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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 12
52. Jahrgang | April
Kulturpolitik
Mit Tränen in den Augen
Die Dresdner Frauenkirche bekommt eine Allerweltsorgel
„Wir haben uns im Stiftungsrat und Kuratorium jeweils einstimmig
für das Konzept Kern entschieden – nach zehnjährigem
Abwägen aller Argumente. Ich bin fest davon überzeugt,
dass wir die beste Entscheidung für unsere Frauenkirche
getroffen haben und dass die Dresdner Bevölkerung das mittragen
wird – spätestens
dann, wenn sie die Orgel gehört haben wird.“
Die Silbermann-Orgel vor
ihrer Zerstörung. Foto: Archiv Lieberwirth
Der so frohgemut am 17. Februar
anlässlich der Pressekonferrenz
in Sachen neue Frauenkirchenorgel ins Mikrofon hineinsprach, heißt
Bernhard Walter. Er ist Banker aus Frankfurt am Main und Vorsitzender des Stiftungsrates
der Stiftung Frauenkirche
Dresden. Das Votum ist also gefallen. Die französische Firma Daniel Kern
aus Straßburg wird die Orgel für die Frauenkirche bauen. Dass die
Dresdner und natürlich die vielen zu erwartenden Touristen die Orgel in
Bälde (ab dem Reformationstag 2005) hören werden, ist jetzt eine
juristisch abgemachte Sache. Daran wird wohl kaum noch etwas zu ändern
sein, aber dadurch wird die Entscheidung, die eben komplett in die Irre geht,
auch nicht besser.
Es ist nämlich schlechterdings ein Unding von Orgel, das da in die Frauenkirche
hineingebaut werden soll. Und wenn sich bereits jetzt jemand vorstellen kann,
wie eine noch zu bauende Orgel klingt, dann ist dies garantiert kein Manager
der Dresdner Bank, sondern ein Orgelbauer. So wie beispielsweise Kristian Wegscheider,
dem nach der selbstherrlichen Verkündigung der Fehlentscheidung die Tränen
in den Augen standen. Und wenn er dann die Zeitungen vom nächsten Tag
quasi visionär hätte vorweg lesen können, wo irrwitzig verkündet
wurde, dass die „Frauenkirche eine moderne Orgel“ erhält,
dann wäre wohl seine Trauer in blanke Wut umgeschlagen:
„Das Tragische ist ja, dass das Orgelkonzept der Firma Kern
antiquiert ist. Es ist keine moderne Orgel, es ist eine Potpourri-Variante
von verschiedensten
Stilelementen. Da haben sie Pfeifen, die nach Gottfried Silbermann gebaut
werden sollen, also mit breitem Labium. Die klingen so richtig
sächsisch, wie
das sein soll. Sächsische Orgeln klingen eben sächsisch. Das will
Herr Kern versuchen hinzubekommen, vielleicht gelingt es ihm auch. Dann aber
haben wir noch das französische Element, das geht mit gespitzter Zunge.
Auch die Romantik des 19. Jahrhunderts kommt vor, ein völlig anderes
Orgelkonzept. Und schließlich will Daniel Kern noch verschiedene Elemente
der klassischen französischen Orgel und der brandenburgischen Orgelbaukunst
mit einfließen
lassen. Und dieser ganze Potpourri-Mix wird hinter ein Gehäuse gestellt,
das George Bähr für Gottfried Silbermann entworfen hat und das
dem Betrachter automatisch eine Gottfried-Silbermann-Orgel suggeriert.“
Das hierauf am besten passende Wort ist freilich Täuschung, wenn nicht
gar Betrug, denn der nach der historischen Vorlage getreu rekonstruierte Orgelprospekt
von 1736 wird zu einer potemkin’schen Fassade, hinter dem sich ein Instrument
verbirgt, das nichts mit dieser Fassade zu tun hat. Ebenso hat es nichts zu
tun mit „Geist und Ästhetik Silbermanns“, auf die sich die
Stiftung Frauenkirche quasi poetisch berufen hat. Schließlich setzte
man an Stilblüten noch eine drauf und sprach auf der Pressekonferenz geradezu
sophistisch von „einer Reflexion des Silbermannschen Geistes“.
Das lässt sich kaum noch kommentieren, ohne ausfallend zu werden. Der Ästhetik
von Silbermanns Orgelbaukunst, so formulierte es der renommierte Musikwissenschaftler
und Leiter des Leipziger Bach-Archivs, Christoph Wolff, hat drei Grundprinzipien: „(a)
Perfektion der handwerklich-technischen Ausführung, (b) Harmonie von Design,
Klang und Raum, (c) musikalische Stimmigkeit und Ausgewogenheit.“
Das Konzept der Firma Kern, die handwerklich durchaus höchsten Standard
besitzt, verletzt allerdings ganz entschieden die beiden ersten Grundprinzipien.
Gottfried Silbermann erzielte die „Harmonie von Design, Klang und Raum
durch die Wahl des Standortes der Orgel, die Höhe der Orgelempore im Verhältnis
zum Deckengewölbe, die Gestaltung der Orgelfassade sowie die optimale
Nutzung der damit geschaffenen natürlichen Schallmuschel.“ (Wolff)
So kam er quasi auf ganz natürliche Weise auf ein exakt eingepasstes Orgelgehäuse
mit 43 Registern. Das Konzept von Kern, das auf die Vorgaben durch die Stiftung
geradezu sklavisch reagieren musste, wenn es den Auftrag ergattern wollte,
quetscht da sage und schreibe 65 Register hinein. Das wäre dann ein um
51 Prozent größeres Instrument, das geradezu zwangsläufig erhebliche
akustische Probleme heraufbeschwört, denn die einzelnen Register können
sich klanglich nicht mehr entfalten.
Um die klangliche Entfaltung ging es freilich schon lange nicht
mehr, dann hätte es nämlich in Dresden nie einen Orgelstreit gegeben. Es geht
um Großmannssucht, Rechthaberei, Dilettantismus und es geht vor allem
um Politik – ein schmieriges Pflaster. Denn wer ernsthaft nach Gründen
sucht, warum ausgerechnet in die Dresdner Frauenkirche eine katholisch-französische
Allerweltsorgel hineingebaut werden soll, begibt sich auf vermintes Gebiet.
Auf dem Rücken
der Musik und der Dresdner Bevölkerung wird hier Schabernack getrieben.
Eines ist immerhin klar: die gemeinnützige Stiftung Frauenkirche Dresden
ist in aller Verblendung so weit gegangen, auch auf das Geld der Dussmann-Stiftung
zu verzichten, die eine Silbermann-Orgel komplett finanziert hätte. Nicht
einen Heller hätte man aufbringen müssen, um den Wiederaufbau als
Bestandteil der ganzen Frauenkirche locker finanzieren zu können – und
es fehlt noch eine erhebliche Summe. Stattdessen sucht man nun händeringend
einen neuen Sponsor. Aber welcher Sponsor will schon ein im Vorfeld derart
missratenes Instrument bezahlen und dabei, falls er einen guten Namen hat,
diesen riskanterweise aufs Spiel setzen?
Ja, mehr noch, es gibt gespendete Gelder, unter anderem vom umtriebigen
Nobelpreisträger
Günter Blobel – der immerhin 800.000 Euro nach Dresden fließen
ließ –, die man zurückverlangen oder auf den entsprechenden
Konten einfrieren will. Auch die Gottfried-Silbermann-Gesellschaft in Freiberg
verlangt die zweckgebundene Orgelspende von rund 10.000 Euro zurück.
Wie wird das alles nur enden? Wenn es so weiter geht, wird das
Orgelproblem das ganze Frauenkirchenprojekt in Misskredit bringen.
Einzig der Orgelbauer
Daniel Kern könnte jetzt selbst eine korrekte Lösung befördern,
meint auch sein Kollege Kristian Wegscheider. Kern sollte als verantwortungsvoller
Orgelbaumeister das Für und Wider noch einmal abwägen. Nicht zuletzt
auch sein guter Name steht auf dem Spiel.