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2003/04 | Seite 48
52. Jahrgang | April
Dossier:
Messebilanz
Geistiges Eigentum: Was ist Kreativität heute wert?
Protokoll einer Podiumsdiskussion am 5. März auf der Musikmesse
Frankfurt
Die Schöpfungen von Künstlern, seien es Komponisten,
Schriftsteller, Bildhauer oder andere, sind zunächst künstlerische
Werke mit hohem immateriellen, das heißt „geistigen“ Wert.
Dennoch sind sie auch hergestellte Produkte im wirtschaftlichen
Sinn, das heißt, sie haben einen materiellen Wert. Der Künstler,
der sein Werk verkauft, speziell der Musiker, dessen Komposition
aufgeführt wird, erwartet zu Recht eine Vergütung. Welchen
Wert kann man nun solchen Produkten zumessen, was ist der Veranstalter,
was ist der Nutzer bereit zu zahlen? Und was ist das geistige (künstlerische)
Eigentum unserer Gesellschaft wert?
Theo Geißler: Michael Karbaum, wenn man so zurückblickt
auf 100 Jahre Schutz des geistigen Eigentums, was waren die wichtigsten
Stationen?
v.li.: Theo Geißler,
Herausgeber der neuen musikzeitung, Michael Karbaum, geschäftsführender
Direktor der GEMA
und der GEMA-Stiftung, Olaf Zimmermann, Geschäftsführer
des Deutschen Kulturrates, Adolf Dietz, ehemals
Max-Planck-Institut, heute im Ruhestand. Foto: Andreas
Kolb
Michael Karbaum: 100 Jahre GEMA ist eine
einzigartige Erfolgsgeschichte der Komponisten und der mit ihnen
gemeinsam musikalische Werke
schaffenden Textautoren, unterstützt von den Verlegern. Diese „Dreifaltigkeit“ – Komponisten,
Textautoren, Musikverleger – kennzeichnet die Struktur der
GEMA. Alle Willensentscheidungen werden von diesen drei disparaten
Berufsgruppen gemeinsam getroffen. Vor 100 Jahren war es ein kleines
Häuflein Komponisten. An ihrer Spitze stand der damals auch
schon berühmte Richard Strauss, aber ihm zur Seite standen
Komponisten wie Friedrich Rösch und Hans Sommer, um zwei der
wesentlichen Protagonisten zu nennen.
Theo Geißler: In welcher Weise befasst
sich das Max-Planck-Institut mit geistigem Eigentum?
Adolf Dietz: Das Max-Planck-Institut in München befasst sich
mit der Erforschung des Auslandsrechts auf dem Gebiet des geistigen
Eigentums, sprich auch des Urheberrechts. Und dass das Auslandsrecht
und das internationale Recht hier so wichtig ist, ist eine unmittelbare
Folge der internationalen Dimension der Werkverwertung. In Europa
versucht man durch so genannte Harmonisierungsgesetzgebung wenigstens
ein gewisses Maß an Einheitlichkeit der nach wie vor nationalen
Urheberrechtsregelungen herbeizuführen. Das ist mit einem
doch erstaunlich hohen Maß gelungen. Der deutsche Bundestag
ringt gerade mit der Umsetzung der letzten und wohl auch der bedeutendsten
der Harmonisierungsrichtlinien, der Richtlinie über das Urheberrecht
und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft.
Geißler: Olaf Zimmermann, der deutsche Kulturrat umfasst
aber auch andere Urheberrechtsverwertungsgesellschaften. Sind das
Kopien des Erfolgsmodells GEMA?
Olaf Zimmermann: Es sind eigentlich schon Kopien – oder zumindest
hat man gelernt vom Erfolgsmodell GEMA. Da gibt es die VG Wort
für den Wortbereich, da gibt es die VG Bildkunst für
die bildenden Künstler, da gibt es die GVL, die Leistungsschutzrechte
für die darstellenden Künstler verwertet – also
das ist schon flächendeckend geregelt, aber es ist schon so,
dass die GEMA eindeutig die Größte dieser Verwertungsgesellschaften
ist.
Geißler: Herr Karbaum, was ist Kreativität wert? Wie
kann man sie messen?
Karbaum: Wenn man genauer hinsieht, dann
ist es immer noch ein großes Wagnis in diesem Land, kreativ
zu sein. Die Öffentlichkeit
sieht und begreift die Erfolge von Popstars und gefeierten Künstlern.
Die verstellen allerdings leider den Blick auf die Wirklichkeit:
Hinter den Stars, in der zweiten, dritten und bis zur letzten Reihe
sitzen andere Urheber, die etwa im Bereich der so genannten Ernsten
Musik hinnehmen müssen, dass die durchschnittliche Aufführungshäufigkeit
Werk eins ist. Das ist schon etwas, was den Autor heute freut und
dafür erhält er dann vielleicht 25 Euro von der GEMA.
Wenn er dann das Glück hätte, ein Orchesterwerk aufzuführen,
erhält er dafür eine Vergütung von 200 Euro. Fachleute
unter Ihnen wissen, wie gering die Chancen sind, zeitgenössische
Orchesterwerke aufzuführen. Da liegt die durchschnittliche
Aufführungshäufigkeit unter eins, etwa im Bereich von
0,3 bis 0,5, das heißt vielleicht alle drei Jahre einmal.
Auch davon kann er nicht leben – und trotzdem setzt er seinen
Weg fort. Sein Ziel ist es natürlich, dass Aufführungen
häufig stattfinden – im Inland, im Ausland – vor
allem aber auch, dass die Medien ihn hierbei unterstützen.
Wenn Sie sich ein deutsches Rundfunkprogramm anschauen, dann begegnen
Ihnen in der Tat darin zu fast 80 Prozent musikalische Ereignisse
nicht inländischer Herkunft. Das ist eine Beobachtung, die
die Urheber sehr schmerzt und die sie veranlasst ihre Organisationen
zu mobilisieren, mit den Rundfunkverantwortlichen darüber
zu sprechen.
Geißler: Olaf Zimmermann, was tut der deutsche Kulturrat
dafür, dass es seinen Kreativen gut geht?
Zimmermann: Es gibt die kleine Spitze des
Eisberges der Künstlerinnen
und Künstler, die von ihren Schöpfungen sehr gut leben
können. Aber es gibt auch die große Menge an Künstlerinnen
und Künstlern, für die das eben nicht zutrifft. Nach
den Zahlen der Künstlersozialkasse verdienen Künstler
im Durchschnitt ungefähr 11.000 Euro im Jahr.
Deswegen ist es notwendig, dass wir uns darüber Gedanken machen.
Etwa über die Frage der angemessenen Vergütung, die jetzt
im Urhebervertragsrecht geregelt ist. Der zweite Punkt, der im
Moment diskutiert wird, ist tatsächlich eine Quotierung. Gerade
im Bereich der Musik scheint es mir sehr sinnvoll zu sein darüber
nachzudenken, wie man erreicht, dass zumindest im Bereich des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks mehr deutsche Titel gespielt werden als das heute der
Fall ist.
Dietz: Das Urheberrecht ist weltweit nach wie vor national reguliert.
Es kann dem Urheberrechtsgesetzgeber nicht gleichgültig sein,
welche Werke gespielt werden, auf dem Kulturmarkt vermarktet werden,
weil ja das Moment der Kreativitätsförderung unmittelbar
daran anknüpft.
Wenn in einem durchaus denkbaren Fall – ich denke hier an
die Dritte Welt, wir müssen ja nicht nur über Deutschland
reden – ein Entwicklungsland zum Beispiel über 90 Prozent
der genutzten Werke aus dem Ausland bezieht, bedeutet das bei einem
funktionierenden System der Verwertungsgesellschaften, dass 90
Prozent der Einnahmen ins Ausland abfließen müssten
und das steht meiner Meinung nach in einem Widerspruch zu dem Grundanliegen
des Urheberrechts, nämlich die rechtlichen Voraussetzungen
für Kreativitätsförderung im eigenen Land zu schaffen.
Geißler: Sind das nicht eigentlich
Antagonisten – Kreativität
und Quotierung?
Zimmermann: Kann ich überhaupt nicht erkennen. Man
muss den Mut haben zu sagen: ,Wir wollen von den in Deutschland
lebenden
Komponisten und Künstlern auch Werke in den Rundfunkanstalten
ausstrahlen, zumindest im Bereich der öffentlich-rechtlichen
Anstalten, denn die bezahlen wir ja alle gemeinsam mit unseren
Rundfunkgebühren.‘
Geißler: Michael Karbaum, die GEMA ist
da sicherlich auch klar „pro“.
Karbaum: Die ist klar „pro“. Die Verwertungsgesellschaft
GEMA macht keine Musik, sie programmiert auch nicht – das
machen Rundfunkanstalten, das machen Konzertveranstalter. Das machen
Private und Unternehmer. Insofern ist eine Verwertungsgesellschaft
lediglich eine Art Reflektor dessen, was in einem Land passiert.
Es ist hier im Lande einfach festzustellen, dass es eine große
Ignoranz gegenüber Musik aus dem Inland gibt.
Geißler: Wir sitzen hier zusammen,
weil wir uns Gedanken darüber machen wollen, wie man den Status des Kreativen in
unserer Gesellschaft stärken kann. Der deutsche Kulturrat
hat sich da eine Kampagne überlegt – dürfen wir über
die etwas erfahren, Olaf Zimmermann?
Zimmermann: Künstlerinnen
und Künstler sollen für
das entlohnt werden, was sie tun. Sie sollen nicht eine grundsätzliche
Alimentierung erhalten. Das wäre der falsche Weg. Es soll
immer darum gehen, dass wenn jemand eine Leistung erbringt, er
auch die Chance haben muss, für diese Leistung vernünftig
entlohnt zu werden. Das ist auch der direkte Übergang zu unserer
Kampagne, die wir jetzt versuchen zu starten. Eine Kampagne, die
sich mit dem Wert der Kreativität auseinandersetzt. Das heißt
mit der Frage: Wie sehen wir eigentlich die Kreativität? Haben
wir das Gefühl, dass Kreativität einen wirklichen, auch
einen materiellen Wert darstellt?
Sie wissen alle: wir haben die große Debatte um das illegale
Kopieren im CD-Bereich. Wir wollen doch nicht wirklich ernsthaft
in der Zukunft an die Schulhöfe Polizisten stellen, die dann
aufpassen, ob da irgendwelche CDs hin und hergehandelt werden,
sondern es ist eine Frage der Werte. Dieselben Kinder und Jugendlichen
gehen natürlich nicht in den Supermarkt und holen sich dort
ihre Schokolade oder anderes heraus. Denn sie wissen: das ist verboten,
das macht man nicht, das muss ich bezahlen. Aber wenn ich einen
Musiktitel habe, gibt es so etwas wie eine gesellschaftliche Übereinkunft:
Das ist schon nicht schlimm, wenn ich den kopiere.
Und da versuchen wir anzusetzen und ein Bewusstsein für den
Wert, den die Kreativität hat, zu schaffen. Das machen wir
nicht alleine, da ist die GEMA dabei, da ist die phonografische
Wirtschaft dabei, da sind die Musikverleger dabei – das wird
eine ganz interessante und spannende Struktur werden, bei der wir
wirklich versuchen, nicht mit dem erhobenen Zeigefinger herumzulaufen
und nicht zu drohen.
Wir wollen überzeugen, dass es sich hier um einen Wert handelt
und dass der Künstler das Recht hat, hierfür eine Gegenleistung
zu erhalten, wenn sie denn in irgendeiner Form gehandelt wird.
Karbaum: Ich darf Sie kurz ergänzen: die GEMA trägt dies
selbstverständlich und gerne mit.
Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens, dass das Herunterladen
vielleicht schon Kreativität sei. Nein, Kreativität hat
natürlich ganz woan-ders angefangen und ihr wird der Boden
entzogen, wenn man die Begriffe von den Füßen auf den
Kopf stellt.