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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 44
52. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Eine Walküre trägt Bubikopf
David Alden mit Wagners Götterdämmerung in München
Wagners Gesamtkunstwerke zeichnen sich nicht nur durch ein hohes
Maß an Komplexität aus, sondern verlangen von Regisseur
und Publikum Einfühlungsvermögen und Geduld. Wenn dann
mit dem Ring des Nibelungen ein musikalischer Gesellschaftsentwurf
an vier Abenden verwirklicht werden soll, kommt dazu noch ein
notwendig langer Atem aller Beteiligten. Dass das Pläne
machen das Eine, die Lebensläufe aber ein anderes sind,
mussten die Münchner Verantwortlichen bei ihrer jüngsten
Ringproduktion schmerzlich erfahren: Der für die Regie veranwortliche
Herbert Wernicke verstarb mitten in der konzeptionellen Arbeit
an der Walküre und jeder, der nun das Werk fortsetzen wollte,
hatte mit diesem Handicap zu leben.
Eigene Sichtweisen und
Bilderwelten: David Aldens „Götterdämmerung“.
Foto: Wilfried Hösl
Es ist also dem Amerikaner David Alden nicht hoch genug
zu danken, dass er eine Komplettierung des Rings ermöglichte.
Wurde bei Walküre noch nach den fast
fertigen Plänen Wernickes produziert, so sah man im Siegfried die Handschrift
Aldens bereits durchschimmern. Freilich blieb vieles noch unvermittelt und
zusammenhanglos. Um so deutlicher setzt der Regisseur in der Götterdämmerung
nun seine Sichtweisen und Bilderwelten von Wagners Untergangsvisionen in Szene.
Diese Götterdämmerung ist bei allem poppig, comichaftem Klamauk ein
düsteres Endzeitstück geblieben, das am Vorabend eines aufziehenden
Krieges eine besondere Symbolik ausstrahlt.
Dass Alden sich in erster Linie mit der Figur der Brünnhilde beschäftigt,
liegt nahe. Ist sie es doch, die sich an diesem letzten Abend der Tetralogie
von der liebend anhänglichen Gefährtin zur elektrahaften Rächerin
und weiter zur einfühlsamen modernen Frau entwickelt. Die Emanzipation
der männermordenden Walküre zur Bubikopf tragenden Intellektuellen
muss in München wohl zwischen dem Siegfried und der Götterdämmerung
stattgefunden haben. Wir sehen Brünnhilde und Siegfried im gemeinsamen
Schlafzimmer, ausgestattet mit allen Accessoires spätbürgerlicher
Intellektualität. Brünnhilde auf der Suche nach sich selbst als kettenrauchende
Chefredakteurin eines dieser bunten Societyblätter: das eigene Ende als
spannender Fortsetzungsroman.
Daneben ein Siegfried, dessen gesellschaftlicher Aufstieg vom
Umweltrevoluzzer zum anzugtragenden Superstar hintersinnig an so
manchen Politiker der Berliner
Politik erinnert. Brünnhildes Gegenspieler freilich ist der Hagen des
in jeder Sekunde souverän agierenden Matti Salminen. Er ist die graue
Eminenz im Hintergrund, der Stippenzieher und Spin-doctor, der abwechselnd
Gunter (Juha Uusitalo) und Siegfried (Stig Andersen) souffliert. Die Gegenwart
ist präsent, Wagner im 21. Jahrhundert angekommen; aber die Bildsprache
Gideon Daveys (Bühne und Kostüme) mag immer wieder und immer noch
verstören. Wenn Alberich im Zwiegespräch mit Hagen sein „Schläftst
du, Hagen mein Sohn?“ singt, so sehen wir statt seiner eine weiße
Ratte und folgerichtig beherrschen Ratten die Schlussszene, in der Alberich
der einzige Überlebende ist. Dass Alden den neuen Menschen Wagners nicht
traut und den Ratten das Feld überlässt, mag kritisieren, wer tatsächlich
anderer Meinung ist.
Musikalisch lag der Abend in den bewährten Händen von
Zubin Mehta, der das Bayerische Staatsorchester über sechs
Stunden mit hoher Professionalität über
alle Klippen der Wagnerschen Partitur leitete und dabei stets dafür
Sorge trug, dass trotz des ernomen Orchesterapparats, den Solisten genügend
Raum zur musikalischen Entfaltung bereitstand. Neben Gabriele Schnaut als
wagnererprobter Brünnhilde überraschte der dänische Tenor
Stig Anderson mit einem über weite Strecken lyrischen Siegfried. Besondere
Anerkennung erhielten Margarita De Arellano, Ann-Katrin Naidu und Hannah
Esther Minutillo als Abendkleid
tragende Rheintöchter, deren Charme Siegfried beinahe erlegen wäre.
Die Reaktionen des Publikums ähnelten denen der vorangegangenen Neuproduktionen.
Und wer sich keine Meinung bilden wollte, konnte bereits Wochen vor der
Premiere im Internet
lesen, dass auch diese Inszenierung durchzufallen habe. David Alden jedenfalls,
der die Walküre noch einmal inszenieren und so den Ring komplettieren
wird, ist es mit seiner Interpretation der Götterdämmerung gelungen,
die Bedeutung Münchens als Wagnerstadt nachhaltig zu verteidigen.