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Ausgabe 2003/04
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nmz 2003/04 | Seite 45-46
52. Jahrgang | April
Dossier: Messebilanz

Macht mehr Musik

Zur Zukunft der Musikmessen· Von Jürgen Stark

Messen und Kongresse stehen auf dem Prüfstand. In den Medien wird seit Wochen das Umfeld aus ökonomischer Krise, Wandel auf den Märkten und schlechter allgemeiner Stimmung diskutiert. Die Musikmessen stehen hierbei für die Sinnsuche zwischen Tradition und Moderne, für Aufbruch und Wandel. Die nmz fragte bei den Verantwortlichen nach.

v.l.n.r. Dieter Gorny (Vorstandsvorsitzender der VIVA Media AG), Olav Bjerke (Anzeigenleitung VIVA), Barbara Haack (Verlagsleitung ConBrio) und Theo Geißler (Verleger und nmz-Herausgeber) am Stand von ConBrio. Foto: Ursula Gaisa

Man könnte sich amüsieren, wenn es nicht so dramatisch wäre. Soeben wurde die „Internationale Musikmesse Frankfurt“ erfolgreich beendet, während ihr weit entfernter Bruder, die Kölner PopKomm., einen Neuanfang sucht und aus der Krise erst noch heraus muss. Die einen handeln mit Instrumenten und Zubehör, die anderen mit dem Ergebnis dieser Waren, die von Musikern durch ihr Spiel erst veredelt werden und dann in Zusammenarbeit mit einer ganzen Industrie zu Musikprodukten reifen.

In Frankfurt geht es um alle Formen und Möglichkeiten musikalischen Schaffens, von der Klassik über Dance, Volksmusik und Rock, in Köln nur um engste Nischen und populärsten Mainstream, um jungwilde Jugend und hippen Hype. Letzeres erscheint erstmals und selten deutlich als Sackgasse, denn weder der PopKomm. noch der dahinter laut über www-Urheberrechtsverletzungen und schlechte Pop-Medien-Quoten klagenden Musikbranche geht es wirklich gut, Erneuerung erfolgt zwar auf vielen Ebenen, aber von Aufbruch keine Spur. Dass die Deutsche Phono-Akademie seit mehr als drei Jahren dem nachlassenden Interesse Jugendlicher am Musizieren und dem katastrophalen Zustand deutschen Musikunterrichts an den Schulen mit dem Slogan „MachtMehrMusik“ begegnet, das ist es, was einen jetzt zum Grinsen bringen könnte.

Denn der jüngste Erfolg der in etlichen Teilen generalüberholten traditionellen Frankfurter Musikmesse, weist der PopKomm. möglicherweise genau diesen Weg, der auch ein Weg zurück wäre, hin zum Fan und Konsumenten, weg von der unendlichen Nabelschau und den schrillen Partys der Insider mit dem fragwürdigen Meet-and-Greet-Gehalt. Doch der Reihe nach. Die weltgrößte Musikinstrumenten-Messe meldete nach dem Finale: „Konzept der Messe Frankfurt bestätigt: Gelungenes Feintuning und ideale Rahmenbedingungen. In ihrem 24. Jahr konnte sie ihren Stellenwert für die internationale Musikinstrumentenindustrie ausbauen, 1.465 Aussteller trotzten der Konjunktur und gingen auf einer Gesamtfläche von mehr als 112.130 Quadratmetern in die Offensive. Dabei erkletterte der Internationalitätsgrad erneut eine Rekordmarke und unterstrich mit 62 Prozent die globale Ausrichtung der Musikmesse.“

Neben 557 Ausstellern aus Deutschland waren vor allem Unternehmen aus den USA (143), Italien (125), Großbritannien (71), Spanien und Frankreich (jeweils 64) vertreten. Der Auslandsanteil bei den 79.747 Fachbesuchern und Endverbrauchern stieg um 11,8 Prozent auf über ein Viertel der Gesamtzahl. Die Gäste kamen aus nahezu 100 Ländern der Welt, vornehmlich aus den Beneluxstaaten, Frankreich, Schweiz, Schweden und Liechtenstein. 1.200 Besucher reisten aus den USA an, fast doppelt so viele aus Asien. „Unsere zurückhaltenden Erwartungen haben sich trotz der momentan angespannten Konjunkturlage und den entsprechenden Branchentrends mehr als erfüllt“, kommentierte Gerhard Gladitsch, Geschäftsführer der Messe Frankfurt GmbH. 94,8 Prozent der Besucher kamen aus dem Bildungswesen, dem Facheinzelhandel und der Musikproduktion, zwei von drei Besuchern zählen innerhalb ihres Unternehmens zu den Einkaufs-Entscheidern.

Der Instrumentenmarkt als Mittelpunkt, verlängerte Öffnungszeiten bis 19 Uhr, eine Themenbühne mit anspruchsvollem Panel – und auch relativ viel Popkultur bei den Ausstellern: von praktizierenden DJs über den John Lennon Talent Award, von „Stromgitarren-Ausstellern“ bis zum neu entstehenden rock‘n‘popmuseum und dem internationalen Rockstar mit seinem „Überraschungsbesuch“, all das schaffte den Schub. Etliche der Popkultur-Aussteller sind im Herbst auch auf der PopKomm. zu finden, tanzen also auf beiden Hochzeiten wie etwa Rainer Lemke, Marketingleiter und Kultursponsor der Itzehoer Versicherungen, zuständig für den John Lennon Talent Award. Er kommentierte den Verlauf so: „Die vielen jungen Besucher und die große Resonanz auf unsere Fotoausstellung mit Bildern von John Lennon, aber auch unsere Teilnahme an interessanten Panels, all das bestärkt mich darin bereits heute zu sagen: Wir kommen wieder und werden hier nächstes Jahr etwas Größeres aufziehen.“

Auch Udo Heubeck von der Meinl Factory bestätigt dies: „Die positive Stimmung unserer Kunden hat sich in den Auftragsbüchern widergespiegelt und wir haben insbesondere für den asiatischen und osteuropäischen Raum neue Märkte erschließen können.“ Etliche Preisverleihungen (wie Deutscher Musikinstrumentenpreis für Westerngitarre und Trompete hoch b, Klavierspieler des Jahres an Paul Kuhn), mehrere parallele Bühnenprogramme (sogar Popstar Bryan Adams tauchte hier Fan-umjubelt auf) sowie Sonderareale für Kinder und DJs boten den Rahmen.

Live-Musik und Technik, Meinung und Diskussion, Öffnung für den gewöhnlichen Kunden – ist das alles nun auch eine Alternative zur PopKomm., kann diese daraus lernen? Sie muss! Denn die vor kurzem ebenfalls noch kränkelnde Musikindustrie der Instrumentenhersteller hat zumindest an diesem Ort die Krise bereits wieder verlassen.
Was auch Kai Bestmann von Roland Europe bestätigt: „Nach Jahren markt-übergreifender Depression scheint sich ein Silberstreifen am Horizont abzuzeichnen. Unsere Kunden waren mit der Messestruktur zufrieden.“

Wie beurteilt all dies nun Dieter Gorny, Vorstandsvorsitzender der VIVA Media AG, der sich derzeit mit der Abwicklung der Musikkomm. befasst und in seinem Haus in einem neu geschaffenen „Enterprises“-Bereich Ausrichtung und Organisation der PopKomm. vorantreiben muss? Zur Erinnerung, Gorny kam selbst einst aus dem Musikinitiativlager des Rockbüros NRW, ist studierter Musiker und Miterfinder der PopKomm. – jetzt muss er sein Baby ein zweites Mal auf die Welt bringen, denn vorne und hinten stimmt es hier nicht mehr. Besucher- und Ausstellerzahlen bröckeln weg, im letzten Jahr wurde „gesund geschrumpft“ in kleinerer Halle, daneben führt die Plattenindustrie (die längst nicht mehr reine „Scheibenware“ verkauft und in Zukunft vermutlich noch mehr im Lizenz-, Veranstaltungs- und Merchandising-Bereich neue Schwerpunkte setzen wird) eine Endzeitdebatte. Dieter Gorny war vor Ort. Und war beeindruckt. Der Messebummler nahm diverse Anregungen mit und liest der Branche jetzt auch ein wenig die Leviten: „Mit konsequent richtiger Definition, aber nicht über Standort-Performance“ würde es weiter gehen. Die derzeit branchenübliche Diskussion um pro oder kontra Berlin überschattet auch die Zukunftsdebatte der PopKomm. Gorny: „Die PopKomm. wird nicht besser oder schlechter, wenn sie nach Berlin geht oder wenn sie in Köln bleibt, sie muss sich jetzt neu erfinden, sich der Zeit anpassen und dabei eine realistische Vision entwickeln, die Spannung für die kommenden Veranstaltungen verspricht. Der Nutzen gehört dabei ganz oben auf die Agenda.“ Laut Gorny benötigt die PopKomm. eine Neudefinition für den Bereich der Wertschöpfung, eine Rückkehr zum eigentlichen Produkt, „sie muss in jedem Fall den Weg zum Kunden massiver beschreiten“. Eine neue Gradwanderung stehe daher bevor. Der „closed Shop“ wird geöffnet, für Musikinteressierte solle man ein offenes Forum schaffen, das Interesse an den Produkten steigern, womit Künstler und CDs in den Vordergrund rücken und dem Messegeschehen neue Impulse geben würden – Frankfurt lässt grüssen. Gorny will allerdings unbedingt „eine Plastiktüten-Verbrauchermesse vermeiden, wo sich tausende etwas abgreifen“. Neue Impulse für den Markt mit attraktiven Angeboten und ebensolchem Umfeld – wie kann das erreicht werden? Ein Blick auf die Strukturen der PopKomm.-Besucher gibt da Hinweise. Wenn man die Zahlen vom letzten Jahr anschaut, stellt man fest, dass von 15.000 Teilnehmern zirka 450 Major-Teilnehmer waren. Müssten nicht sämtliche Angebote und Themen auf den Prüfstand um allen Teilnehmern gerechter zu werden? Den Mittelstand stärker wahrnehmen, laut Gorny ein wichtiger Ansatz. Doch die Zukunft neuer Projekte und Inhalte wird bestimmt von den wichtigsten Playern, die Musikindustrie mit ihren Majors selbst muss die Akzente bei der Messe neu setzen, was eben nicht allein von Agenturen oder Veranstaltern kommen kann. Früher gab es einen Beirat der PopKomm., der vor allem die Interessen der Musikwirtschaft artikulierte, er hat aber offenbar nur selten getagt. Gorny will dieses Forum wieder beleben, um über Themen und Ausrichtung einen Konsens zu erzielen. Daneben gehören für ihn „mehr inhaltliche, konstruktive Diskussionen“. Gerade die vielen kleinen Firmen sollten hier Salz, Pfeffer und Tabasco in der Suppe spielen, sie sind als Trüffelschwein-Pioniere der Branche ohnehin immer äußerst relevant gewesen. Dass der Musikmarkt mehr Sicherheit beim Urheberrecht benötigt, dass weiß inzwischen hoffentlich jeder Bundestagsabgeordnete, doch daneben wird auch die „Content“-Krise nicht verschwiegen. Laut Gorny müssen Künstler her, „die in der Lage sind gehaltvolle künstlerische Aussagen zu treffen, die das Publikum über längere Zeiträume faszinieren und interessieren“. Die Messe soll die Hinwendung zum Künstler deshalb deutlich verkörpern: „Der Star ist die Musik und damit ist der Star der Künstler. Und der muss an die Leute herangebracht werden, nicht an die Manager, sondern an die Fans von Musik.

Es gehört in dieser Krisenzeit jeder an seinen Platz und die Künstler in den Vordergrund.“ Dem Bedürfnis der Industrie, neue Musik und neue Produkte optimal zu präsentieren, müsse man kreativ begegnen und Raum schaffen. „Neue Aufmerksamkeit geht nur mit Publikum und Medien, was der Branche gut tun würde, weil man klarstellen könnte, worum es wirklich geht. Es geht also auch um Öffnung und öffentlichen Zugang.“ Gorny will auch von Frankfurt lernen: „Es zeigt, dass die Wehleidigkeit der Diskussion in unseren Reihen deshalb so gefährlich ist, weil man raus muss aus dem Loch. Wenn man in Frankfurt sehen konnte, welche Bedeutung Musik für junge Leute hat, ist das beeindruckend. Die Massen, die dort herumliefen, waren vor allem aktive und nicht passive Musikfans. Das Grundpotenzial ist also okay, da müssen wir ran, die Leute wollen Musik.“ Für die Zukunft bedeutet das auch neue Bündnisse. Der neue Deutsche Musikrat, endlich auch mit Vertretern der Popkultur im Präsidium, soll neben dem Industriebeirat installiert werden, zumindest nach Wunsch des neuen Präsidiumsmitgliedes Gorny. „Der Wandel des DMR hin zu einer modernen Lobby ist zu begrüßen, aber auch die Deutsche Phono-Akademie oder der IDKV sind jetzt dort, was gut geeignet wäre, um bei der Neuausrichtung eine wichtige Rolle zu spielen und auch der Neuausrichtung des DMR gut bekäme.“ Gorny will die Erneuerungsprozesse, die bereits „bis hinein in das Kultursponsoring und die Dialoge zwischen Pop und Politik reichen“, ins Umfeld der erneuerten PopKomm. integrieren. Er empfiehlt der Musikbranche ihr Kulturinstitut, die Deutsche Phono-Akademie, zum Knotenpunkt all dieser Prozesse zu machen, dort Motor von Entwicklungen zu werden und eine Brückenfunktion in Richtung Frankfurter Musikmesse und ihrem Umfeld auszuüben: „Denn das sind letztlich sich gegenseitig befruchtende Formen der Vermarktung, die alles überragende Verbindung aus aktivem Musiker und passivem Konsument.“ Gerd Gebhardt, Gesamtvorsitzender der Verbände der Tonträgerhersteller, sieht die Erneuerung sehr ähnlich. Auch er beklagt zu viele Partien, „wo einzelne für eine Nacht ihren Frust vergessen, die uns aber letztlich nichts bringen“. Auch Gebhardt sagt es lauter denn je: „Musik gehört in den Vordergrund! So wie die PopKomm. sich in den letzten Jahren präsentierte, war es aber weder dem Zeitgeist entsprechend noch der Branche hilfreich. Wir brauchen gute Musik, die andere anstiftet mitzuwirken. Vom Fan bis zum Musikkritiker benötigen wir auch Aufbruchsstimmung in unserem Umfeld.“

Auch für ihn gibt es nun keine Tabus mehr: „Wenn wir eine eigenständige Relevanz in Köln nicht mehr halten können, dann muss man sogar überlegen, ob wir nicht einen Extratag bei der Frankfurter Musikmesse organisieren und ins dortige Umfeld gehen. Mittelpunkt unseres Schaffens ist Musik.“ In diesem Jahr muss laut Gebhardt „das Gejammere aufhören, welches Ursachen noch in den 80er-Jahren hat“.

Er will auf der zukünftigen PopKomm. auf den Panel-Bühnen einen offenen Schlagabtausch und „weg von den Hinterzimmerdiskussionen“. „Wenn sich unser Beirat so selten zur PopKomm. traf, dann hat er jetzt guten Grund wieder zusammenzukommen, denn jetzt muss es um die Zukunft gehen und das mit radikalen Schnitten.“ Gornys Anregung Richtung Phono-Akademie wird jedenfalls schon mal aufgegriffen: „Den Motor spielen wir gerne, schließlich kann sich die Deutsche Phono-Akademie mit ihrer Erneuerung der letzten Jahre wirklich sehen lassen. Von Schulprojekten über die erfolgreiche Durchführung des Echos und anderer Projekte haben wir es mit einem kleinen Team vorgemacht: Kreativität und Effizienz können viel bewirken.“

Es weht also ein frischer Wind in allen Sektoren des musikalischen Schaffens im Lande, was das noch bedeuten könnte und andere Stimmen zum Thema demnächst in der nmz.

Jürgen Stark

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