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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 34
52. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Stimmige Second-Hand-Nostalgie
„Frankfurt Contemporary String Quartet“ bei musica
viva
Im zeitgenössischen Konzertbetrieb tummelt man sich heute
gerne in Grenz- oder besser Crossover-Bereichen zu Rock und Pop
und schlägt hiermit den Altavantgardisten mit ihren so statuarischen
Kunstkriterien
(wie Differenzierung, Komplexität, Materialerweiterung) ein
Schnippchen. Es hat ein wenig von Wellness-Kultur, die hier Platz
zu greifen sucht.
Das klassische Streichquartett hat sich in diesem Bereich staunenswerterweise
eine veritable Position gesichert, vor allem das mit Haftmikrophonen
elektronisch verstärkte. Die Anstrichakzente werden aggressiver,
markieren Beat und harte Cuts, das Handgelenk kann betont locker
agieren und erzeugt gleichwohl herbe Akzente. Die Attack-Frequenzen
werden größer. Auf dieser Basis ist in letzter Zeit,
angeführt von den Kronos-Leuten, eine stattliche Zahl von
Formationen entstanden, parallel dazu vermehrte sich die Literatur.
Auch das „Frankfurt Contemporary String Quartet“ (eine
Sektion des Ensemble Modern) reiht sich da ein und erhebt zugleich
und zu Recht den Anspruch eines Spitzen-Ensembles.
Das Konzert war zweigeteilt. Zunächst gab es drei Stücke „Steichquartett
Plus ...“. Sie stammten von einer Gruppe von Musikern, die
mit den „HCD-Productions“ ein eigenes Label gründeten:
Dietmar Wiesner, Cathy Milliken und Hermann Kretschmar. Alle drei
sind nicht als Komponisten sui generis zu bezeichnen, was sich
letztlich auf die Qualität des Gebotenen niederschlug. Es
waren virtuose Fingerübungen, die von den Interpreten stupende
Präsenz forderten, aber jede auf ihre Weise ins Leere liefen.
Das war bei Wiesners „Zong“ mit seinem heftigen Streichergewitter
ebenso, wie in Millikens kryptisch geflüsterten „6
Memos“,
in denen sich zu Flötenklängen querständig zwischen
stilistischen Bezirken vagierende Streichergeflechte ansiedelten.
Und Kretschmars „Plötzlich ging die Sonne aus“ brachte
immerhin eine Begegnung mit dem wendig frischen New-Generation-Moderator
der 70er-Jahre Ilja Richter, der mittlerweile in Wesen und Erscheinung
einige Patina angesetzt hat. Über einem barockisierenden Concerto-Ground,
wie ihn der etwa der Filmmusiker Michael Nyman so griffig zu gestalten
versteht, skandierte Richter Texte von Konrad Beyer aus der skurril
antilogischen „Wiener Gruppe“, die vor 50 Jahren den
Begriff von Literatur neu aufmischte. Immerhin: Richter schaffte
den Spagat in eine ihm fremde Welt und die Spreizmühen gaben
dem Ganzen einen eigenen Reiz.
Im zweiten Teil folgte ein 120-minütiges Wandelkonzert von
Bernd Thewes (geb. 1957): „Wait for the Ricochet“:
ein trans-konzertantes Ereigniss für Pressluftgeiger, Streichquartett
und Klanginstallation nach dem Song „Child in Time“ der
Rockgruppe Deep Purple. Klammheimlich hatte das Publikum beschlossen,
den Wandelcharakter in dieser Überlängedarbietung zum
eigenen Verchwinden zu nutzen. Diese an sich verständliche
Maßnahme, denn die Prinzipien des transkonzertanten Ereignisses
waren schnell zu überblicken, wurde letztlich dem Stück
nicht gerecht. Ein großer Aufbau hatte Klangvorhänge
installiert, eine mit der Spitze nach unten hängende Pyramide
aus 49 Kassetten-Recordern, ein echtes Streichquartett, eben die
Frankfurter Gruppe, mit wechselnden Aufstellungen und, als Hauptattraktion,
ein über Pressluft und Schwellkörper mechanisch betriebenes
Quartett mit all seinen Frühroboter-Beschränkungen. Computer
lenkten die zeitlich und klanglich genau vorformulierten Raumaktionen.
Die Zeit verging und nach und nach gewannen die Verbliebenen immer
mehr Geschmack am exakt kalkulierten Sammelsurium der klanglichen
Exzesse und der Stillezonen. Die Aura des Unaufgeräumten,
wie auf einem Trödelmarkt erfasste das Stück, das sich
Second-Hand-Nostalgie verordnete und ihr konsequent treu blieb.