aktionen. Sie entwickelt eine schöne
Beweglichkeit, Feingliedrigkeit und, wo angebracht, auch dramatische Schlagkraft.
Sie lullt nicht ein, sondern akkompagniert hellwach und klangsensibel die szenischen
Vorgänge und Personen.
Die vokalen Lineaments werden plastisch gezogen, die Sänger dürfen
sich über viele Gelegenheiten zu geschmeidiger Stimmentfaltung freuen:
Melanie Walz, Thomas Mohr, Andrew Collis, Daniel Kirch, Martin Finke und Julie
Kaufmann nutzen es bestens. Das Gürzenich-Orchester unter Jürg Henneberger
wirkt souverän, trifft den Stil der Musik ausgezeichnet. Nach einer Stunde
und zehn Minuten ist Trojahns „Kleines musikalisches Welttheater“ vorüber.
Zu kurz? Vielleicht komponiert er noch eine vierte, fünfte Geschichte
hinzu? Damit sich das Panorama zum Kosmos weitet.