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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 38
52. Jahrgang | April
Jazz, Rock, Pop
Gegen den Strom
Von Okkupanten und Elefanten
Wenn der Kanzler die lange erwartete und in sämtlichen Medien
von allen schlauen Chefredakteuren bereits vorab gehaltene „Rede
an die Nation“ endlich selbst hält, dann wundert sich
der Kulturschaffende kaum noch. Kein Wort über die kränkelnde
Kulturszene und die sie vermarktenden Firmen und Einzelkämpfer,
wo es auch um Arbeitsplätze und deren Abbau oder eine Schaffung
derselben geht; kein Wort über Urheberrecht im Zeitalter ausufernder
Marken- und Ideen-Piraterie, welche im www inzwischen neben der
Musikbranche auch die Film- und Buchproduzenten zu spüren
bekommen; kein Wort über den Wert der Kreativität im
Lande, welche bekanntlich im Exportland den Erfindergeist erst
so richtig auf Trab bringt; kein Wort über Musikunterricht
im Zeichen des schiefen deutschen Bildungsturms von PISA, wo alte
wissenschaftliche Studien über
den hohen Stellenwert der Musik auf das Lern- und Sozialverhalten
der Schüler bei PISA-Gewinnern wie Finnland in der Realität
bewiesen werden und Hinweis auf deren intakte Musikkultur in Schule
und Gesellschaft sind.
Worte für Kultur werden bei uns zunehmend
Okkupanten überlassen, die sich dann nicht selten wie der
viel zitierte Elefant im Porzellanladen aufführen. Ob „junge
Wilde“ in der Kulturvermarktung und den Medien mit ihrem übertriebenen
Hang zum „totalen Event“ oder „alte Säcke“ in
Feuilleton, Politik oder Industrie mit ihrer bedenkenträgerischen
Undynamik – Deutschlands Reformstau wird im Kultursektor
dramatisch deutlich reflektiert. Und in der Politik gehen sowieso
langsam die Lichter aus. Aus den Kreisen der Kultusministerkonferenz
dröhnt ein Ächzen und Stöhnen, man schleppt schweren
Bildungsballast ins neue Jahrtausend, jetzt muss aber – endlich! – Schluss
sein mit musischem Restschnickschnack, jetzt gibt‘s was naturwissenschaftliches
hinter die Rotzlöffel. Außerdem will man nun auch Ausländer
besser integrieren. Hört, hört.
Die integrieren sich aber nirgends besser als im vernachlässigten
Kulturbeet, was Schriftsteller wie Feridun Zaimoglu und Popstars
wie Xavier Naidoo sprachvirtuos präsentieren. Wenn bei fünf
Millionen Arbeitslosen Tristesse um sich greift, muss neben sozialem
Halt auch die Würde des Menschen bewahrt werden, auch das
bedeutet Integration – denn der Mensch lebt nicht vom Brot,
vom Geld, vom Job allein. Er kann aber inmitten sozialer Depression
sein Heil in der Kultur suchen und dort einen Job finden, was Teil
der Popgeschichte ist und an Kinder der Arbeiterklasse wie Rod
Stewart erinnern lässt. Das aber ist eine kulturelle Erkenntnis
und mehr als sentimentale Erinnerung. Elefanten in Porzellanläden
brauchen aber keine Kultur und kein Gedächtnis, sie trampeln über
alle Probleme hinweg, mal sehen, ob‘s dann hilft.