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nmz
2003/04 | Seite 50
52. Jahrgang | April
Dossier:
Messebilanz
Gefragt ist der qualitativ hochwertige Musikunterricht
„Mit Geigen gegen PISA – Aktives Musizieren als Instrument
einer Bildungsreform“ · Eine Podiumsdiskussion
Die PISA-Studie hat eine neue Bildungsdiskussion in Deutschland
entfacht. In diese Diskussion hat sich auch die Musikbranche mit
den bereits bekannten Argumenten eingemischt: Musik macht intelligent,
fördert die soziale Kompetenz junger Menschen et cetera. Besonders
das aktive Musizieren kann dabei eine entscheidende Rolle spielen
als wichtiger Bestandteil einer ganzheitlichen „intelligenten“ Bildungs-
und Ausbildungskonzeption für junge Menschen. Wie aber sieht
es in der Realität aus? Welchen Stellenwert hat die Musik
in der Diskussion neuer Bildungsmodelle? Wie steht es um die Diskussion über
Ganztagsschulen, in denen aktives Musizieren zum wichtigen Gestaltungsfaktor
werden sollte? Hat die Musik-Lobby sich lautstark und überzeugend
in die Diskussion eingebracht? Und wird sie genügend gehört?
Darüber diskutierten unter der Moderation von Andreas Bomba
(Hessischer Rundfunk) Monika Griefahn, Vorsitzende des Ausschusses
für Kultur und Medien im Bundestag, Hans Günther Bastian,
Universität Frankfurt, Klaus-Ernst Behne, Hochschule für
Musik und Theater Hannover, Dagmar Sikorski, Sikorski Musikverlag
und Deutscher Musikverlegerverband und Christian Höppner,
Musikschule Wilmersdorf, Vizepräsident Deutscher Musikrat
und Präsident des Landesmusikrats Berlin.
Andreas Bomba: Ich glaube, die wenigsten von uns wissen, was in
dieser PISA-Studie eigentlich gefragt wurde. Aber die Bildung an
sich, das Schulsystem wurde an den Pranger gestellt. Und sofort
waren auch einige mit Patentrezepten bei der Hand, wie dieses Ergebnis
zu beheben sei. Ein Stichwort: Ganztagsschule. Eine Politikerin
sitzt auf diesem Podium. Monika Griefahn, zunächst an Sie
die Frage: Was macht dieser Ausschuss für Kultur und Medien
eigentlich?
Während der Vorbesprechung
am ConBrio-Stand:
Monika Griefahn und Christian Höppner. Foto: Ursula
Gaisa/nmz
Monika Griefahn: Leider keine Lehrer einstellen,
denn das obliegt in einem föderalen Land wie unserem der Kulturhoheit der Länder.
Aber was wir schon getan haben, ist mit einem Angebot an die Länder
das berühmte Thema der Ganztagsschule mit in die Diskussion
zu werfen. Der Ausschuss für Kultur und Medien hat auch das
Problem der kulturellen Bildung als ein Teilprojekt für eine
Ganztagsschule mit initiiert. Ansonsten schafft der Ausschuss Rahmenbedingungen
für die Kultur in der Bundespolitik, um für Künstler
ein positives gesellschaftliches Ambiente zu schaffen. So haben
wir die Künstlersozialversicherung novelliert, wir haben ein
Stiftungsgesetz novelliert, das eben doch ermöglicht hat,
viele Stiftungsneugründungen zu initiieren, weil es steuerlich
attraktiver geworden ist, eine Stiftung einzurichten. Wir haben
das Urhebervertragsrecht gestaltet, um für Autoren ein Recht
auf Vergütung ferstzuschreiben. Wir haben ein Buchpreisbindungsgesetz
verabschiedet, damit auch die nationale Buchpreisbindung erhalten
werden kann, die im europäischen Kontext hätte aufgehoben
werden sollen. So erhalten wir auch den Buchhandel in der Fläche.
Ferner haben wir eine Bundeskulturstiftung eingerichtet, die sich
insbesondere für zeitgenössische Kultur, aber eben auch
für den internationalen Kulturaustausch einsetzt. Ich glaube
das sind alles taugliche neue Instrumente, mit denen man gerade
im Dialog der Kulturen etwas bewegen kann.
Bomba: Frau Sikorski, Bildung und Schule
werden hauptsächlich
mit Staat und öffentlicher Hand in Verbindung gebracht. Sie
vertreten auf dem Podium nicht nur den Musikverlegerverband, sondern
auch die private Wirtschaft. Wie können Sie sich in bildungspolitische
Diskussionen einklinken?
Dagmar Sikorski: Ich bin immer der Meinung,
dass wir alle die Politik und der Staat sind. Ohne die Wirtschaft
gäbe es die Politik
nicht und irgend jemand soll ja auch Steuern zahlen. Unsere Idee
ist es, dass wir über das Thema Musikunterricht an den allgemein
bildenden Schulen die Musik wieder ins Gespräch bringen. Wer
soll denn einmal in unseren Konzerten, in unseren Opernhäusern
sitzen, wenn wir den Kindern nicht beibringen, dass es außer
der Popmusik auch noch andere Arten von Musik gibt? Wir wollen
mit dieser Informationsvermittlung künftig viel früher
anfangen, in der Vorschule, in den Kindergärten, wo das Singen
populär gemacht werden soll.
Bomba: Herr Höppner: Aktuell wird über die Ganztagsschule
geredet – was machen denn eigentlich die Musikschulen, wenn
die Kinder den ganzen Tag in den allgemein bildenden Schulen sitzen?
Christian Höppner: Die Musikschulen
sind dieses Problem im Verband deutscher Musikschulen sehr früh angegangen. Es gibt
verschiedene Formen von Modellversuchen der Kooperation mit den
allgemein bildenden Schulen und wir stoßen auf eine sehr
erfreuliche Offenheit und Kooperationsbereitschaft. Der Musikschulunterricht
in der allgemein bildenden Schule ist kein Ersatz für Musikunterricht,
sondern das passende Gegenstück zu dem Unterricht, den die
Musiklehrer machen. Da wir alle wissen, dass wir einen eklatanten
Musiklehrermangel haben, ist das hier eine Aufforderung, auch an
die Politik und an die Ausbildungsstätten forciert an diese
Problematik heranzugehen. Wir müssen das ganze Thema musische
Bildung als Querschnittsaufgabe in der Vernetzung verstehen und
wenn wir das, was Frau Sikorski gerade gesagt hat, ernst meinen,
nämlich den Fokus zu haben vom Kindergarten bis zum Spitzenorchester,
alle Institutionen mit einbeziehen – die Hochschulen, die
Musikschulen – dann ergibt sich auch eine ganz andere Perspektive,
vorhandene Ressourcen zu schöpfen.
Bomba: Das Stichwort ist gefallen – es gibt einen eklatanten
Mangel an Musiklehrern. Herr Behne, können Sie das bestätigen?
Ist es heute unattraktiv Musiklehrer zu werden?
Klaus-Ernst Behne: An den Musikhochschulen
bilden wir – vereinfacht
gesagt – Musiker und Musiklehrer aus. Wir merken sehr genau,
wie sich der Markt und das Musikleben ändert. In den letzten
15 Jahren hat sich etwas ganz Grundlegendes verschoben: Wir brauchen
immer weniger Musiker und immer mehr Musiklehrer. Musikunterricht
fällt heute in einem Ausmaß aus, dass es sich schon
konkret auswirkt. Das merken wir daran, welche Erstsemester zu
uns kommen und was sie musikalisch „drauf“ haben. Die
Musiklehrer kommen mit schlechten Voraussetzungen an, andererseits
müssen Musiklehrer immer vielseitiger werden. Sie sollen nicht
nur im Klassikbereich, sondern auch im Jazz- und Popbereich zu
Hause sein. Das stellt uns vor sehr große Probleme. Hinzu
kommt ein ganz merkwürdiges Phänomen: Wir wissen heute,
je jünger Menschen sind, desto schneller lernen sie im Bereich
der Psychomotorik. Aber je jünger Menschen sind, desto weniger
investieren wir musikpädagogisch betrachtet Gelder. Der Ausfall
von Musikunterricht in den Grundschulen beschämt und die Kindergärten
sind sängerisch absolut stumm. Dafür gibt es heute schon
ein Krisen-Bewusstsein. Eltern fragen nach Kursen für Kinder,
die zwei oder drei Jahre alt sind. Ziel ist auch, dass die Eltern
wieder selbst mit den Kindern singen.
Bomba: Herr Bastian, könnten Sie sich vorstellen, demnächst
auch Kindergärtnerinnen musikalisch auszubilden?
Hans Günther Bastian: Vorstellen schon,
aber ich denke die Kapazitäten der Lehrer sind erschöpft mit Forschung und
Funktion an der Universität. Wichtig ist, was Herr Behne gesagt
hat, dass wir so bald wie möglich musikalische Früherziehung
einsetzen, denn wir wissen aus der amerikanischen Begabungspsychologie,
dass das Fundamente musikalischer Entwicklung bis zum neunten Lebensjahr
gelegt sein muss, damit es später in den unterschiedlichen
Begabungsrichtungen wirken kann. Das heißt je früher,
desto erfolgreicher ist das gemeinsame Musizieren, das Erleben
von Musik. Wir müssen so früh wie möglich in die
Kindergärten – es kann nicht sein, dass es in Deutschland
Kindergärten mit 400 Kindern und genau einer Kindergärtnerin
mit Akkordeon gibt, die sich das Spielen vielleicht auch noch selber
beigebracht hat. Dann kommen diese Kinder in die Grundschule, werden
fachfremd unterrichtet. Das kann nicht gut gehen, wir brauchen
eine qualitätvolle Musikerziehung. Ein sehr wichtiger Ansatz
ist das Klassenmusizieren, das wir verbreitet und vermehrt registrieren
können in den Schulen. Da finden wir schon nach sehr kurzer
Zeit sehr gute Ergebnisse. Jedes Kind soll ein Instrument lernen – das
ist meine sozialpädagogische Forderung. Es darf doch nicht
sein, dass die Kinder im sozialen Ghetto ästhetischen Denkens
verhaftet sind, nie mehr die Chance haben ein Instrument zu lernen,
andere Musikwelten kennen zu lernen. Es darf doch nicht eintreten,
dass es heißt „Goethe, Schiller in der Schule gratis,
Mozart und Beethoven außerhalb der Schule zum selbst finanzierten
Aufpreis“. Das wäre eine sozialpädagogische Kapitulation
der allgemein bildenden Schule. Wenn dieser einstmals kluge Ron
Sommer dafür sorgte und sagte, 44.000 Schulen ans Netz, dann
war das eine missionarische Funktion. Denn Schulen am Netz bedeutet
auch Kinder zuhause am Netz. Wenn man das schulische Musizieren
derart fördert, dann kann aus dem schulischen Musizieren ein
häusliches Musizieren werden, das heißt das Musizieren
multipliziert sich in die Familien hinein. Das ist doch eine Chance
auch für die Musikindustrie hier zuzugreifen und zu investieren.
Denn diese Engagements sind keine Ausgaben, sondern Investitionen
in die Erziehung unserer Kinder.
Bomba: Musikindustrie – da muss ich Sie, Frau Sikorski, jetzt „haftbar“ machen
hier auf dem Podium, auch wenn Sie nicht die Musikinstrumentenbranche
vertreten, sondern den Verlag. Was wären denn von Ihrer privatwirtschaftlichen
Seite her Strategien?
Sikorski: Ich möchte festhalten, dass die Verlage ganz weit
entfernt sind von dem Thema Musikindustrie. Wir sind die Partner
der Autoren. Wir versuchen zum Beispiel, eine Kommunikation zwischen
Komponisten und Kindern herzustellen. Es hat ja keinen Sinn, dass
man die Komponisten einfach alleine in ihren Kämmerchen sitzen
lässt und sie schreiben vollkommen am Publikum vorbei. Eines
Tages gibt es eben dann dieses Publikum nicht mehr. Ich glaube,
dass man mit dieser Kommunikation Großes erreichen kann.
Dann wird auch das Musizieren wieder Spaß machen. Das Interesse
an der Musik liegt bei 99 Prozent der Bevölkerung. Anderer-seits
ist festgestellt worden, dass das Fach Musik das unbeliebteste
Fach an der Schule ist – da liegt ein tiefer Widerspruch.
Bomba: Vielleicht ist der Musikunterricht
zu theoretisch?
Behne: In der Vergangenheit ist das sicherlich
so gewesen. Das hat sich in den letzten zehn Jahren radikal geändert und die
Musiklehrer, die heute ausgebildet werden, oder diejenigen, die
sich durch Weiterbildung noch fitmachen, das sind Musiklehrer,
bei denen der Bereich der Ensemblepraxis sehr im Vordergrund steht.
Bomba: Die Musik ist bildungspolitisch betrachtet
sehr schnell das fünfte Rad am Wagen. Frau Griefahn, welche Strategien
müssen verfolgt werden, um das als gleichwertig zu lancieren?
Was kann die Musiklobby tun?
Griefahn: Die Ergebnisse von PISA haben zu sehr unterschiedlichen
Reaktionen geführt. Es gab Politiker und Bundesländer,
die haben dafür plädiert, wenn man denn Ganztagsschulen
einrichtet, den Nachmittagsunterricht vorwiegend zum Vertiefen
von Mathematik, Naturwissenschaften, Computerwissen zu nutzen.
Es gab andere, die gesagt haben: Wenn wir Ganztagsschulen einrichten,
dann müssen wir dafür sorgen, dass das soziale Lernen
verstärkt wird. Dass man beispielsweise zusammen Mittag isst,
aber auch, dass man zusammen Musik macht. Da lernt man Fähigkeiten,
die die Wirtschaft auch abfordert, und das ist der entscheidende
Punkt. Wo so etwas funktioniert, stellt sich oft heraus, dass Gewaltpotentiale
geringer sind. Die Bund-/Länderkommission für Bildungsplanung
hat dafür plädiert, dass der Stellenwert des Musikunterrichtes
nachhaltig verbessert wird und dass eben auch das individuelle
Unterrichtsangebot für Instrumente verstärkt werden soll.
Um dies zu erreichen fordere ich auch die Industrie auf, sich ihren
eigenen Zukunftsmarkt zu schaffen, indem ich sage, ihr müsst
dafür auch verstärkt Lobby machen, es gibt andere Lobbygruppen,
die sich da viel stärker artikulieren, aber wenn ihr in Zukunft
Instrumente, Noten et cetera verkaufen wollt, dann müsst ihr
dafür sorgen, dass die Kinder qualifiziert an die Musik herangeführt
werden. Es gibt genügend Modelle, wo man sieht, wie das gemacht
wird. Ein wichtiger Punkt ist ferner die Aus- und Weiterbildung
für Erzieher und Lehrkräfte. Sie muss attraktiver und
praxisbezogener werden. Um den Musikunterricht lebendig zu erhalten,
sollten Modelle eingesetzt werden, bei denen Popkünstler in
die Schulen kommen und die Kinder auf ihre Weise an die Instrumente
heranführen. Wo die Kinder dann merken, auch wenn man Popmusik
macht, muss man ein Instrument spielen können. All das kommt
nicht von selber, da muss man die Lobbykraft bündeln – sonst
haben die anderen, die ihre Interessen stärker formulieren,
die Vorhand.
Bastian: Wir kennen aus der Praxis das Problem der Diskrepanz
von dem was Schüler wollen und dem, was Lehrer anbieten. Auf der
einen Seite Schülermusik außerhalb von Schule , auf
der anderen die Schulmusik. Es ist schwer geworden, das Geschäft
der Musikerziehung. Man spricht heute in der Werbewirtschaft von
bis zu 400 unterschiedlichen Teilkulturen und da sitzen in der
Klasse neun vor Ihnen: der Jugend-musiziert-Typ, der Heavy-Metal-Hörgeschädigte,
da sitzt der Jazzfreak, der Rockfan – was soll der Lehrer
anbieten? Alle haben ihre Präferenzen und der Lehrer gerät
in die Rolle des Schiedsrichters, auf dessen Pfeife niemand hört.
Wie man das dann interagierend aufarbeitet, das muss man vor Ort
entscheiden. Tatsache ist aber: Wir können heute nicht mehr
an diesen alten tradierten Musikvermittlungskonzepten festhalten.
Diese kognitive Überfrachtung – Musik ist eine Sprache
der Gefühle, emotional will sie erlebt sein, diese sentimentale,
vegetative Art gehört auch in den Unterricht hinein.
Behne: Es gibt in diesem Bereich keinen Königsweg. Die Praxis
sieht heute so aus, dass an Schulen der eine Lehrer sich dafür,
der andere sich dafür spezialisiert und die Schüler gehen
dahin oder dahin. Was nur auf keinen Fall passieren darf: dass
bei Schülern der Eindruck entsteht, dass diese Musik die Musik
des Lehrers ist. Der Lehrer muss vielmehr ein Modell dafür
abgeben, dass man in der Lage ist, sich auf Musikkulturen, Musikstile
einzulassen, die nicht mit dieser Altersstufe in Beziehung gebracht
werden. So muss er nicht alles mögen, was im Mainstream oder
in der Hitparade ist, sondern er muss deutlich machen, dass er
im Grunde genommen ein weites Spektrum an Musik schätzt, es
deshalb auch vermitteln kann, was nicht bedeutet, dass er alles
mögen muss.
Sikorski: Das ist ein Weg der Verlage, dass
versucht wird die Kinder dort abzuholen, wo sie im Moment stehen.
Ich finde es ganz bezeichnend,
dass wir vorhin wieder die Diskussion hatten, dass der Lehrer sagt:
Das ist meine Musik und das ist eure Musik. Wir Verlage versuchen,
dass wir die Musik, die die Kinder gewöhnt sind, auch in unsere
Literatur miteinzubeziehen ohne die starke Trennung zwischen E-
und U-Musik zu machen.
Bomba: Welche Rolle spielt Musik in der Diskussion
um Bildungsreform gegenwärtig? Frau Griefahn, wo steht denn die Musik?
Griefahn: Ich fürchte immer noch an einem schlechten Platz.
Denn obwohl die Bund-Länderkommission für Bildungsplanung
die Kriterien aufgelistet hat, die ich dargestellt habe, ist es
heute so, dass erstens das Angebot der Bundesregierung finanziell
auch mit einzusteigen bei der Einrichtung von Ganztagsschulen in
weiten Teilen überhaupt nicht aufgegriffen wird, und zwar
egal, ob es eine Zwangsveranstaltung oder eine freiwillige ist,
es wäre ja gar keine flächendeckende Einrichtung. Wenn
es in dem Bereich der Halbtagsschulen bleibt, dann wird natürlich
PISA und die aktuellen Studien dazu führen, dass alles, was
vermeintlich der Wissensvermittlung dient, Vorrang gewinnt, und
die Frage der sozialen Kompetenz, der Ausdauer, alles Kriterien,
die durch Musikunterricht und gemeinsames Musizieren gefördert
werden, nicht die Rolle spielen, die sie eigentlich spielen müsste.
Heute wird überhaupt nicht wahrgenommen, dass diejenigen,
die gute Musikanten sind, auch hervorragende Mathematiker sein
können und das kennen wir in vielen Bereichen. Das ist ein
wirklicher Schwachpunkt in der aktuellen Umsetzung der PISA-Studie.
Höppner: Ich bin nicht so bange, was die musikalische Zukunft
dieses Landes betrifft, denn ich denke, wir werden eine Art Revolution
von unten bekommen. Trotz sinkender Kaufkraft ist die Nachfrage
gestiegen. Wir haben in Berlin 10.000 Schüler auf den Wartelisten
allein an den Musikschulen. Das ist die entscheidende Aufforderung
an die Funktionäre, die Musikverbände, an die Musikschaffenden,
an die Musiklehrer, Musikpolitik auch als Gesellschaftspolitik
zu verstehen. Wenn wir mit diesem Ansatz herangehen, haben wir
ganz andere Chancen der Vernetzung, und auch diese wohl berühmten
Synergien zu schaffen. Wir müssen nur gemeinsam dafür
sorgen, dass dieses Potential sichtbar wird und sich entfalten
kann. Dazu brauchen wir natürlich auch die Fach- und Dachverbände.
Der Deutsche Musikrat hat gerade einen Quantensprung geschafft
in einem Selbsthäutungsprozess, den er über Jahre nicht
vollzogen hat. Wir haben nicht nur andere Strukturen, sondern ich
denke auch, dass das Bewusstsein dafür da ist, künftig
verstärkt Musikpolitik gemeinsam mit der Politik zu machen,
um die Rahmenbedingungen zu verbessern, damit diese Potentiale
auch geschöpft werden können.
Stark gekürzte Fassung, die Abschrift der gesamten Diskussion
kann beim Verlag angefordert werden.