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nmz-archiv
nmz
2003/04 | Seite 51
52. Jahrgang | April
Dossier:
Messebilanz
Das Wort Kind soll seinen wunderbaren Klang behalten
Rolf Zuckowski über gute Musik für Kinder, U- und E-Musik
und die Grenzen zwischen Kind- und Erwachsensein
Er ist der Star
der kreativen Köpfe, die seit Jahrzehnten
Musik für Kinder erfinden und gestalten: Rolf Zuckowski. Seine
Hits wie „In der Weihnachtsbäckerei“ oder „Wie
schön, dass du geboren bist“ gehören inzwischen
zum Volksliedgut. Ursula Gaisa (nmz) sprach mit ihm auf dem Podium
der Halle 3.1.
Ursula Gaisa: Was ist für Sie gute Musik für Kinder?
Stellt seine Kreativität
in den Dienst von Kindern: Rolf Zuckowski am Gemeinschaftsstand
von GEMA, DMV, ver.di und BDMV. Foto: Barbara Haack
Rolf Zuckowski: In jeder Kategorie gibt es
bestimmte Songs, die bestimmte Menschen unglaublich schön finden, andere haben
kein Ohr dafür. Für mich heißt Musik für
Kinder zuerst, dass der, der das Lied singt, macht, erfindet,
genug Kind ist und nicht Kinder bedienen will. Dazu gehört
aber auch eine Menge Handwerkliches, was wachsen muss. Wenn Kinder
die Lieder singen sollen, dann sollten sie auch singbar sein,
nicht zu simpel, aber auch nicht zu anspruchsvoll, sie sollten
Geschichten erzählen, in denen sich Kinder wiederfinden
oder in denen sie neue Welten entdecken können – ich
mag aber auch besonders, dass Kinder in ein Lied hineinwachsen
können, dass sie es nicht sofort vollständig verstehen,
sondern vielleicht Geheimnisse in einem Lied entdecken. Wenn
dann auch noch diese Musik Kinder zum Musizieren, zum Spielen,
zum Aufführen anregt, dann ist das in der Summe sicher gute
Musik für Kinder.
Gaisa: Thema Kindergarten, Schulmusik:
Was würden Sie persönlich
staatlichen Institutionen empfehlen. Was läuft schief bei
uns?
Zuckowski: Die Ausbildung von Erzieherinnen, Lehrern sollte
Musik wieder ganz zentral wichtig nehmen. Dafür muss es einen guten
Unterricht an der Hochschule und den Universitäten für
die Erwachsenen geben, aber dieser Unterricht muss auch vom Kind
her gedacht werden. Ich glaube, dass viele Musiklehrer zu guten
Instrumentalisten und nicht zu guten Lehrern ausgebildet werden.
Damit die, die jetzt Kinder unterrichten oder im Kindergarten Musik
machen, obwohl sie nicht gut ausgebildet sind, mit den Kindern
schnell musikalische Erfahrungen machen und die Freude der Musik
an die Kinder heranbringen können, eignen sich nach meiner
Erfahrung Singspiele, Aufführungsprojekte oder Themenwochen
am allerbesten. Man kann sich dann der Musik auch nähern,
indem man sie aufführt. Meine Vogelhochzeit ist sicher ein
schönes Beispiel dafür. Dieses Projektorientierte halte
ich für sehr vielversprechend. Auch die Gewohnheit, täglich
zu singen oder zumindest zu besonderen Anlässen: Eltern müssen
zum Beispiel beschließen: ohne ein Lied feiern wir nicht
Geburtstag. Dann entsteht so etwas wie eine kleine „gesunde
Sucht“ und die kann man auch nähren, selbst wenn man
nicht besonders gut singen kann. Man muss das Feuer bei den Kindern
entfachen und kleine Pflänzchen, also Ansätze pflegen
und wachsen lassen.
Gaisa: Warum stellen Ihrer Meinung nach so
wenige Künstler,
Komponisten ihre Kreativität in den Dienst von Kindern?
Zuckowski: Ich bin nicht der Einzige, es
gab zum Glück Herrn
Prokofieff und andere. Es gibt also immer wieder Erwachsene, die
sich Kindern sehr gerne widmen, und natürlich auch immer wieder
sehr viele Liedermacherkollegen wie Gerd Schöne, Gruppe Sternschnuppe
in München. Aber ich kann nur vermuten, dass man als Erwachsener
sich in der Regel eher nach den noch Größeren orientiert
und denen nacheifert, in ihrer Gesellschaft, in ihrem Glanz sein
möchte, sonst wäre eine Show wie „Deutschland sucht
den Superstar“ nicht so erfolgreich. Wer sich zu den Kleineren,
zu den scheinbar weniger Bedeutenden hin orientiert, der muss anders
gebaut sein. Dass man dort Wunderbares erleben kann, dass man mit
den Kleineren wachsen kann, das ist vielleicht nicht ganz so lautstark
und schrill, aber ich habe es oft genug gespürt und deshalb
bleibe ich auch gern auf dieser Spur.
Gaisa: Sie machen nicht nur Musik für Kinder, sondern waren
früher Mitglied einer Band namens the Beathovens, hatten ein
erfolgreiches Trio und bezeichnen sich selber als Grenzgänger.
Können Sie näher beschreiben, was Sie darunter verstehen?
Zuckowski: Grenzen haben ihren Reiz darin, dass man sie überschreiten
möchte. Manchmal darf man es nicht, manchmal wird man geradezu
herausgefordert. Gestern war hier das Thema, ob es die Grenze zwischen
E- und U-Musik wirklich geben muss und ob es da nicht mehr Begegnungsmöglichkeiten
und Austausch geben kann. Für mich ist das Thema Grenze zwischen
Kindheit, Jugend und Erwachsensein ein einziges Thema im Fluss,
es gibt keine Grenze und trotzdem spürt man so etwas.
Ich persönlich probiere sehr gerne Dinge aus und versuche
trotzdem immer, meine Handschrift zu behalten. Inzwischen kann
ich ganz gut mit großen Orchestern arbeiten. „Der kleine
Tag“, unser Musicalhörspiel ist mit einem Symphonieorchester
und Rockbands eingespielt worden und diese „Grenzgängerei“ hat
mir großen Spaß gemacht. Dafür haben wir sogar
den LEOPOLD-Preis vom Verband deutscher Musikschulen bekommen – allerdings
von der Kinderjury.
Wenn ich mit Orchestern arbeite, dann geht es mir auch darum,
meine eigene Neugier zu befriedigen. Ich arbeite im Moment an einem
neuen
Orchesterprojekt mit der Radiophilharmonie Hannover. Wir möchten
Kindern gerne die Funktion von Instrumenten im Orchester, aber
auch die Ausdrucksweisen, die Sprache der Musik, italienische Begriffe
so kindgerecht wie möglich näherbringen. Ich lerne dadurch
selber viel dazu und probiere Dinge aus. Ich habe nie Musik studiert – ich
bin ein Autodidakt und in dem Sinne ist Musik immer mein großer
Abenteuerspielplatz geblieben. Wenn ich Glück habe, darf ich
völlig ungeahnte Räume und Flächen betreten.
Gaisa: Sie hatten vorher erwähnt, dass für Sie die Grenzen
vom Kind- zum Erwachsensein, auch in puncto Musik, fließend
sind…
Zuckowski: Ich glaube, dass man sich mit dem Begriff Kindheit
beschäftigen
muss. Das klingt im ersten Moment theoretisch, ist aber ganz praktisch.
Wenn man hier durch die Halle geht, wird man wahrscheinlich mindestens
so oft das Wort Kids wie Kinder lesen. Da sollte man sich mal fragen,
welche Kinder sich gegenseitig Kids nennen. Obwohl ich hunderttausende
von Kindern getroffen habe, habe ich noch nie Kinder erlebt, die
sich selber gegenseitig Kids nennen. Das tun nur Erwachsene, die
etwas verkaufen oder promoten wollen. Das Wort Kids ist eigentlich
ein lustiges Wort, aber es ist auch so ein bisschen das Kennzeichen
dafür, dass man sich vom Kindsein gerne schnell löst.
Aber ich finde persönlich, bin vielleicht auch sehr Astrid-Lindgren
geprägt, dass wir Erwachsenen alles tun sollten, damit das
Wort Kind seinen wundervollen, großen Klang behält und
dass alles, was das Kind mit all seinen großen Werten – dem
Vertrauen, der Neugierde, dem sich verzaubern lassen, dem Lernen-wollen – wer
sich dieses Kind lange auch im Jugend- und im Erwachsenenleben
bewahrt, der tut für sich selber sehr viel. Wer sich von anderen
abbringen lässt, die sagen, „Du bist doch kein Kind
mehr, Du gehörst doch jetzt zu den Kids“, der verliert
mehr als er gewinnt.