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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 31
52. Jahrgang | April
Laienmusik
Laienmusikvermittlung auf neuen Wegen
Podiumsdiskussion mit Ulrike Liedtke und Stefan Liebing auf
der Musikmesse Frankfurt
Die Verbände und Vereine im musisch-kulturellen Bereich stehen
vor neuen Aufgaben: neue Organisationsmodelle, neue Ideen der Mitgliedergewinnung,
eine intensive Jugendbetreuung und vor allem die Vermittlung der
Laienmusik und der musikalischen Erziehung. Ein Panel auf der Musikmesse
in Frankfurt bot Gelegenheit zur Aussprache.
Andreas Kolb: Frau Liedtke, Herr Liebing, schildern Sie kurz,
was Ihre Institution, Ihr Verband jeweils macht?
Panel-Moderator und nmz-Redakteur
Andreas Kolb (li.) bespricht sich mit seinen Gästen
am ConBrio-Stand:
Ulrike Liedtke (re.), Musikakademie Rheinsberg, Bundes-
und Landesakadamie und Stefan Liebing, Generalsekretär
der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände e.V.
Foto: Barbara Haack
Ulrike Liedtke: Die Musikakademie in Rheinsberg arbeitet
seit 1991 mit dem Konzept, Kurse und Veranstaltungstätigkeit miteinander
zu verbinden. Wir haben im Jahr 140–160 Kurse und betrachten
uns als ein Weiterbildungs- und Begegnungshaus. Seit 2000 steht
uns ein Schlosstheater zur Verfügung, und hier kann das, was
in unserem Kursplan aufführenswert ist, zur Aufführung
kommen.
Stefan Liebing: In unserem Verband sind ungefähr 18.000 Orchester
in Deutschland organisiert. Doch die Ansprüche von jungen
Menschen ans Musizieren haben sich verändert. Unser Eindruck
ist, dass wir eine deutlich schwächere Bindung haben und junge
Menschen schnell aus dem Bereich des Musizierens rausgehen.
Den Ergebnissen einer Studie zufolge steht bei der liebsten Freizeitbeschäftigung
von Jugendlichen an Stelle eins Musik, an der letzten Stelle das
Musizieren. Wir haben eine große Aufgeschlossenheit dem Thema
Musik gegenüber, müssen aber eine große Hemmschwelle überwinden,
bevor junge Menschen beginnen selbst zu musizieren.
Kolb: Hat die Laienmusik ein Imageproblem?
Liedtke: Genau da ist der Knackpunkt. Laienmusik befindet sich
in den letzten 50 Jahren in einem enormen Wandel. Was ist Laienmusik
heute? Es ist nicht das, was wir aus der Tradition kennen: der
Chor, der in der Hinterstube einer Gaststätte singt. Dieser
Bereich hat eher eine Zukunft, wenn er alle anderen Formen des
Musizierens mit einfließen lässt, wenn er genreübergreifend
wird. Wir denken inzwischen stärker visuell und akustisch
und das gehört in den Bereich Laienmusik mit hinein.
Kolb: Wie vermitteln Sie das der Öffentlichkeit?
Liedtke: Wir suchen in unseren Projekten ganz bewusst nach genreübergreifenden
Momenten, die junge Leute wieder ins Theater ziehen. Die neue Musik
muss sich zum Publikum hin öffnen, wir haben etwa Konzerte
in Einkaufszentren gemacht.
Liebing: Die Ausgangsfrage war die, ob der Bereich der Laienmusik
ein Imageproblem hat. Ich glaube ja. Wenn ich also ein Image verändern
möchte, muss ich zuerst einmal schauen, was die Substanz ist,
ob wir ein gesundes Produkt haben. In Deutschland haben wir eine
unglaubliche Veränderung der Qualität. Studierte Musiker
leiten heute Laien-Ensembles. Wie können wir nun dieses gesunde
Produkt in die öffentliche Wahrnehmung transferieren?
Kolb: Aus der Laienmusik heraus entwickeln sich immer Musiker
zu Profis. Was passiert, wenn die mediale Beeinflussung die aktive
Beschäftigung mit der Musik immer mehr verhindert?
Liebing: Auf der einen Seite sind da die Profis, die nur dann
leben können, wenn eine breite Bewegung ihnen Potential gibt für
die Auswahl von guten Künstlern. Auf der anderen Seite die
Wirtschaft, die auf Dauer auch nur Absatzmärkte hat, wenn
die Nachfrage groß genug ist. Deshalb ist das Nadelöhr
die Laienbewegung, die über zwei Schienen Zugang für
Jugendliche zu Musik eröffnet. Über Vereine, Chöre,
Orchester und über Musikschulen. All diese müssen stärker
vernetzt werden. Wenn wir das heute nicht in den Griff bekommen,
haben wir in fünf Jahren ein Problem bei der Auswahl von Profis
und in zehn Jahren eines in der Musikbranche in Deutschland.
Kolb: Gibt es in der Musikakademie Rheinsberg auch spezielle
Projekte für Kinder?
Liedtke: Wir haben da die unterschiedlichsten Projekte: Sei es
das Musical zu Weihnachten, sei es der Versuch, miteinander nach
vorgegebenen Mustern zu improvisieren. Die Kinder unserer Region
sind da eindeutig bevorteilt. Hier müsste stärker an überregionalen
Netzen gearbeitet werden.
Kolb: Mit welchen Kinderkomponisten arbeiten Sie gerne zusammen?
Liedtke: Es gibt sehr schöne Stücke von Georg Katzer,
auch Hörstücke und Kinderopern. Wir kommen aber auch
wieder ein Stück weiter, wenn die Chorleiter für ihre
eigenen Schützlinge komponieren, wie früher zum Beispiel
Kurt Schwaen oder heute Hans Förster aus Görden-Brandenburg.
Kolb: Herr Liebing, Ihr Verband BDMV hat auf der Musikmesse einen
Ehrenamtspreis verliehen. Welche Idee steckt dahinter?
Liebing: Wir müssen nicht nur nach außen das Image verändern,
sondern auch nach innen Strukturen schaffen in diesen Orchestern
und Chören, die dafür sorgen, dass junge Menschen auf
Dauer bereit sind, sich mit Spaß zu organisieren. Da haben
sich Ansprüche von Ehrenamtlichen verändert in den letzten
Jahren. Wir haben den Ehrenamtspreis zum zweiten Mal hier auf der
Messe unter 150 Bewerbern aus Deutschland verliehen.
Das Ganze ist in einer Broschüre „hundert gute Ideen
für die Arbeit im Orchester vor Ort” zusammengestellt,
so dass unsere Verbandsmitglieder sich konkret anschauen können,
was zu ihrer Situation passt, und wo sie vielleicht etwas dafür
tun können, dass junge Menschen auch in Zukunft Spaß am
Musizieren haben.