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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 14
52. Jahrgang | April
Medien
Auratisches Radio, aufklärerisches Radio
Wolf Loeckle und die Redaktion „Musikfeature“ beim
Bayerischen Rundfunk
„Es geht nicht ums Reinhören. Es geht ums Zuhören.” Zwei
knappe Sätze, mit denen Wolf Loeckle die Idee seiner Tätigkeit
in der Redaktion „Musikfeature” auf Bayern2Radio beschreibt.
Seit 1980 existiert in der E-Musikabteilung des BR neben so „klassischen” Redaktionen
wie Symphonik, Neue Musik oder Kammermusik die Redaktion Musikfeature:
in dieser Eigenständigkeit eine weithin einmalige Erscheinung
in der Welt der ARD.
Aufklärer on Air:
BR-Redakteur Wolf Loeckle. Foto: Martin Hufner
Die Gründung der Redaktion
Musikfeature fällt nicht zufällig mit dem Eintritt Loeckles
in den Bayerischen Rundfunk zusammen. Geboren 1943 in Berlin, aufgewachsen
im Wechsel zwischen Wien und Frankfurt am Main, geprägt von Köln,
fand er schließlich in München eine Heimat. Er selbst charakterisiert
sich als „sozialisiert von und durch München, Otl Aicher, Theodor
W. Adorno, Johann Sebastian Bach, John Cage, Joseph Beuys, Sean Scully, vom
Bauhaus“. Loeckles Weg zum Rundfunk war kein direkter: Diverse Tätigkeiten
im metallbildhauerischen Bereich, im Kunstmanagement, in der Werbung, in den
Szenerien der Filmerie, im Theater, beim Hoch- und Tiefbau, in Musikverlag
und Musikhandel wurden ergänzt durch ein auch musikwissenschaftliches
Studium bei Thrasyboulos Georgiades in München.
Doch die Leidenschaft, die Faszination fürs Radio keimte schon lange in
ihm. Wie alle großen Leidenschaften war sie in früher Jugend entstanden.
Oft zu Besuch bei den Großeltern in Wien hörte der Teenager anstatt
zu schlafen nachts das Detektorradio seines Großvaters mit Kopfhörer. „Es
war die Zeit, wo die Rote Armee den Aufstand in Ungarn 1956 niederwalzte. Ich
hatte in diesen Tagen mehr oder weniger immer die Kopfhörer auf und hörte
die Reportagen von Radio ,Rot-Weiß-Rot’. Damals wurde mir klar,
ich will zum Radio, ich will
Reporter werden, ich will ein Frontschwein sein.”
Kriegsberichterstatter wurde Loeckle dann doch nicht, es war
das Kulturradio, was ihn umtrieb. Die Faszination Radio führte ihn nach dem Studium direkt
zum Bayerischen Rundfunk, wo Ende der 70er-Jahre der Bayerische Rundfunk nach
französischem Vorbild eine eigene Klassikwelle – Bayern 4 Klassik – etablierte.
Das Angebot von 1980, eine Redakteursstelle für Wort-Musiksendungen zu übernehmen,
schlug er nicht aus.
In dieser Zeit – unter der Regierung von Franz Joseph Strauss – war
der Bayerische Rundfunk im Kontrast zum vermeintlichen „Rotfunk“ WDR
als „Schwarzfunk“ verschrien. Dass der BR damals auch junge Redakteure
der 68er-Generation an der langen Leine
der Liberalitas bavariae agieren ließ, schätzt Wolf Loeckle heute
genauso wie damals. „Ich konnte von Beginn an meine Vorstellungen von
der auratischen Kraft des Mediums Rundfunk umsetzen.“
Doch nicht nur das Musikfeature hatte es ihm angetan. Lange schon hatte
Wolf Loeckle ein Konzept für eine Kultur-Talkrunde in der Schublade: Ende Januar
1993 war es dann so weit. Gemeinsam mit Brigitte von Welser vom Kulturreferat
München und Albrecht Roeseler, Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung,
hob er das Format „Thema Musik live“ aus der Taufe. Das Kulturreferat
stellte die „Black Box“ im Gasteig zur Verfügung, die SZ ermöglichte
die Infrastruktur und Anzeigen, die Redaktion Musikfeature sorgte für
die Inhalte. Die erste Sendung ging im Januar 1993 über den Äther
und hieß „Musikstadt München – so gut wie ihr Ruf?“.
Moderiert wurde sie von August Everding, dem „genialen Moderator“.
Zu den Moderatoren und Gästen zählten Peter Giert, Intendant des
Staatstheaters Darmstadt, Walter Levin vom ehemaligen LaSalle Quartett oder
Dietrich Fischer-Dieskau. Deutlich vor dem Zeitalter der so genannten Postmoderne
war es Loeckles Idee, so wie die Musik vielfältig ist, auch Angebote über
Musik vielfältig anzubieten. Deshalb fanden Themen, die sich mit musikpolitischer
Tagesaktualität beschäftigten genauso Platz wie kontemplative Runden
zum „Thema Musik“: etwa Sendungen über Robert Schumann oder
Anton Bruckner.
Von Anfang an gab es auch die kulturpolitischen Gesprächsrunden „Götterdämmerung
für die Symphonieorchester?“, oder „Musik nach Euro-Norm“. „Ich
bin bei der Konzeption immer von der Überzeugung ausgegangen, dass Musik
das Ergebnis des Zusammenlebens von Menschen ist.“ Und: „Es war
mir nie wichtig, dass prominente Namen da sitzen, sondern dass kluge Gespräche
zustande kommen“. „Thema Musik live“ lebt noch heute, wenn
auch mit verändertem Profil. Seit 1997 findet die Live-Sendung nicht mehr
in der Black Box statt, sondern reist über Land: zu den Bachtagen in Ansbach,
nach Nürnberg, wo in der Tafelhalle Weihnachtskitsch hinterfragt wurde,
nach Salzburg, wo „Thema Musik live“ Mozarts 243. Geburtstag unter
der süffisanten Überschrift „Mozart – der Göttliche?“ feierte.
Es wurde in Wien die Frage „Schubert der Unvollendete?“ gestellt
und in Tutzing am Starnberger See „Brahms der Fortschrittliche?“
Später kam die Live-Musik mit ins Programm: Die Besetzung reichte dabei
vom Solo-Cellisten bis zu den Bamberger Symphonikern. Als ideales Moderatorenteam
wurden der Dirigent und Geiger Christoph Poppen und die Kritikerin Christine
Lemke-Matwey engagiert. In dieser Besetzung und gemeinsam mit dem Kooperationspartner
Christiane Zentgraf von der BMW Cultural Communication präsentierte sich „Thema
Musik live“ von der Endmontage des 3er-BMWs in Regensburg genauso wie
im Konzertsaal der Bamberger Symphoniker, im Jahr 2000 sogar vom Gipfel der
Zugspitze zum Thema „Utopie“.
Wolfe Loeckle erinnert sich aber auch an Projekte, die wieder
verschwunden sind: Etwa die „Viererbande“ Anfang der 80er-Jahre. Das war ein
Verbund von SFB, NDR, WDR und BR. Es taten sich die jeweiligen Redaktionen
zusammen, um gemeinsam Dinge zu produzieren, die finanziell aus eigener Kraft
heraus nicht möglich gewesen wären, etwa die musikalischen Städteporträts über
Köln, München, Wien, New York, Paris, Rom, Tokyo, St. Petersburg
unter dem Titel „Auf der Suche nach dem Klang“. „Wir wollten
allerdings keinesfalls das Bundesmusikfeature etablieren.“
Oder 1989, zweihundert Jahre nach der französischen Revolution. Damals
fanden sich neun Redaktionen der ARD zusammen und produzierten mit dem Autor
Michael Stegemann ein vierstündiges Riesenhörspiel. Eine Herzensangelegenheit
des BR-Featureredakteurs war das „Laboratorium Musik“, das Loeckle
gemeinsam mit Kollegen und mit Joseph Anton Riedl ins Leben rief. Das Konzept – zwischen
Radiokunst und avantgardistischem Musikfeature angesiedelt – entstand
ursprünglich aus einer Art ästhetischer Reibung an der Arbeit des
Musikpublizisten und BR-Redakteurs Ulrich Dibelius. Dessen „Radiophilosophie“ basierte
damals auf der Erkenntnis, dass alles, was im Radio passiert, erklärt
gehört. „Unsere Überzeugung“ – die teilte Wolf
Loeckle mit Attila Csampai und Joe Kienemann – „war die des assoziativen
Hörens, Gefühl und Geheimnis zu exponieren, um auf der Empfängerseite
Eigen-Aktivität zu fördern.”
„taktlos“, das Musikmagazin des BR und der neuen musikzeitung
entstand in gemeinsamen Gesprächen mit Theo Geißler,
dem Herausgeber der neuen musikzeitung, und dessen damaligem Kompagnon
Felix Maria Roehl aus der
Idee heraus, dass man in der aktuellen Musikberichterstattung Themen oft
nicht genug vertiefen kann und dass musikpolitische Fragestellungen
nur am Rande
behandelt werden.
Das neueste Produkt in der Themenvielfalt ist eine Koproduktion
des Bayerischen Rundfunks, des Mitteldeutschen Rundfunks und des
Goetheforums München.
In dieser eineinhalbstündigen Sendung mit dem Titel „Contrapunkt“ spüren
die Moderatoren Theo Geißler (BR) und Manfred Wagenbreth (MDR) europäischen
Ost-West-Themen im Musikbetrieb und nicht nur dort auf. Kompetente Gesprächspartner
und exponierte Musiker helfen bei dieser europäischen Aufklärungsarbeit.
Wie ja der Begriff Aufklärung in seiner, das alte und weise
Europa definierenden Dimension auch das Musikfeature sowohl in
Bayern2Radio als auch in Bayern 4
Klassik meint.