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Ausgabe 2003/04
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nmz 2003/04 | Seite 10
52. Jahrgang | April
Kulturpolitik

Kultureller Sand im Getriebe des globalen Amüsierbetriebs

Stefan Meuschel über aktuelle Aufgaben einer künstlerorientierten Gewerkschaft

Die Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühentänzer (VdO) wurde 1959 gegründet. Die Geschichte der Vorgängervereinigung, des Deutschen Chorsängerverbandes, reicht sogar bis ins Jahr 1884 zurück. Heute zählt die VdO etwa 4.200 Mitglieder. VdO-Geschäftsführer Stefan Meuschel, der auch Herausgeber der Zeitschrift „Oper&Tanz“ (ConBrio Verlag) ist, begeht im April seinen siebzigsten Geburtstag. Aus diesem Anlass traf sich Theo Geißler, Herausgeber der neuen musikzeitung, mit Stefan Meuschel zum Gespräch.

nmz: Herr Meuschel, Sie haben eine sehr aktive künstlerische Laufbahn hinter sich. Berichten Sie uns doch etwas über prägende und wichtige Stationen und Begegnungen.

Stefan Meuschel: Die Antwort führt ins Theatermuseum. Nach einigen Bühnen- und Fernsehhospitanzen engagierte mich Hans Schweikart 1959 als Dramaturg an die Münchner Kammerspiele, 1968 Boleslaw Barlog ans Schiller-Theater in Berlin. An Produktions-Dramaturgiearbeit mit Beckett, Frisch und Zuckmayer erinnere ich mich besonders gern. Prägender aber waren die parallelen Tätigkeiten als Regieassistent: so bei Rudolf Noelte, Leonard Steckel – vor allem aber dreizehn Jahre Arbeit mit Fritz Kortner, vom Münchener „Timon von Athen“ bis zum Burgtheater-„Othello“.

Lachende Herausgeber: Theo Geißler und Stefan Meuschel (Oper&Tanz)

In den Pausen, die der besitzergreifende Kortner gewährte, gab es erste eigene Regien in der Provinz, dann auch in Berlin (meine „Sabinerinnen“ mit Rudolf Platte schlugen alle damaligen Serienrekorde), begleitet von vielen Bühnenaufzeichnungen und Theaterdokumentationen fürs ZDF.

György Ligeti, der für Kortners Burgtheater-Inszenierung von „John Gabriel Borkman“ sein Orgelkonzert „Volumina“ uns zur Bühnenmusikbearbeitung freigegeben hatte, veranlasste mich, dem Problem der szenischen, bildlichen Umsetzung zeitgenössischer Klangfarbenmusik viel Zeit und viele Experimente zu widmen. Eine spielfilmlange Dokumentation der „Geschichte der elektronischen Musik“, die ich zusammen mit Josef Anton Riedl drehte, war eines der Ergebnisse. Riedl hatte ich zuvor schon zu seiner ersten und einzigen Bühnenmusik („Leonce und Lena“) verführt.

nmz: Was trieb Sie nach den eigenen kreativen Erfahrungen in die Arme der Gewerkschaft?

Meuschel: Wirtschaftliche Notwendigkeit und ein Zufall zunächst: Als sich wieder einmal die Finanzierung eines Musikfilms, den ich mit Yannis Xenakis für ein Drittes Programm geschrieben hatte, monatelang hinauszögerte, bot mir die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) an, während des Wartestandes als ihr Verhandlungsführer beim WDR die Tarifgespräche über die gerade gesetzlich kreierten „arbeitnehmerähnlichen Personen“ und über urhebervertragsrechtliche Regelungen für freie Mitarbeiter zu begleiten. Für einen studierten Juristen und aktiven Filmemacher, der zudem gewerkschaftlich engagiert sei, müsse das doch ein geeigneter Gelegenheitsjob sein. Er wurde mehr als nur das: Gegen den heftigen Widerstand des DAG-Betriebsrates, der den Stallgeruch vermisste und Seiteneinsteiger misstrauisch beäugte, trat ich bald darauf ein Engagement als Gewerkschaftssekretär beim Bundesvorstand im Hamburg an.

Die Möglichkeiten, sei es bei Tarifverhandlungen, sei es als Lobbyist gegenüber Parteien oder Gesetzgebungsgremien, Regelwerke mitgestalten zu können, die zuvor in der Berufwelt sich als unbefriedigend, auch als unsozial erwiesen hatten, entschädigten für alle anfänglichen Schwierigkeiten, sich in einen Apparat einfügen zu müssen, der zu meinem großen Erstaunen oft genug nach dem Prinzip funktionierte, dass ein Wegweiser nicht verpflichtet sei, den gewiesenen Weg auch selbst zu gehen. Mich wundert noch heute, dass die Literatur sich gar so selten des gewerkschaftlichen Innenlebens annimmt.

nmz: Bitte ein paar Worte über Ihre größten Erfolge und Ihre herbsten Niederlagen im Rahmen Ihrer gewerkschaftlichen Arbeit.

Meuschel: Im politischen Bereich sind Erfolge stets das Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen, auch der Kooperation mit anderen Organisationen. Dass es in den 21 Jahren meiner Tätigkeit für die DAG gelungen ist, soziale Absicherungen für Minigruppen durchzusetzen und für Minderheiten, denen die landläufigen gewerkschaftlichen Druckmittel nicht zur Verfügung stehen, so die ständig unständig Beschäftigten und freien Mitarbeiter in Kultureinrichtungen, möchte ich schon auf der Habenseite buchen: das reicht vom Künstlersozialversicherungsgesetz bis zu urhebervertragsrechtlichen Regelungen, vom tariflichen Sozialschutz für Opernchorsänger bis zur EU-weiten Anerkennung des Filmregisseurs als Haupturheber am Filmwerk samt der Sicherung seiner wahrnehmungsrechtlichen Belange in einer Verwertungsgesellschaft.
Niederlagen im fachlichen Bereich sind all die Ziele, die zu langsam oder bisher gar nicht erreicht wurden – und der sich verstärkende Eindruck, im Krieg des Schwachsinns gegen das Schöpferische werde doch Ersterer den Sieg davontragen.

nmz: Sie haben die Kulturabteilung der DAG wesentlich mit aufgebaut und geprägt. Aus welchen Motiven und mit welchen Zielen?

Meuschel: Zweierlei machte die DAG attraktiv: Die strikte Trennung von ehrenamtlicher Legislative und hauptamtlicher, der Legislative verantwortlicher Exekutive zum einen und das berufsgewerkschaftliche Organisationsprinzip zum anderen. Die DAG war eine nach Berufsgruppen gegliederte Gewerkschaft.

Als der Bundeskongress 1987 die Einrichtung einer „Bundesberufsgruppe Kunst und Medien“ beschloss und ich zu ihrem Geschäftsführer gewählt wurde, verfolgten wir ein doppeltes Ziel: Wir wollten den in den Berufsgruppen Öffentlicher und Privater Dienst verstreut angesiedelten Gruppierungen der Schauspieler, Regisseure, Musikschullehrer, Rundfunkmitarbeiter etc. eine gemeinsame Plattform schaffen, wir wollten aber zugleich eine Art gewerkschaftlichen Hafens bieten, in dem die Vielzahl der selbstständigen Berufsverbände im Kunst- und Medienbereich anlegen konnten.

Beides gelang; insbesondere als „Kultur-Kartell“ waren wir erfolgreich. Neben der schon seit 1959 der DAG angehörenden „Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer“ gliederten sich auch die „Deutsche Orchestervereinigung“ und die „Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger“ in die DAG ein; im audiovisuellen Bereich gehörten der „Bundesverband Regie“, der „Verband Deutscher Drehbuchautoren“ und der „Bundesverband Kamera“ der DAG an. Schon beim zweiten Bundesberufgruppentag zählte die „Arbeitsgemeinschaft Kultur der DAG“ rund 36.000 Mitglieder.

Die Fortsetzung dieser Arbeitsgemeinschaft findet sich übrigens als Möglichkeit auch im Statut des für Kultur zuständigen Fachbereichs der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, in der die DAG – nebst vier weiteren Gewerkschaften – 2001 aufgegangen ist.

nmz: Weshalb arbeiteten Sie auf ein Kartell relativ kleiner Berufsverbände hin, statt deren Mitglieder in die DAG zu integrieren?

Meuschel: Wir zogen schlicht die Konsequenzen aus der Geschichte und orientierten uns zugleich an Entwicklungen in anderen Ländern. Es klingt nur auf Anhieb verblüffend: Die Angehörigen der Kulturberufe, die Kreativen, sind, sei es in Deutschland, Frankreich oder in den USA, organisationswillig wie kaum eine andere Wirtschafts- oder Berufsgruppe. Die Statistik weist aus, dass in Deutschland fast 80 Prozent von ihnen organisiert sind (gegenüber rund 25 Prozent der übrigen Beschäftigten) – aber ganz überwiegend in Berufsverbänden, nicht in den großen Gewerkschaften. Weit über hundert derartige Verbände zählt allein das Handbuch des Deutschen Kulturrats auf. Die Gründe für dieses Organisationsverhalten sind vielfältig, lassen sich hier im Gespräch nur andeuten: Organisationsmotiv ist der Beruf, ist der berufsspezifische Informations-, Kommunikations- und Regelungsbedarf, ist die Forderung nach überschaubaren Organisationsstrukturen ohne abgehobene Hierarchien und ohne Möglichkeiten fremdbestimmter Einvernahme, ist die Weigerung, die Verbandszugehörigkeit mit allgemein-politischen Mandatierungen verknüpft zu sehen.

nmz: Wie verschaffen sich aber diese Berufsverbände Gehör? Sind hierfür nicht kompromissträchtige Partnerschaften, auch mit großen Gewerkschaften zwangsläufig notwendig?

Meuschel: Die Frage ist grundsätzlich mit Ja zu beantworten. Die Partnerschaften der Künstler-Verbände untereinander vollzog sich in der „Arbeitsgemeinschaft Kultur der DAG“; die Muttergewerkschaft DAG war der, um Ihre Worte zu gebrauchen, kompromissträchtige große Partner mit seiner Mächtigkeit. Das war ja die dem Kartell zugrunde liegende Überlegung: Einbindung in die gewerkschaftliche Solidarität so weit wie möglich, Erhalt der berufsgewerkschaftlichen Eigenständigkeit so weit wie nötig. Der Berufsverband will seine Angelegenheiten deshalb selbst regeln, weil nur er es legitimiert kann.

nmz: Wo sehen Sie die Aufgaben einer künstlerorientierten Gewerkschaft?

Meuschel: Nirgendwo anders, als die aller anderen Gewerkschaften auch: In der Umsetzung des Willens und der Entscheidungen der Mitglieder. Konkret bedeutet das: Neben ihren tarif- und betriebspolitischen Aufgaben ist die Künstlergewerkschaft einem Kulturauftrag verpflichtet, der nicht nur in der Sicherung von Arbeitsplätzen und Kultureinrichtungen, sondern auch im Erhalt einer kulturellen Grundversorgung und eines hohen künstlerischen Niveaus besteht. Das hat auch eine, oft mit Unverständnis gesehene besondere partnerschaftliche Beziehung zum Arbeitgeberlager zur Folge. Beim Rollenspiel der Sozialpartner ist der gemeinsame Kunstwille, so er ernsthaft vorhanden ist, für beide Seiten oft ein die Balance gefährdender Faktor. Das muss man stets im Hinterkopf haben.

nmz: Sind kulturelle Berufsvertretungen in Zeiten weltweiter Vernetzung überhaupt noch zukunftsfähig? Wie sehen Sie die Zukunft Ihrer und anderer Gewerkschaften?

Meuschel: Wenn die weltweite Vernetzung nicht zum Amüsierbetrieb auf dem Vulkan werden soll, gilt es, überall kulturellen Sand ins Getriebe zu streuen. Wer könnte das besser als starke Bündnisse solcher Kultur-Berufsverbände. Um deren Zukunft ist mir aus den von Ihnen genannten Gründen nicht bange. Und zur Zukunft anderer Gewerkschaften maße ich mir keine Prognose an. Nachdenklich sollte es aber stimmen, dass die Berufsgewerkschaften und -verbände, seien es die der Journalisten, Straßenwärter, bildenden Künstler oder Ärzte, im Hinblick auf ihre Akzeptanz bei ihrer Mitgliedschaft und die Entwicklung der Mitgliederzahlen weniger Zukunftssorgen haben als so manche große, riesengroße Organisation.

 

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