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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 37
52. Jahrgang | April
Jazz, Rock, Pop
Die neue Bescheidenheit ist Programm
Der Posaunist Nils Wogram begeisterte im Bayerischen Hof in
München
Schon das technische Begleitschreiben an die Veranstalter ist
ungewöhnlich.
Ganz genau wird darin das erwünschte Drumset umrissen, vor
allem aber alles Ungeeignete aufgelistet, mit der Quintessenz: „Wenn
ein nagelneues Rockschlagzeug und ein altes Jazz-Drumset zur Auswahl
stehen, bevorzugen wir immer Letzteres. Das soll nicht arrogant
sein, wir wollen das nur von vornherein regeln, weil wir schon
so viele Scherereien hatten“, erzählt Bandleader Nils
Wogram.
Interessante neue Stimme
am Posaunenhimmel: Nils Wogram. Foto: Wohlrab
Ungewöhnlich ist einiges bei „Root 70“, dem mit
dem Altsaxophonisten Hayden Chisholm, dem Drummer Jochen Rückert
und dem Bassisten Matt Penman besetzten Quartett des Posaunisten
Wogram, das sich vor etwa vier Jahren an der Kölner Musikhochschule
zusammen fand. Zum Beispiel, dass man bei der aktuellen Tournee,
die in Deutschland am 16. Februar im Nightclub des Bayerischen
Hofes München anlief, in Sälen bis zu 200 Personen unplugged
auftritt. Das kann man nicht mehr oft erleben und es kommt dem
filigranen Sound der Truppe sehr entgegen.
Neue Bescheidenheit könnte man das programmatisch benennen,
was Wogram und die Seinen da im Nightclub vorstellten. Zwar ist
bei Root 70 jedes Experiment erlaubt und die gesamte Musikgeschichte
der Steinbruch für die eigenen Klanggebilde, doch fast möchte
man Verbotsschilder auf den Notenständern vermuten, die ein
Zuviel, ein Überspielen und jede Form von Redundanz unter
Strafe stellen. Stellvertretend dafür steht das feingliedrige,
ganz auf das Wesentliche reduzierte Schlagzeug des perfektionistischen
Tüftlers Jochen Rückert. Das übliche Drummer-Muskelspiel
sucht man bei ihm vergeblich.
Kraftmeiereien blieben den beiden Bläsern vorbehalten. Doch
ob Wogram mit Growls und Dämpfer Ellingtoneske Jungle Music
vorgab, ob er Ethno-Anklänge, Minimal Music, Blues oder Soundspielereien
mit Harmonika und Obertongesang einbaute – nie wurde der
melodische Fluss erdrückt. So gelingt dem Quartett ein echtes
Kunststück: Gefällig zu bleiben, obwohl die Stücke
vor ungeraden Metren, fiesen Rhythmuswechseln und avantgardistischen
Sounds nur so strotzen. Auch als Komponist und Bandleader setzt
Nils Wogram damit ein unüberhörbares Signal der mittleren,
nachdrängenden Generation, nachdem er spätestens seit
seiner Zusammenarbeit mit Aki Takase und Simon Nabatov bereits
als interessanteste neue Posaunenstimme der deutschen Szene gilt
und manche in ihm schon den legitimen Nachfolger von Albert Mangelsdorff
sehen. Nils Wogram und sein Quartett wissen nicht nur genau, was
sie wollen, sie wissen auch, wie sie es erreichen können.