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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 10
52. Jahrgang | April
Kulturpolitik
Jetzt tut Wagner etwas für Liszt
Nike Wagner plant für Weimar ein Kunstfest mit neuem Schliff
Sie ist Urenkelin Richard Wagners und Ururenkelin von Franz Liszt:
Nike Wagner. Die Musik- und Literaturwissenschaftlerin gibt ab
2004 dem Kunstfest Weimar einen völlig neuen Schliff. Im Januar
stellte die zukünftige Intendantin auf einer Pressekonferenz
erste Eckdaten der Konzeption von „Pèlerinages“ vor.
Eine Welle verblüffter Heiterkeit geht durch den Saal, als
Volkhard Knigge, Leiter der Buchenwald-Gedenkstätte, meint,
dass die Stadt über ihren Schatten springen könne, wenn
erst Nike Wagners inspirierende Weltbürgerlichkeit auf die
Weimarer Trägheit trifft... „Ich bin kein Prophet“ wehrt
sie später im Interview lächelnd ab, aber neugierig müssten
die Weimarer schon sein, auf den Wettbewerb zwischen den Produktionen „von
draußen“ und den heimischen.
Als Heimstatt von Weltbürgern hat Weimar Tradition. Auch den
Europäer und Wanderer Franz Liszt zog es für einige Jahre
an die Ilm. Nike Wagner hat Liszt, der einst zeitgenössischen
Kollegen wie Richard Wagner oder Hector Berlioz ein Podium schuf,
für das Kunstfest als „Übervater“ ausgewählt.
Der Festival-Titel „Pèlerinages“ bezieht sich
auf Liszts Klavierwerk „Années de pèlerinage – Wanderjahre“ und
greift auf den Lisztschen Umgang mit Tradition und seinen Bezug
auf „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ von J.W.v.Goethe.
Gleichzeitig will das Kunstfest „Tradition“ weiterdenken,
ein Forum für Zeitgenössisches sein. Auch die jährliche
Eröffnung mit einem „Konzert für Buchenwald“ ist
nicht nur kontrapunktische Rückbesinnung, sondern versucht
eine Weiterentwicklung der Formen unserer Erinnerungs- und Gedächtniskultur.
„Auf Wanderschaft sein“ sei außerdem ein weiter
Begriff, so Nike Wagner: „Die Kunst selber, könnte man
sagen, ist nie am Ziel. Auf Wanderschaft sind wir doch auch alle:
Wer
ist noch irgendwo zu Hause? Man kann das geografisch oder psychologisch
oder kulturell verstehen. Die Migrationsbewegungen prägen
unsere Zeit und Gesellschaft. Deswegen ist das Motto des ersten
Jahres auch „Mal du Pays – Heimweh“. An den Rändern
ist das Konzept des kleinen, aber intelligenten Festivals noch
weich. Die Struktur ist jedoch klar: Auch wenn es weiterhin Jazz
und Tanztheater geben wird, liegt der Schwerpunkt auf der Musik,
von der „early music“ des Mittelalters über das
klassisch-romantisch-moderne Repertoire bis hin zu zeitgenössischen
Kompositionen. Spannendes Novum werden dabei Zweitaufführungen
von Musiktheaterwerken sein, die nach spektakulären Uraufführungen
meist in der Versenkung verschwanden. Die Idee stammt von Dirigent
und Pianist Andràs Schiff, mit dem man als „principal
guest musician“ in Verhandlung ist. Die Stiftung Weimarer
Klassik, die Gedenkstätte Buchenwald, die Hochschule für
Musik, die Bauhausuniversität und das Deutsche Nationaltheater
werden als heimische Institutionen mit eigenen Produktionen und
Projekten den lokalen Kunstfest-Teil bestreiten.
Das Budget von 1,15 Millionen Euro soll mit Hilfe eines Förder-
und Freundeskreises aufgestockt werden, um auch renommierte Künstler
finanzieren zu können. Kultur als Standortfaktor ist eine
nicht wegzuleugnende Größe, ebenso ihre Umwegrentabilität: „Je
renommierter, je internationaler unser Festival wird, desto mehr
bringt es auch für die Stadt und die Region.“ Nike Wagner
will Weimar mit „Pèlerinages“ auf europäische „Wanderschaft“ schicken
und erreichen, dass es sich in die Zirkulation der internationalen
Festspielgemeinde einreiht.
Richard Wagner ist erst mal kein Thema, nicht bei Nike Wagner,
deren Kandidatur für Bayreuth weiterläuft, noch beim
Weimarer Kunstfest. So die Intendantin sehr nachdrücklich: „Liszt
hat für Wagner damals genug getan. Jetzt tut ‚Wagner‘ mal
was für Liszt.“