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Ausgabe 2003/04
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nmz 2003/04 | Seite 49
52. Jahrgang | April
Dossier: Messebilanz

Was eigentlich schmerzt, ist der Werteverlust

Podiumsdiskussion zum Thema „Ziemlich gemein? – public domain“

Nach Ansicht von Chaos Computer Club-Sprecher Andy Müller-Maguhn fehlt Politikern in Deutschland technisches Verständnis für das Internet. Gleichzeitig würden elektronische Netze zu einem entscheidenden Bestandteil von Infrastruktur und Gesellschaft. Deshalb drohe Deutschland aus Unverständnis der sicherheitstechnischen Probleme der Technologie zu einem elektronischen Überwachungsstaat zu werden. Gleichzeitig sieht Müller-Maguhn die Gefahr, dass die Auseinandersetzungen um die Gewährleistung von Urheberrechten im Internet wie etwa im Fall Napster zur Einschränkung lang erkämpfter Grundrechte wie der Meinungs- und Pressefreiheit führen könnten. Moderator Thomas Tietze nahm die Thesen des „Internet-Rebellen“ als Ausgangspunkt für die Diskussion „Ziemlich gemein – public domain“ auf der Musikmesse Frankfurt.

Thomas Tietze: Herr Hertel, sehen Sie in den Thesen von Andy Müller-Ma-
guhn einen ersten Ansatz zum allmählichen Abschied vom Urheberrecht? Also auch Abschied von der Vergütung für die Kreativen?

v.l.n.r.: Moderator Thomas Tietze (Bärenreiter Verlag, Kassel), Hans Herwig Geyer (GEMA), Enjott Schneider, Paul Hertel (AKM), Christoph Schick (On Demand), Heinrich Bleicher-Nagelsmann (ver.di). Foto: Andreas Kolb

Paul Hertel: Ich habe da eine recht schöne Geschichte im Internet gefunden: Eine gewisse Jeanette Hofmann hat in einem Artikel „Das digitale Dilemma“ Ähnliches wie Herr Müller-Maguhn von sich gegeben, hat sich furchtbar darüber aufgeregt, dass sie für Musikverwertung Geld zahlen muss und erklärt, wie fein das doch ist, sich bei Napster alles herunterladen zu können. Darüber hat sie einen bitterbösen, mehrseitigen Artikel geschrieben, den sie ins Internet gestellt hat. Nach einigen Wochen fand sie diesen Artikel mit einer anderen Urheberangabe; es wurde nur kurz zitiert, dass es da auch eine Jeanette Hofmann gibt, die so etwas Ähnliches schreibt. Auf einmal ist ihr bewusst geworden, was hier eigentlich los ist. Wenn es mich selbst betrifft, wenn ich selbst Urheber bin, dann spüre ich plötzlich, was im Netz passieren kann.

Das Urheberrecht wurde geschaffen, um zum Beispiel Autoren und Musiker in die Lage zu versetzen, weiter zu schaffen. Man muss in der jungen Generation, in der Generation, die heute vor allem das Internet nutzt, ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es zu einer unglaublichen Verarmung kommen könnte, wenn diejenigen, die Musik schaffen, nicht mehr davon leben können. Deshalb schützt und fördert die österreichische Verwertungsgesellschaft AKM das Recht des Urhebers.

Tietze: Wie ist die Sicht der Gewerkschaften zu dieser Frage? Immerhin wohnt ja dieser These von Herrn Müller-Maguhn etwas sehr Soziales inne.

Bleicher-Nagelsmann: Wie vieles ist das eine Frage des Standpunktes. Auf der einen Seite ist die Aussage „Eigentum ist Diebstahl“ nicht neu, sie stammt noch aus der Zeit vor der französischen Revolution. Wir sagen andererseits: Wer geistiges Eigentum stiehlt, der ist gemein. Denn es ist gerade schon zu Recht angesprochen worden: Künstler müssen mit ihrer Kreativität von dem leben können, was sie produzieren. Ich würde gerne den Titel unserer Veranstaltung ansprechen: public domain ist gemein – gemein im eigentlichen, ursprünglichen Sinn des Wortes, das heißt es gehört allen, es ist etwas Gemeinsames. Das, was Künstlerinnen und Künstler über Jahrhunderte geschaffen haben, gehört nach unserer Auffassung der Gemeinschaft der Künstler. Wenn jedoch heute das Urheberrecht erlischt, dann entstehen so genannte gemeinfreie Werke. Alles, was Mozart komponiert hat, was Goethe geschrieben hat, ist gemeinfrei, das heißt jeder kann es spielen und publizieren. Wer aber daran verdient, sind nicht die Künstler, sondern die Verwerter und andere Produzenten.

Deshalb sagen wir, das ist „gemein“ – da bereichern sich andere an dem Eigentum der Gemeinschaft. Unsere Forderung ist das Künstlergemeinschaftsrecht. Das heißt: Wir wollen, dass heutige Künstler von dem profitieren, was früher Künstler geschaffen haben. Ein Anteil dessen, was diese gemeinfreien Werke abwerfen, soll in eine Stiftung Künstlergemeinschaftsrecht eingestellt werden und damit lebenden Künstlern zugute kommen. Es wären zirka 50 Millionen Euro, die dann zur Verfügung stünden, und das wäre ein guter Beitrag um das kulturelle Leben, um Kreativität zu fördern.

Hans Herwig Geyer: Ich möchte dem Kollegen von der Gewerkschaft noch zum Punkt „Soziales“ zur Seite springen. Es ist nicht sozial zu fordern, dass alles frei sein soll im Internet. Das wäre so, als würde man fordern, dass der Wirt sein Essen und sein Trinken umsonst hergeben soll. Das ist eine sehr billige Rhetorik. „Gemeinheit“ im Sinne von „Was gehört uns allen, was wurde erwirtschaftet, was erarbeitet?“ sollten wir mit Respekt vor dem geistigen Eigentum genau betrachten.

Tietze: Es stellt sich die Frage, ob das wirklich so einfach ist in unserer heutigen Zeit. Wir leben nicht mehr im 20. Jahrhundert, wo alles rein urheberrechtlich simpel zu fassen war. Man hatte das Werk, man konnte sich die Noten oder die Schallplatte kaufen, man hat das dann maximal auf eine Kassette überspielt, man hat dafür die Leerkassettenabgabe bezahlt und alles hatte seine Ordung. Aber wir haben heute tatsächlich eine völlig veränderte Situation. Herr Schneider, meinen Sie nicht, dass die urheberrechtliche Sichtweise auf diese gewandelte Gesellschaft, auf diese Informationsgesellschaft nicht doch mehr Rücksicht nehmen müsste?

Enjott Schneider: Ich glaube wir sind uns einig, dass das Urheberrecht zu schützen sei und dass vieles im Argen liegt. Um hier Fortschritte im positiven Sinn zu machen muss man erst ziemlich genau analysieren, wie es dazu gekommen ist, was die Hintergründe sind. Hintergründe gibt es zu der Problematik für mich mindestens zwei.

Das eine ist der Hintergrund, dass wir, was die Polarität Materialismus – Idealismus betrifft, zur Zeit in einer sehr materiellen Gesellschaft leben. Alle äußerlichen Werte wie Geld, Sport, body, beauty sind momentan sehr hoch im Kurs im Gegensatz zu ideellen, inneren Werten. Der Werteverlust ist im Moment grassierend. Wenn Leute überhaupt keine inneren Werte mehr erkennen, dann ist es natürlich schwer, sie davon zu überzeugen, für innere Werte, wozu auch geistiges Eigentum gehört, Geld auszugeben. Der zweite Hintergrund ist, dass durch die technologische Entwicklung das geistige Eigentum immer weniger konkretisierbar ist. Früher musste man zum Beispiel ein dickes Buch schreiben, um etwas von sich zu geben, heute wird das in einem Datensatz komprimiert, da hat man eine kleine CD-Rom in der Hand, die materiell überhaupt nichts mehr wert ist.

Oder aus meiner Komponistensicht: Wenn – noch vor 15 Jahren – ich im Studio war, kam ich wirklich mit drei Kilo Musik unterm Arm nachhause: Musik auf schweren Tonbändern. Dann sind die Tonbänder immer kleiner geworden, es gab DAT-Kassetten, die hatte man ganz schnell verlegt, die waren nichts mehr wert, weil das schon stofflich nichts mehr hergab. Inzwischen ist man nur noch ein kleines Audio-file auf dem Computer, man ist eine ganz geringe Datenmenge. Geistiges Eigentum ist im Moment inflationär geworden.

Tietze: Herr Schick, vielleicht können Sie darauf kurz einmal eingehen. Sie sind ja jünger als Herr Schneider und haben somit einen direkteren Zugang zu der Sichtweise der Jugendlichen?

Christoph Schick: Die Problematik der Musiktauschbörsen ist dadurch entstanden, dass eindeutig ein Interesse an Musik in dieser Form beim Konsumenten vorliegt. Die Industrie hat jahrelang vor diesem Phänomen wie das Kaninchen vor der Schlange gesessen, aber selbst wenig Initiative ergriffen, um eigene Lösungen anzubieten. Wir versuchen jetzt, uns zu positionieren, indem wir erst einmal generell von der Annahme ausgehen: Viele User sind bereit, für Musik im Internet zu bezahlen. Man muss ihnen nur das Angebot machen und das muss nahezu identisch mit dem der Tauschbörsen sein. Ich muss es allerdings in einer qualitativ hohen Form anbieten, rund um die Uhr verfügbar machen und ein gewisses Titelkontingent vorhalten. Unsere Firma „On Demand Distribution“ hat mittlerweile einen Repertoirebestand von etwa 100.000 Titeln und es zeigt sich seit kurzem beim Endkonsumenten durchaus die Bereitschaft, für Musik auch Geld zu bezahlen.

Tietze: Das glaube ich Ihnen gerne und dennoch scheint mir das etwas zu kurz gegriffen zu sein. Wenn ich die Zeitung aufschlage, ist sie jeden Tag voll von Berichten über kostenlose Möglichkeiten, sich aus dem Internet Musik zu ziehen. Kürzlich habe ich gelesen, dass die Präsidentin des amerikanischen Schallplattenverbandes quasi den Kampf gegen die Musikpiraten aufgegeben hat.

Geyer: Es überrascht mich natürlich, dass die phonografische Wirtschaft beginnt, hier eine Niederlage zu verkünden. Das kann ich von Seiten der Urheber überhaupt nicht akzeptieren und auch nicht feststellen. Um auch etwas Positives zu sagen: es ist ja nicht so, dass wir hier von einem Thema reden, das überhaupt nicht in den Griff zu bekommen ist. Wir haben selbstverständlich Grundlagen geschaffen. Es ging zunächst einmal darum, die Rechtsfortbildung voran zu treiben. Wir haben 1996 bei einer UN-Konferenz der WIPO, also der world intellectual property organisation eine neue Definition dieser Rechte überhaupt erst einmal ermöglicht. Da haben sich Juristen monatelang weltweit darüber unterhalten, wie diese neuen Online-Rechte zu definieren sind. Das neue Urheberrecht ist in die internationalen Regelungen und in die europäische Gesetzgebung eingegangen ebenso wie in den amerikanischen Gesetzgebungsprozess, und unsere Regierung, so hoffen wir, ist gerade dabei die EU-Richtlinie in nationales Gesetz einzubringen, damit dieses Recht eben auch verbrieft ist.

Was ist noch geschehen? Die Verwertungsgesellschaften haben natürlich nicht geschlafen. Sie mussten ihre Kooperation auch weltweit nach vorne bringen. Wir haben diese Gegenseitigkeitsverträge mit unseren internationalen Schwestergesellschaften um die digitalen Rechte erweitert und wir treffen uns in vielen meetings, um dieses auch verwertungstechnisch durchzusetzen.

Ziel ist, dass der Urheber bei der digitalen Verwertung genauso zu seinem Recht kommt wie dies im traditionellen Bereich auch der Fall ist, und dass die Verwertungsgesellschaften dies ermöglichen. Auch, wenn zum Beispiel eine Einspeisung in Deutschland stattfindet und in den USA abgerufen wird. Dieses beginnt zu funktionieren, es beginnt ganz genauso wie in herkömmlichen Modellen eben auch zum Wohle des Autors sich zu entwickeln. Es ist ja nicht die Technik, die schlecht ist, sondern es ist die Frage, wie wir diese Technik anwenden. Die GEMA hat von Anfang an gesagt, dass das Internet als ein neues Medium, wo sich Künstler eben auch einer Weltöffentlichkeit präsentieren können, zu begrüßen ist.

Es muss aber auch sicher sein, dass dieses Medium auf der Grundlage der geltenden Eigentumsrechte stehen muss, wie wir sie nun einmal in unserer Kulturgesellschaft entwickelt haben. Wenn wir jetzt Phänomene haben, die wir scheinbar nicht so ganz in den Griff bekommen wie zum Beispiel das peer-to-peer-System, müssen wir uns auch überlegen, wie wir diese meistern.

Wenn wir hier nicht mehr einen Content-Provider haben, den wir als Lizenznehmer ansprechen können, dann müssen wir uns eben darüber unterhalten, dass auch die Service-Provider mit in der Verantwortung stehen. Auch bei der Frage der privaten Vervielfältigung müssen wir zu einem fairen Ausgleich kommen, damit der Urheber davon leben kann. Ich darf nur daran erinnern, was wir für eine lange Auseinandersetzung führen mussten gegen Hewlett Packard nur um ein bestehendes Recht, nämlich das Recht der privaten Vervielfältigung und der Vergütung für dieses Recht im Bereich der CD-Brenner durchzusetzen.

Da sind natürlich enorme Widerstände auf dem Markt, aber davon lässt sich eine Verwertungsgesellschaft wie die GEMA nicht irritieren. Wir machen dieses Geschäft jetzt im hundertsten Jahr und die Aufgaben sind dieselben. Die technische Entwicklung muss begleitet werden, die technische Entwicklung muss befördert werden, es muss ein Rahmen gesetzt, der zum Nutzen der Urheber ausgestaltet wird.

Tietze: Fühlen Sie sich, Herr Professor Schneider, tatsächlich ausgeraubt von den Verwertern? Oder muss man in Fragen der angemessenen Vergütung doch etwas differenzierter denken?

Schneider: Auf der einen Seite fühle ich mich effektiv schon ausgeraubt. Um ein Segment zu nennen: die Veröffentlichung von Musik auf CDs ist zur Zeit unendlich schwierig geworden. Hier ist die Gewinnerwartung bei den Tonträgerproduzenten so weit zurückgegangen, dass uns Komponisten immer null Interesse entgegenstößt und das ist sehr unangenehm. Zum anderen merke ich bei der Diskussion, wenn es um Urheberrecht und um geistiges Eigentum geht, es immer um Geld geht, also um den quantitativen Aspekt des Musikmachens. Was eigentlich für uns Komponisten noch schlimmer ist, ist der Verlust des qualitativen Aspekts beim Musikmachen, etwa durch die Anonymisierung, durch den inflationären Umgang mit Kunstwerken. Klar ist, dass bei geraubter Musik der Komponist und der Interpret nicht mehr genannt werden.

Das ist übrigens eine Tendenz, die findet man auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Wer etwa BR3 anhört, wird den ganzen Tag mit Musik berieselt, ohne dass da noch ein Sänger oder ein Komponist genannt wird. Das ist bei den Filmabspännen genauso: früher war es üblich, dass im Filmabspann der Komponist, das Orchester, die Musiker genannt wurden, heute werden bei Sat1, RTL und inzwischen auch beim ZDF die Abspänne weggekappt. Dieser Werteverlust, dass einfach Musik nichts mehr wert ist – nicht im Geldsinne sondern vor allem im qualitativen Sinne – dieser Aspekt macht den Komponisten am meisten zu schaffen.

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