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2003/04 | Seite 52
52. Jahrgang | April
Dossier:
Messebilanz
Brauchen wir ein pophistorisches Bewusstsein?
Podiumstalk zum Thema „Die Kulturgeschichte der Popularmusik
des 20. Jahrhunderts“
Nachfolgend drucken wir Auszüge aus der Podiumsdiskussion
auf der Frankfurter Musikmesse 2003 mit Jan Koemmet (Dozent an
der Fachhochschule für Musik und Design in Düsseldorf),
Andreas Bomheuer (Geschäftsführer des rock´n´popmuseums
Gronau), Udo Dahmen (designierter Leiter der Popakademie Mannheim),
Heinz Rudolf Kunze (Sänger und Gewinner des ehemaligen Nachwuchspreises
der Deutschen Phono Akademie), Leslie Mandoki (Produzent und Musiker),
Moderation: Jürgen Stark (freier Journalist und Mitherausgeber
des Jahrbuch Pop). Die vollständige Diskussion können
Sie in der April-Ausgabe der Zeitung „musicoutlook“ lesen.
Jürgen
Stark: Jan Koemmet zeigt den Studenten den Film Easy
Rider. Kann man nicht einfach ins Kino gehen, Herr Koemmet?
v.l.n.r.: Leslie Mandoki,
Heinz Rudolf Kunze, Jürgen Stark, Udo Dahmen, Andreas
Bomheuer und Jan Koemmet. Foto: Juan Martin Koch
Jan Koemmet: Man könnte ins Kino gehen, wenn der Film dort
laufen würde. Im Rahmen meiner Arbeit an der Fachhochschule
Düsseldorf geht es um Multi Media, interaktive Systeme und
Hypermedia. Um multimediales Bewusstsein bei den Studenten zu erreichen,
müssen sie nicht nur mit grafischen Element arbeiten, sondern
auch mit Soundelementen oder Musik. Die Studenten suchen sich ihren
Lieblingssong aus und erstellen ein Video. Um eine theoretische
Basis zu schaffen, wird vorlesungsartig und anhand von Filmen Popgeschichte
gezeigt. Darunter fällt Easy Rider.
Stark: Andreas Bomheuer steht für die Zeche Karl in Essen.
Ist die Zeche Karl eine Art Nukleus gewesen, aus dem sich das rock’n’popmuseum
in Gronau entwickelt hat?
Andreas Bomheuer: In der Zeche Karl schufen wir den Raum, Identitäten
und kulturelle Äusserungen reifen zu lassen. Das rock’n’popmuseum
Gronau ist fast 30 Jahre nach der Zeche Karl und mit einer 100-jährigen
Geschichte der Popularmusik im Rücken an einem Punkt, an dem
es sinnvoll ist, darüber nachzudenken, so etwas zu bauen und
zu überlegen, wie die Popularmusik und Kulturgeschichte darzustellen
ist. Die Resonanzen zeigen deutlich, dass die einen sagen, „endlich
mal was Buntes im Bildungsbereich“ und die anderen „toll,
dass da ein wenig Seriosität kommt“.
Stark: Kommen wir zur nächsten Baustelle, Udo Dahmen, die
Popakademie Mannheim.
Udo Dahmen: Das Land Baden-Württemberg erkannte, dass bestimmte
Dinge zusammengehören. Das sind die künstlerischen Möglichkeiten,
die ein Popmusiker hat und wie er arbeitet, nämlich mit einer
gewissen Ferne von allen administrativen und organisatorischen
Strukturen. So wird es nicht nur Ausbildung geben, sondern die
Möglichkeit für Absolventen, Büros zu eröffnen,
in Studios zu arbeiten oder in einem Club aufzutreten. Wir haben
eine Gesellschafterstruktur, die sechs Gesellschafter umfasst.
Neben dem Land, der Stadt, dem SWR ist Universal dabei und zwar
an wesentlicher Stelle. Sie haben erkannt, dass man jetzt investieren
muss, um Nachwuchs zu generieren.
Stark: Heinz Rudolf Kunze, wie bewerten Sie die „Baustellen“ Mannheim
und Gronau?
Heinz Rudolf Kunze: Ich glaube, dass Mannheim eine wichtige Adresse
ist. Wenn die Sache in Mannheim klappt, wird es an anderen Orten
Nachfolger geben. Es wird eine Keimzelle sein und vielleicht könnte
daraus etwa wie die Art Schools werden, aus denen Leute wie Keith
Richards oder John Lennon hervorgingen.
Stark: Leslie Mandoki, wenn Sie mit ihrer speziellen Biografie
diese Diskussion hören, fällt Ihnen da etwas auf, was
wir nicht mitbekommen?
Leslie Mandoki: Das ist eine multikausale Problematik, mit der
sich die Tonträgerindustrie im Moment herumschlägt. Deutsche
Künstler und deutsche Musiker haben Weltniveau. Aber das ein
oder andere Segment der Tonträgerindustrie hat eben nicht
Weltniveau. Und daran krankt es. Unsere Musiker sind talentiert
und fleißig, aber die Struktur ist wackelig. Durch meine
internationale Erfahrung kann ich die aktuelle nationale Tragödie
einschätzen. In England oder Frankreich gibt es nicht die
gleichen Probleme. Dort gibt es noch Ausbildungsplätze für
Toningenieure und Musiker. Jeder, der über das Museum oder
Mannheim schmunzelt, der soll sein Schmunzeln einfrieren. Dinge
wie diese sind der wichtigste Ausweg aus der Krise.
Stark: Jan Koemmet, kann man als Dozent mit den Mitteln der Popularmusik
so spielen, dass es ein lebendiges Lehrfach wird?
Koemmet: Die Popkultur ist gerade für junge Menschen ein Bereich,
in dem sie sich gut auskennen. In meinen Vorlesungen versuche ich
Theorie stark zu thematisieren und oft wird über die Geschichte
der Popkultur den Studenten klar, inwieweit Pop in unsere Gesellschaft
geflossen ist und dass Popkultur nicht nur aus Musik, sondern wie
jede Kultur aus bildender Kunst, Theater und Literatur besteht.
Kunze: Ein kleiner Einspruch. Der Kollege hat einen optimistischen
Ansatz, wenn er sagt, dass junge Menschen sich automatisch mit
Popkultur auskennen. Ich habe gerade eine Produktion hinter mich
gebracht mit meiner neuen Band, die sind alle Anfang 30. Ich war
erschüttert, als ich ihnen Tommy von The Who vorspielte und
sie es nicht kannten. Man sollte wissen, wo das herkommt.
Koemmet: Genau das passiert ja in meinem Unterricht. Die Geschichte
der Popularmusik wird erklärt.
Leslie Mandoki: Man muss bestätigen, was Herr Kunze gesagt
hat. Ich habe mit Ian Anderson und Jack Bruce produziert. Die jungen
Engländer lernen in normalen Schulen, wie die beiden die englische
Musiksprache mitentwickelt haben. Wer sollte in Deutschland in
Schulbüchern stehen? In einer Zeit, in der Politiker häufig
versagen, kommt der Populärkunst eine besondere Bedeutung
zu. Dieser Bedeutung müssen wir gerecht werden. Dazu braucht
man aber eine starke Tonträgerindustrie.
Dahmen: Eine wichtige Komponente der Popmusik ist, dass es einen
Wertekatalog geben muss, der auch Originalität beinhaltet.
Originalität ist kein absolutes Kriterium, sondern ein relatives.
Wenn ich das auf ein Museum übertrage, wäre nichts gefährlicher
als zu sagen: „Das waren jetzt 50 Jahre Popmusik in Deutschland.“ Schön
wäre es, wenn man den Bezug zu heute herstellte und sich fragte,
was man aus der aktuellen Lage für die Zukunft machen kann.
Dieser Ansatz ist beim rock’n’pop museum da.
Bomheuer: Darin liegt für uns der Schwerpunkt. Ich hoffe,
dass das Museum einen Beitrag leisten kann, auch bundes- und europaweit
den Kontext in der Popmusik zu betonen. Insofern wird Gronau kein
starres Museum sein. Wir werden Exponate ändern, arbeiten
mit einer Datenbank, in die stets neue Informationen einfügt
werden, um diesen Prozesscharakter deutlich zu machen.
Stark: Herr Bomheuer, kann man als Museum Aufklärung betreiben?
Bomheuer: Man darf sich nicht überschätzen. Aber ich
hege die Absicht, in der Bundesrepublik deutlich zu machen, dass
Popkultur, Pop- und Rockmusik kulturelle und künstlerische Äusserungen
sind, und damit eine kulturelle Identität für viele darstellen.
Ich glaube, dass wir damit in der Politik die Ohren öffnen
und die Wertung von Rock und Pop deutlich machen können.
Kunze: Im Moment regieren Leute, die mit Rockmusik aufgewachsen
sind. In Niedersachsen etwa Ministerpräsidenten Wulf. Der
ist ansprechbar, obwohl er bei einer Partei ist, die für Rockmusiker überhaupt
keine Adresse ist. Er ist offen und bereit, sich diesem Thema zu
widmen.
Mandoki: Ich stellte Frau Merkel die Frage, wer politisch
der Hauptschuldige sei, dass wir mit Urhebergesetzen nicht durchkommen.
Der Diebstahl
von geistigem Eigentum ist in Deutschland nämlich eigentlich
legal. Daher brauchen wir hier eine gesetzgeberische Veränderung.
Unsere Generation von Musikern muss aufpassen, dass sie zum Beispiel
das illegale CD-Brennen für die nächste und übernächste
Generation kapitalisieren kann.
Dahmen: Da geht es aber nur um Dinge wie
das CD-Brennen. Aufklärend
muss gesagt werden, dass wir in Deutschland kein Urheberrecht haben.
Nicht, dass hier der falsche Eindruck entsteht.
Kunze: Aber lieber Herr Dahmen. Wenn Leute bei Autogrammstunden
mir selbstgebrannte CDs ins Gesicht halten, die ich unterschreiben
soll, sieht man, dass es in den Augen dieser Leute kein Unrechtbewusstsein
gibt. Leute wie wir arbeiten zwei Jahre an einer Platte. Das ist
unser Leben. Und ich finde es fair, wenn wir dafür bezahlt
werden.
Dahmen: Das sehe ich genauso. Mir ging es um die inhaltliche
Klarstellung.
Stark: Herr Dahmen, ergeben sich Möglichkeiten für Allianzen
zwischen Mannheim und Gronau, zum Beispiel im musikpädagogischen
oder Ausbildungsbereich?
Dahmen: Natürlich. Tatsächlich ist es so, dass wir in
unserem Curriculum Popmusikgeschichte als Fach haben werden. Wir
werden viele Dozenten für Popmusikgeschichte verpflichten.
Und da wird das Museum Anschauungsobjekt für unsere Leute
sein. Aber auch im Austausch von Dozenten kann ich mir einiges
vorstellen.
Stark: Das rock’n’popmuseum war bereits an einer Schule
in Rostock. Was ist an schulischer Zusammenarbeit geplant?
Bomheuer: Wenn man die Kulturgeschichte der Popularmusik erzählen
möchte, muss man die verschiedenen Unterrichtsinhalte anpacken.
In NRW kann man sagen, dass der Musikunterricht so gut wie nicht
mehr stattfindet. Von daher geht man dazu über, im Zuge der
Subsidiarität andere damit zu beauftragen: „Geht ihr
bitte in die Schulen und macht Musikunterricht“. Dass man
zum Beispiel kennen lernt, was der Groove oder Originalität
ist, alles Faktoren, die Musik des einen von der Musik des anderen
unterscheiden. Ich glaube, dass die Künstler das selbst am
besten persönlich beschreiben können.
Kunze: Das müssen Menschen sein, die den Schülern glaubwürdig
gegenübertreten. Und ich weiß, dass das sehr schwer
ist, ich habe Lehrer gelernt.
Stark: Herr Dahmen, was können Institutionen wie die Popakademie
beitragen, den (Musik-) Pädagogen neu zu erfinden?
Dahmen: Glaubwürdigkeit fängt in diesem Falle nicht da
an, dass man selbst in einer Rockband spielte, sondern an dem Punkt,
an welchem man sich für die Musik seiner Schüler interessiert
und sie ihr Ding machen lässt, ihnen aber trotzdem andere
Hintergründe zeigt. Es soll Lehrer geben, die ihren Curriculum
hauptsachlich auf die populäre Musik stützen, da die
Inhalte und da die Noten. Der Hintergrund der Popmusik ist nicht
anders als der in der klassischen Musik.