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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 38
52. Jahrgang | April
Jazz, Rock, Pop
Der Shakespeare der kleinen Leute
Hank Williams: Neues zum 50. Todestag der Country-Ikone
1953: Samuel Becketts „Warten auf Godot“ hat Premiere,
Josef Stalin stirbt – und Hank Williams bestätigt sehr
früh, mit 29 Jahren, und sehr fatal die Wahrheit seines vielleicht
existenziellsten Hits: Keiner kommt hier lebend raus, „I’ll
never get out of this world alive“.
Seltenes Foto ohne Hut:
Williams
Was sich selbst in den Schwarzen-Ghettos immer seltener
findet, was zur unentbehrlilichen Pose und zum frivolen Posing geworden ist,
das war für Hank Williams
noch Schicksal, eine Sackgasse mit einem ganz, ganz kleinen Auswegs-Mauseloch.
Aus der sicheren Distanz nennt man das dann „street-credibility“:
eine Authentizität des Schmerzes, auch des Verlangens, die es nur weit
unten, in der Vor-Hölle der Armut, der Krankheit, der Verlassenheit gibt.
Beides hat Hank Williams zur Ikone gemacht: seine Sehnsuchts-Vitalität
und die Düsternis seiner Bekenntnisse. So mancher, der Anfang der 70er-
Jahre Peter Bogdanovichs „Last Picture Show“ sah und Country für
eine reaktionäre und konventionelle
Gattung hielt, wurde durch die Begleitmusik aus nicht abreißenden Hank
Williams-Songs bezaubert und bekehrt. Das war, als Seelenmusik wie als Soundtrack
einer ländlich-verlorenen, „uneigentlichen“ Gesellschaft,
das erbarmungslose Dokument einer Krise, das aber nicht frei von Transzendenz,
einem „großen Leuchten“ war.
Pop-Historiker haben in Hank Williams einen Shakespeare der kleinen
Leute gesehen. Das ist in mehrfacher Hinsicht richtig: Auch die
Songs von Hank Williams wurzeln
in der Tradition, in einer sozialen Praxis, auch seine Verse enthalten eine
ganze Welt; und ihre Stärke liegt gerade nicht in ihrer Besonderheit,
sondern in der Tatsache, dass sie Geschichten weiter erzählen, die immer
schon im Umlauf waren, dass die Melodien und „rhymes“ kollektiv
sind, nicht der Besitz eines Einzelnen. Trotzdem wirken Plagiatsvorwürfe
bei Hank Williams so absurd wie bei Shakespeare. Nicht nur sind seine Songs
bei aller Volkstümlichkeit ganz und gar „eigen“;
er hat überhaupt erst das Genre des Outcast-Country geschaffen. Vorher
gab es nur Hillbilly. „Hosenträger-Musik“, deren hilfloser
Trost auf Lüge beruhte. Hank Williams schreibt die dichtesten Short-Stories
der amerikanischen Literatur und die Tatsache, dass viele dieser Erzählungen
von Erleuchtung und Verdammnis, von trügerischen Frauenherzen und Männern,
die schon als Herumtreiber geboren sind, sofort zu Mythen und Klischees wurden,
spricht nicht gegen sie; sie kündet eher von ihrer Suggestion und von
der Bereitschaft vieler, sich in ihnen zu erkennen.
Zum 50. Todestag hat jetzt Trikont einen verdienstvollen Hank
Williams-Sampler („no more darkness“) herausgebracht, der wirklich ein „best
of“ ist: 27 legendäre Songs, etwa ein Drittel des gesamten Oeuvres,
fast immer die besten Aufnahmen. Man spürt, so en suite gehört, viele „Nähen“,
die zum Blues und Gospel, aber auch die zu Tanz und Fest. Hank Williams war
nie bigott, aber fast immer auf der Suche nach Bekehrung. Er war nicht im engeren
Sinn politisch, aber rebellisch, ja revoltierend. Und vielleicht gerade weil
sein Körper so von Beginn an schwach, kränklich, so gar nicht für
den Überlebenskampf der Depressions-Ära ausgestattet war, findet
man bei Hank Williams eine Bereitschaft zu explosiver Freude und Verausgabung,
zu Ekstase und Exzess.
Die Bereitschaft zum Glück wie die Erfahrung der Trauer und Verlorenheit
verkörpern sich in seinen Liedern: „I’m so lonesome I could
cry“, das ist so etwas wie die Hank Williams-Hymne par excellence, das,
was immer wiederkehrt. In jeden Aufschwung ist der Fall schon vernäht.
Zu jedem Begehren gehört immer schon der Bruch. Die existenzielle Gefährdung
zeichnet sich in seiner Stimme ab, die stets vom Kippen bedroht ist. Der typische
Hank-Jodler ist beides: Überschwang – und Absturz.
Bei Tacheles (Vertrieb: Indigo und Eichborn) ist die vielleicht
beste Hank Williams-Biografie, Colin Escotts „Das Leben einer Country-Legende“ jetzt
als Hörbuch herausgekommen, der „Tatort“-Komissar Ritter alias
Dominic Raacke liest; vielleicht zu sehr als Cowboy. Denn Escott demontiert
zwar nicht Hank Williams, wohl aber diverse Mythen, die postumen Geschäftemachern
mehr dienten als der Wahrheit. Der Text ist Recherche, Spurensuche, Sozial-Dokument.
Sichtbar wird eine Passion, auch ein Kreuzweg.
Denn Hank Williams war ein Säufer, einer, dem auf dieser Welt wohl nicht
zu helfen war. Die Schönheiten seiner Songs waren dem Schrecken abgerungen.
Viele der Hits entstanden in Hotelzimmern oder auf dem Rücksitz von Autos,
unterwegs. Aber dieses „on the road“ hatte wenig mit Kerouacs Befreiungs-Trip,
mit der Selbstverwirklichungssuche nach einem anderen Amerika zu tun; es war
gehetzt, halb Geschäft, halb Flucht vor den eigenen Gespenstern.
Zu diesem Hörbuch gehört als vierte CD ebenfalls ein Hank Williams-Sampler,
ein merkwürdiger, aber aufschlussreicher Zwitter, weil manche der Lieder
von anderen gesungen werden, von dem country-„man in black“ Johnny
Cash oder dem seelenverwandten „pale rider“ Townes van Zandt, aber
auch von der Soul-Lady Dinah Washington oder den Dekon-
struktions-Experten „The Residents“.
Oft machen erst Cover-Versionen das Potenzial und die Wahrheit
eines Songs erfahrbar. Vor einiger Zeit schon ist bei Trikont der
bemerkenswerte Hank-Cover-Sampler „I‘ll
never get out of this world alive“ erschienen, mit zwei Dutzend zum Teil
wunderbaren Interpretationen: Jeder Song wartet darauf, in einer anderen Welt
wieder geboren zu werden. Ein großes, aufschlussreiches Hörvergnügen,
das von Franz Dobler kenntnisreich kommentiert wird. Franz Dobler hat übrigens
auch im Booklet zum aktuellen Hank Williams-Sampler ein längeres Prosagedicht
mit dem Titel „Abgerechnet wird zum Schluss“ beigesteuert, das
so etwas wie eine konzentrierte Autobiografie darstellt, die ganz Eiligen das
Hören oder die Lektüre von Colin Escotts kritischer Lebensbeschreibung
erspart.
Helmut Hein
Hank Williams: no more darkness
Trikont
Hank Williams revisited. I’ll never
get out of this world alive
Trikont
Dominic Raacke liest Hank Williams. Das Leben einer Country-Legende
von Colin Escott, Tacheles/Roof Music (Vertrieb Indigo und Eichborn)