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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 6
52. Jahrgang | April
Musikwirtschaft
Der Blick geht jetzt in Richtung China
Interkontinentales Jubiläum: 150 Jahre Steinway Flügel
Stellt man Pianisten die Frage, welches Instrument Sie wählen
würden, wenn Ihnen die örtliche Situation oder der Veranstalter überhaupt
eine Wahl lassen, dann antworten sie beinahe ohne Ausnahme „natürlich
den Steinway“. Den sind sie gewohnt und wahrscheinlich steht
auch zu Hause einer. Abgesehen von seinen ausgezeichneten Klang-
und Spieleigenschaften, gilt der Steinway-Flügel auch als
ein unglaublich robustes Klavier. Und nicht zuletzt schätzen
Interpreten den guten, weltweiten Service, der zum Steinway-Flügel
gehört. Im Zweifelsfall ist der Steinway eben die sichere
Bank.
Der Jubiläumsflügel
von Karl Lagerfeld. Foto: Steinway
Im Jahre 1853 gründete Henry Engelhard Steinway, vormals
Heinrich Engelhard Steinweg, aus Braunschweig die Aktiengesellschaft
Steinway & Sons. Wie es dazu kam, dass
150 Jahre später Steinway-Flügel nicht nur die teuersten, sondern
auch die weltweit am meisten gespielten Instrumente sind, will dieser Steinway
Report skizzieren. Werner Husmann, Vize-Präsident von Steinway & Sons
Hamburg mit einem Rückblick: „Nicht das Klavier wurde von Steinway
erfunden, aber der moderne Klavierbau mit über hundert Patenten begründet.
Vieles, was uns heute selbstverständlich an einem Flügel erscheint,
ist Steinway zu verdanken. Wir sind heute mit der gleichen Philosophie wie
vor 150 Jahren im Markt tätig: ‚Build the best piano possible – baut
das bestmöglich Instrument‘.“ Die 150-Jahr-Feier begeht Steinway
ausgiebig: Im Januar stellte man einen von Karl Lagerfeld gestalteten Flügel
vor. Parallel präsentierte Steinway dieses Jahr aber auch einen historischen
Jubiläumsflügel – eine Neuauflage des Instruments, das einst
der polnische Pianist Ignaz Paderewski spielte. Beide Jubiläumsmodelle
sind auf 150 Stück limitiert.
Der Bau selbst beruht auf dem Steinway-System, bei dem die Klavierbauer
den Verlust von Schwingungsenergie so gering wie möglich zu halten versuchen.
Das erreicht man durch eine besondere Statik des Instruments, aber auch durch
die Auswahl der verwendeten Materialien und Hölzer. Die Herstellung eines
Flügels dauert ein Jahr und ist ein Prozess, der ohne Qualitätsverlust
nicht beschleunigt werden kann. Eine der wichtigsten Steinway-Erfindungen für
den modernen Flügelbau war etwa die Kreuzbesaitung. Ein Steinway-Flügel
wird noch heute aufwändig von außen nach innen zusammengebaut, verwendet
wird dazu bis zu fünf Jahre abgelagertes Holz für Korpus und Resonanzboden.
Nochmals Husmann: „Von 1885 bis heute hat sich strukturell an den Konstruktionsgrundlagen
nichts geändert. Zum Beispiel der Gehäusebau: Hier benutzen wir nur
Hartholz im horizontalen Faserverlauf, weil die Schwingung sich hier mit geringstmöglichem
Energieverlust fortpflanzt. Wir benutzen ein besonderes Resonanzbodenholz,
das wir auch ganz besonders bearbeiten: Wir dünnen zu den Enden hin aus,
so dass der Resonanzboden wesentlich flexibler wird. Damit bekommen wir mehr
Volumen, aber auch mehr Klangschönheit. Aufgrund der besonderen Mechanik,
die Steinway über Jahrzehnte hin entwickelt hat, wird es dann überhaupt
erst möglich, dass Sie als Interpret diese Töne modulieren können.“
Weltweit gibt es nur zwei Produktionsstätten für den Steinway: das
Mutterhaus in New York und, seit 1880, eine Produktionsstätte in Hamburg.
Etwa 3.200 Flügel und etwa 700 Klaviere verlassen jedes Jahr die beiden
Werkstätten. Es folgten Gründungen der Steinway-(Verkaufs-)Häuser
in Hamburg (1904), Berlin (1909) und München (2000). New York beliefert
die Neue Welt und Hamburg ist für Europa und Asien zuständig. Beide
Niederlassungen bieten baugleich sieben Flügel- und zwei Klaviermodelle
an. In Deutschland liegen die Preise für Klaviere zwischen 19.300 und
22.440 Euro, für Flügel zwischen 42.650 und 95.400 Euro. Von 1853
bis heute wurden über 550.000 Instrumente gebaut. Insgesamt sind heute
etwa 1.000 Mitarbeiter beschäftigt.
Die derzeitige Wirtschaftsflaute verschont aber auch die Nobelmarke
nicht. Grundsätzlich ist Steinway genauso marktabhängig wie jedes herstellende
Unternehmen. Die Kunden kommen zu 50 Prozent aus dem institutionellen musischen
Bereich – darunter Musikhochschulen, Konzerthallen. Hier macht sich der
Sparkurs der öffentlichen Hand bemerkbar. Doch auch die andere Hälfte
der Käufer, die Privatkunden, sind kein Fels in der Brandung mehr: „Wenn
Sie an Menschen denken, die so oder so das Beste kaufen, und deshalb eben auch
den besseren Steinway-Flügel haben möchten, dann brauche ich Ihnen
auch nicht sagen, was in den letzten drei Jahren an der Börse geschehen
ist. Das waren auch Zielgruppen, die besonders Steinway kauften.“
Die Zuwachsraten in Europa sind beschränkt. Dies dokumentieren auch die
jüngsten Quartalszahlen. Das Unternehmen gab einen um 21 Prozent gestiegenen
Absatz in den USA im Vergleich zum Vorjahr an – das allerdings durch
den 11. September überschattet war –, während in Europa und
Asien der Absatz von Steinway Flügeln um 10 Prozent fiel. Konsolidiert
ergab sich eine achtprozentige Absatzsteigerung weltweit. Werner Husmann sieht
die Zukunft dennoch in Asien: „Wir haben heute ein eigenes Haus in Tokio,
wir werden in diesem Jahr ein eigenes Haus in China eröffnen, wir haben
als einziger westdeutscher Klavierhersteller den Markt dort erfolgreich bearbeitet
und eine eigene Niederlassung dort.“
Doch auch hierzulande sieht man Zukunft, wenn auch unter veränderten Vorzeichen:
Der klassische Musikbetrieb steckt derzeit in einer Krise, alteingesessene
Konzertreihen müssen um ihr Publikum bangen, selbst große Namen
füllen heute nicht mehr unbedingt die Konzerthäuser. Die CD-Branche
verkauft keine Klassik-CDs mehr und auch die Zahl der Neueinspielungen sank
drastisch. Husman verweist auf zwei Hauptstränge, die für das Marketing
im Inland von Bedeutung sind. „Aktivitäten wie Wettbewerbe sind
heute wichtiger als früher. Da möchte ich auch die Zusammenarbeit
mit unseren Handelspartnern erwähnen. Wir haben in jeder größeren
Stadt in Deutschland und weltweit einen Händler, der nach bestimmten Kriterien
ausgesucht wird. Für alle diese Handelspartner sind Wettbewerbe für
Kinder und Jugendliche oder Konzerte für Studenten ein ganz wichtiger
Bestandteil in ihren Marketingaktivitäten.“
Betrachtet man die Statistiken der Musikschulen, dann zählt das Klavier
nach wie vor zu den Favoriten. Aber mit über neunzig Prozent ist die Quit-Rate
hoch. Woran liegt das? An den Unterrichtsmethoden? Am Repertoire, das zu weit
weg vom Musikgeschmack der Jugend ist? Für Husman ist es klar, dass ein
Flügel- und Klavierhersteller heute nicht nur in das Produkt selber investieren
muss, sondern auch in die enge Zusammenarbeit mit Fachleuten aus Musikschule,
Hochschule, Medien, Handel und Kunde: „Muss wirklich jedes Kind, das
mit fünf beginnt, Klavier zu lernen, ein Pollini werden? In vielen Ländern
gibt es Amateurwettbewerbe und es ist überhaupt nicht notwendig, dass
jeder eine Profikarriere anstrebt. Es ist viel wichtiger, dass die Musik als
eine Sinn stiftende Freizeitbeschäftigung gesehen wird, die Spaß macht.“