Allianzen werden geschlossen, Allianzen werden gebrochen. Ein
Blick in die Lobbyarbeit der phonographischen Industrie zeigt es
an: Aktuell verbündet man sich sich mit dem Deutschen Kulturrat
unter dem Motto „Wert der Kreativität“ (5.3.2003): „Die
Initiative ,Wert der Kreativität’ steht unter dem Dach
des Deutschen Kulturrats. Der Deutsche Kulturrat, der Bundesverband
der Phonographischen Wirtschaft, die Deutsche Phono-Akademie, die
GEMA, der Musikverleger-Verband und die Spitzenorganisation der
Filmwirtschaft SPIO dokumentieren gemeinsam, dass Kreativität
die Basis unserer Gesellschaft ist.“ Ja, aber Kopierschutz
muss sein, sagt die phonographische Industrie; nein, aber Vergütung
muss sein, sagen GEMA, VG Wort und VG Bild-Kunst.
Auf einem anderen Spielfeld setzt man sich vom Tonträger-Handel
ab (21.1. 2003) und proklamiert die heilige Unschuld: „‚Die
CD-Preise werden immer noch vom Handel gemacht, nicht von den Tonträgerherstellern’,
erklärt Gerd Gebhardt, Vorsitzender der deutschen Phonoverbände.
Er reagiert damit auf die Forderung von Vertretern des Musikhandels,
CD-Preise zu senken.“ Das hindert aber nicht, sich im nächsten
Moment wieder in ein Boot mit dem Handel zu setzen (26.2.2003): „Gemeinsam
haben Handel und Industrie in den letzten zwei Jahren rund 3.000
Arbeitsplätze abbauen müssen.“
Ebenso geht es gegen die Rundfunkanstalten (26.2.2003). Unter
dem Titel: „Öffentlich-rechtliche Radiosender spielen kaum
noch neue Musik“ steht zu lesen: „Neuheitenanteil liegt
bei 14,3 Prozent, deutschsprachige Neuheiten sogar nur bei 1,2
Prozent – 50:50 – Deutsche Musikwirtschaft fordert
Radioquote für mehr musikalische Vielfalt.“ Deutscher
geht’s wohl nicht? Das Problem ist, dass bei den Rundfunkanstalten
tatsächlich vieles im Argen liegt, aber merkwürdige Schlussfolgerungen
gezogen werden. Da passt es nicht zusammen, wenn man einerseits
Quoten wünscht und andererseits vom „Wert der Kreativität“ redet,
die schließlich keine bloß deutsche Eigenschaft ist.
(alles zu finden unter: www.ifpi.de)
Auch das ist alles nicht so recht zu begreifen: Während sich
die Verwertungsgesellschaften (GEMA, VG Wort und VG Bildkunst)
zur Initiative „Ja zur Privatkopie“ (www.privatkopieren.de)
vereinten, engagiert sich die Initiative der freien Szene „Rettet
die Privatkopie“ (www.privatkopie.net), zu der unter anderem
der „Bundesverband Grüne Jugend“, der „Chaos
Computer Club“, „Bundestux“, das „Forum
Informatikerinnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung
e.V.“, „Institut für Rechtsfragen der Freien und
Open Source Software“ und der „Virtuelle Ortsverein
der SPD“ gehören. Auch diese Initiativen passen trotzdem
nicht zusammen, obwohl beiden das informationelle Selbstbestimmungsrecht
am Herzen liegt. Den einen mag man es glauben, den andern unterstellt
man darin ein bloß taktisches Kalkül. Es sei jedem überlassen,
die Zuordnung selbst zu machen; sie liegt ja auf der Hand. Niemand,
ohne Ausnahme, legt da seine Karten (das heißt Interessen,
die wirtschaftlichen) offen auf den Tisch. Und alle sehen sich
kulturpolitisch gerne in einem Boot. Das passt alles einfach nicht
zusammen.
Wie abstrus sich die Allianzen gebärden zeigt sich, um wieder
oben anzufangen, dass sich GEMA, phonographische Industrie und
damals auch der Deutsche Musikrat hinter die Initiative „copy
kills music“ stellten. Privatkopie ja, copy nein? Oder sind
die Spielteilnehmer wirklich klüger geworden?
In einem Online-Forum der Computerzeitschrift „Chip“ stellte ein
Benutzer namens „fritzi“ daher die Alternative: „Ihr müsst
euch selber mal entscheiden, ob ihr für GEMA und Privatkopie und damit
gegen DRM [Digital Rights Management, M.H.] und Kopierschutz oder ob ihr gegen
GEMA und Privatkopie und damit für Kopierschutz (sowohl technisch als
auch juristisch) und DRM seid.“
Wer kann sich in dieser unübersichtlichen Lage noch vernünftig entscheiden,
wenn Einigkeit und Unterschiede ihre Spielpartner wechseln, wie es ihnen gerade
passt. Den Wert der Kreativität von Argumentationslinien haben jedenfalls
alle Beteiligten unter Beweis gestellt – mehr leider aber auch nicht.