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2003/04 | Seite 51
52. Jahrgang | April
Dossier:
Messebilanz
Musik ist in der Tat grenzenlos
Michel Friedman überreichte die Deutschen Musikeditionspreise
2003
Der Deutsche Musikverleger-Verband (DMV) verlieh auf der Internationalen
Musikmesse in Frankfurt den Deutschen Musikeditions-Preis. Prämiert
wurden die kreativsten Notenausgaben, die Schul- und Unterrichtsliteratur
für Erwachsene und Kinder sowie Musikbücher, Faksimiles
und andere Publikationen. Der DMV will damit aus der Vielzahl
der Veröffentlichungen
Produktionen hervorheben, die sich durch eine große Kreativität
auszeichnen und damit für den Musikliebhaber besonders zu
empfehlen sind. Die Urkunden überreichte Michel Friedman,
Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, am
7. März 2003 auf der Themenbühne in Halle 3.1. Nachfolgend
veröffentlichen wir seine Rede in Auszügen.
Gruppenbild mit Redner
Michel Friedman (2. v.l.) zwischen Peter Hanser-Strecker
(Schott, DMV) und Barbara Scheuch-Vötterle (Bärenreiter),
Foto: Musikmesse Frankfurt
Vielleicht lernen wir gerade in diesen letzten Monaten,
in denen wir konfrontiert werden mit Realitäten, die einerseits
zu tun haben mit unserem Verhältnis zu Geld,
Einkommen und Wirtschaft und andererseits mit der Herausforderung, wie zivilisierte
Gesellschaften umgehen müssen mit Diktatoren und Menschenverachtern, und
ich sage das auch in Frankfurt, dass das, was 10 oder 15 Jahren in unserer
Gesellschaft bei vielen
viel zu viel gegolten hat, nämlich dass der Banker mehr ist als der Denker,
endlich wieder umgeschrieben wird, dass der Denker mehr sein wird in seiner
Bedeutung als der Banker.
Eine zivilisierte Gesellschaft, eine humanistische Gesellschaft,
die Musik, Literatur, Film und Theater nicht so hoch schätzt wie Ökonomie und
Mathematik, wird keine humane Zukunft haben. Und es ist höchste Zeit,
dass wir als zivilisierte Gesellschaft wieder dieses Gleichgewicht in uns
selbst und in unserer politischen Bildungsarbeit festsetzen.
Es ist wichtig, dass wir Kindern beibringen, dass eins und eins
zwei ist. Das ist Naturwissenschaft. Aber genauso wichtig und richtig
ist, dass wir
ihnen
beibringen, dass eins und eins auch drei ist.
Denn das ist das Leben und die Seele und die Kunst, die das übersetzt,
und nur, wenn wir begreifen, dass beides stimmt, werden wir in der Lage sein,
bei Herausforderungen humane, menschliche Antworten für uns und für
die Welt zu produzieren. Das heißt, dass wir in der Schule, aber auch
schon im Kindergarten die Bedeutung von Kunst mindestens so gleichberechtigt,
nicht nur in der reinen Informationsvermittlung, sondern auch in der Bedeutung
für die menschliche Ausbildung, wieder in
den Mittelpunkt stellen müssen. Das bedeutet, dass, so wichtig es ist,
dass wir die eigene Sprache sprechen können – übrigens auch
die Voraussetzung für Kunst: können Sie sich ein Buch vorstellen,
wenn die Menschen nicht leben und schreiben können? – aber auch
diese Sektoren die gleiche gesellschaftspolitische Akzeptanz und Bedeutung
erhält wie alle anderen Fächer. Und ich würde mir wünschen,
dass beispielsweise die musischen Fächer genauso Abiturhauptfächer
werden können wie alle anderen auch.
Es gibt keinen anderen musischen Zweig, der so global ist wie
die Musik. Jedes Werk, das komponiert ist, jede Note, die zur nächsten geschrieben worden
ist, ist in Frankfurt, Berlin, in Kenia, im Nahen Osten genau der selbe Ton,
eins zu eins wie an einem anderen Ort. Und es ist für mich faszinierend
zu sehen, wie Musik in der Tat grenzenlos sein kann und dass Menschen mit ganz
unterschiedlichem Glauben, Erziehungen, nationalen Identitäten, über
Kontinente hinweg den Zugang zu einer ganz bestimmten Zusammensetzung von Tönen
genauso wahrnehmen wie an einem anderen Kontinent und Ort.
Ich würde mir wünschen, dass wir es auch in die Zukunft tragen, gerade
in Zeiten, wo die Politik sagt, es seien leere Kassen da. Ich mag diesen Begriff
nicht hören, denn wenn ich mir die absoluten Zahlen der Milliarden anhöre,
die alle öffentlichen Hände haben, und gleichtzeitig von leeren Kassen
sprechen, frage ich mich, was sind wirklich leere Kassen. Aber wenn wir in
dieser Zeit sind, kann ich nur noch einmal deutlich sagen: Wehe uns, wenn der
Rotstift bei der Kultur beginnt. Wehe uns, wenn wir Kindern nicht vermitteln,
dass das Wunder des Menschen seine Seele ist. Wenn wir ihnen nicht vermitteln,
dass Lesen, Musikhören, ins Theater gehen die Erschütterung ist,
die wir täglich brauchen, um aus unseren Gefängnissen herauszutreten.
Dass Lachen, Weinen, Emotionen, die uns die Kunst schenkt, das Lebendigste
ist, was wir haben, ob wir ein Jahr oder 99 Jahre alt sind.
Die Preisträger
1. Praktische Ausgaben
Bernd Pachnike (Hg.): Ele mele mink mank; Lieder, Reime, Spiele
und Tänze für Kinder, Verlag Neue Musik, Berlin
2. Notenausgaben von Werken des 20. Jahrhunderts
Karlheinz Stockhausen: MICHAELION, 4. Szene vom MITTWOCH aus
LICHT, Partitur Stockhausen-Verlag, Kürten Werner Heider:
Mit zwanzig Fingern, Acht Stücke für die Jugend für
Klavier zu vier Händen, Musikverlag Hans Sikorski, Hamburg
3. Wissenschaftliche Notenausgaben
a.) Gesamtausgaben
Hanns Eisler: Die Rundköpfe und die Spitzköpfe, Gesamtausgabe
mit separatem Kritischen Bericht, herausgegeben von Thomas Ahrend
und Albrecht Dümling, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden – Leipzig
- Paris b.) Einzelausgaben
Norbert Burgmüller: Sämtliche Streichquartette, herausgegeben
von Klaus Martin Kopitz, Partitur (Band 23 der Denkmäler Rheinischer
Musik), Verlag Dohr, Köln
Heinrich von Herzogenberg: Messe op. 87, Erstausgabe, herausgegeben
von Bernd Wiechert, Partitur, Carus-Verlag, Stuttgart
4. Schul- und Unterrichtsliteratur für Kinder
Matthias Böyer: Saxophon ab 140, Für Saxophonisten ab
130 und Quereinsteiger, für Altsaxophon mit CD, AMA Verlag,
Brühl
Hans-Peter Salentin: Salentins Trompetenschule, Die Einsteigerschule für junge Trompeter
inklusive Audio-CD, AMA Verlag, Brühl
5. Schul- und Unterrichtsliteratur für Erwachsene Manfred Schmitz: Der Neue Jazz Parnass, Studien und Stücke
für Klavier, Band I und II, Deutscher Verlag für Musik,
Leipzig
6. Aufführungsmateriale (Partitur, Klavierauszug, Stimmen) Komplett
keine Prämierung
7. Partituren
(Taschenpartituren)/Klavierauszüge separat
keine Prämierung
8. Musikbücher a) didaktische Bücher
Carl Orff/Annegret Fuchshuber: Der Mond, Ein kleines Welttheater
Schott Musik International, Mainz – London – Madrid – New
York – Paris – Tokyo – Toronto
Klaus Heizmann: So spreche ich richtig aus; Eine Hilfe für
Redner, Chorleiter und Sänger, Schott Musik International,
Mainz – London – Madrid – New York – Paris – Tokyo – Toronto b) Sachbücher
Europäische Musikgeschichte, herausgegeben von Sabine Ehrmann-Herfort,
Ludwig Finscher, Giselher Schubert, Band 1 und 2 im Schuber, Bärenreiter
Verlag c) Musikwissenschaftliche Bücher
Fanny Hensel: Tagebücher, herausgegeben von Hans-Günther
Klein und Rudolf Elvers, Breitkopf & Härtel
9. Faksimiles Wolfgang Amadeus Mozart: Fragmente, herausgegeben von Ulrich
Konrad, Neue Mozart-Ausgabe XXX/4 Bärenreiter Verlag