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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 35
52. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Perelá, der Mann, der aus der Rauchwolke kam
Eine neue Oper des französischen Komponisten Pascal Dusapin: „Perelà“
Der französische Komponist Pascal Dusapin (Jahrgang 1955)
schrieb seine vierte Oper – auf Italienisch: „Perelà.
Uomo di fumo“ – zu Deutsch: Der Mann aus Rauch. Sie
erfuhr an der Bastille-Oper in Paris eine brillante Uraufführung,
die beim französischen Publikum großen Anklang fand. „Perelà“ entstand
nach einem Roman Aldo Palazzeschis (1885–1974), den dieser
1911 unter dem Titel „Il codice di Perelà“ veröffentlichte.
Palazzeschi, einer der namhaftesten Dichter und Schriftsteller
Italiens im letzten Jahrhundert, war anfangs stark vom Futurismus
inspiriert, später fand er zu einem oft phantastischen, ironisch-realistischen
Stil, der sich nach dem Ersten, auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg,
manchmal ins Bittere, Weltverachtende wandelte.
Magischer Hofstaat: Perelà (Mitte)
und Königin. Foto: Eric Mahoudeau
Vom Lauf des Lebens und der Zeit
in mancherlei Facettierung handelt auch „Perelà“. Ein Mann
materialisiert sich aus Rauch, tritt in die Welt unter die Menschen ein, die
ihn als Majestät der Leichtigkeit begrüßen, ihm schließlich
die Kodifizierung eines Gesetzbuches auftragen – typisch für Palazzeschis
Ironie: Der „leichte“ Mensch soll das Vertrackteste bewältigen.
Perelà scheitert, ebenso wie an der Liebe zu einer Frau. Nach dem Unfalltod
eines Freundes wird er als Schuldiger verurteilt, doch entzieht er sich dem
Gefängnis, indem er sich wieder in Rauch auflöst: Es war wohl alles – „Nichts“.
Perelà – die Personifikation dieses einen Wortes: Nichts. Die
Comédie humaine war es wohl, die Pascal Dusapin für sein Libretto
animierte. In zehn Kapiteln ziehen Perelàs irdische Stationen vorüber,
eingefasst in eine subtil ausgesparte, schwerelose, klanglich verfeinerte und
fließende Musik, die die Handlung oft in magische Klangräume zu
tauchen scheint. Grelles, Jazziges oder auch Orgelklänge tönen charakterisierend-symbolhaft
in entsprechende Szenen hinein, die Stimmführungen für die Sänger
bewahren in bemerkenswertem Maße eine klare Kantabilität, ohne Sentiment
selbst in den Liebesszenen zwischen Perelà und der Marquise. Nora Gubisch
setzt mit ihr die vokalen Höhepunkte, aber auch John Graham-Hall als Perelà findet
zu einer intensiven gesanglichen und spielerischen Gestaltung. Die Inszenierung
von Peter Mussbach und Erich Wonder findet für die Stationen magische,
hintergründige Bilder, die sensibel mit der Musik korrespondieren, eine
eigenständige szenische „Sprache“ entwickeln. Das Thema des
Werkes: Welche Chancen hat Menschlichkeit in unserer Zeit – tritt in
vielen Momenten plastisch und anrührend ins Bewusstsein, auch in der resignativen
Verneinung.
Vielleicht hätte hier und da eine ironisierende Brechung die Perspektiven
noch stärker auf die literarische Vorlage, auf Palazzeschis „Leichtigkeit“ eröffnet.
Makellos das Pariser Opernorchester unter James Conlon: Dusapins strukturelles
Komponieren, seine orchestrale Virtuosität bei gleichzeitiger präziser
Formung der Ausdrucksmittel traten plastisch hervor, ebenso die Farbigkeit
der instrumentalen Ausarbeitung.