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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 16
52. Jahrgang | April
Portrait
Zwischen zwei Welten
Das Pianisten-Paar Genova & Dimitrov
Ein perfekt aufeinander eingespieltes Team – sowohl auf dem
Podium, als auch im Leben hinter der Bühne: Aglika Genova
und Liuben Dimitrov sind privat und künstlerisch ein Paar,
teilen Leben und Arbeiten, Erfolg und Tourneestress miteinander.
Ende 1995 entschlossen sie sich, ihre erfolgsversprechenden Solokarrieren
zu bündeln und eine pianistische Laufbahn gemeinsam in Angriff
zu nehmen – und gewannen seitdem von München bis Miami
alle wichtigen Wettbewerbe ihres Fachs. Von der International Piano
Duo Federation wurden sie auf der Grundlage komplexer Statistiken
zum „erfolgreichsten jungen Klavierduo unserer Zeit“ ernannt,
zahlreiche Rundfunk- und Fernsehproduktionen dokumentieren neben
CD-Einspielungen eine vielbeschworene „Magie des Zusammenspiels“.
Sind auch privat ein homogen
ausbalanciertes Duo: Aglika Genova und Liuben Dimitrov.
Foto: nmz-Archiv
Begonnen hatte alles mit Chopins
Etüde op. 25/11, die die beiden
Meisterklassen-Studenten Vladimir Krajnews an der Musikhochschule Hannover
zum Einspielen für die
nächste Unterrichtsstunde zum Spaß synchron an zwei Konzertflügeln
spielten – im Rahmen der Vorbereitung für den Internationalen Klavierwettbewerb
in Seoul, wo beide erfolgreich solistisch antraten. Bernd Goetzke, Leiter der
Klavierabteilung in Hannover, kam, sah und staunte – und hatte spontan
die Idee, aus den beiden angehenden Pianisten ein Duo zu formen. Nach einer über
die Maßen erfolgreichen Teststrecke – mit den Stationen Hochschulwettbewerb
Hannover, Bellini-Wettbewerb und Tokio-Klavierduo-Wettbewerb im Zwei-Monats-Takt – stand
der Entschluss fest, auf professioneller Basis als Duo weiterzumachen.
„Ein richtiggehender Grand Slam“, beschreibt Liuben
Dimitrov die Wettbewerbs-Parforce-Tour, der sich noch erste Plätze
bei ARD- und Dranoff-Wettbewerb anschlossen. „So
waren wir gezwungen, in kürzester Zeit ein Repertoire zu erarbeiten,
von dem wir immer noch zehren – in einem Konzertbetrieb, wo man es
sich leider kaum leisten kann, sich einem Projekt länger zu widmen.“ Bei
der Umstellung zum Duo-Spiel profitierten die beiden vor allem von ihrer
solistischen
Ausbildung und Erfahrung – „das war wie eine Brücke“,
erklärt Aglika Genova – und solistisch geprägt ist bis heute
auch die Herangehensweise des Duos: „Die meiste Zeit der Vorbereitung
ist eigentlich dem einzelnen Spiel gewidmet; erst wenn sich jeder für
sich für seine Partie ein
ganz konkretes Bild aufbauen konnte, gehen wir zusammen an zwei Instrumente
und teilen diese Ideen mit, lassen sie verschmelzen.“
Dieses solistische Denken ist auch charakteristisch für das Klangideal
des Duos – „ein Dialog zwischen zwei starken Individuen“,
der seine Schönheit auch aus dem „Spannungsfeld zwischen den zwei
Polen“, männlich und weiblich, bezieht. Gewissermaßen „entsprechend
der Stimmlage“ übernimmt Aglika Genova dabei den ersten Part, was
beim vierhändigen Spiel auch aus optischen Gründen für das Publikum
sinnvoller erscheint. „Im vierhändigen Bereich ist es vielleicht
von Vorteil, dass wir auch privat ein Paar sind – für diese teilweise
fast akrobatische Pianistik mit Ellbogen übereinander et cetera, die man
dafür entwickeln muss“, meint Liuben Dimitrov, „sonst ist
es – rein musikalisch betrachtet – eher untergeordnet: Auf dem
Podium fühlen wir uns eher als Kollegen, die eine große Verantwortung
tragen, auf den anderen zu reagieren und dabei selbst das Bestmöglichste
zu leisten.“
Gemischtgeschlechtlich sind aller-dings auch die wenigen Kollegen
im Bereich Klavierduo, die Genova-Dimitrov neben zahlreichen solistischen
Vorbildern
von Gould bis Rubinstein besonders schätzen: „Martha Argerich und
Nelson Freire sind beispielsweise solche Duo-Partner, die auch im Zusammenspiel
ihre jeweilige künstlerische
Identität nicht verlieren.“ Speziell für den vierhändigen
Bereich nennt Dimitrov das Duo Yaara Tal & Andreas Groethuysen und auch
unter den zahlreichen Brüder- oder Schwestern-Ensembles findet sich ein
musikalisches Vorbild: „die Kontarskys – denn die spielen nicht
wie zwei Brüder, von denen sich einer dem anderen unterordnet, sondern
wie zwei ausgeprägte pianistische Persönlichkeiten“.
Doch auch darüber hinaus gibt es künstlerische Parallelen zwischen
den Kontarskys und Genova & Dimitrov – mit einem deutlichen Repertoire-Schwerpunkt
im Bereich der Moderne. 1999 spielten Genova & Dimitrov sämtliche
Klavierduo-Werke von Dmitrij Schostakowitsch auf CD ein; im letzten Jahr erschien
mit Bohuslav Martinu’s Konzert für zwei Klaviere und Alfred Schnittkes
vierhändigem Klavierkonzert in einer Produktion mit der NDR-Radiophilharmonie
unter Eiji Oue eine Referenzaufnahme zweier ganz unterschiedlicher Kompositionen
der Neuen Musik, die das Duo mit bewährter Verve und Sensibilität
in ihrem jeweiligen Charakter differenziert begreifbar macht: Schnittkes spätes
Konzert von 1988 mit seiner de-
pressiven psychologischen Disposition – „extrem anstrengend, diese
fast apokalyptische Musik durch Kopf und Herz passieren zu lassen; dass wir
mit der Witwe von Schnittke Kontakt aufnehmen konnten, hat uns dabei sehr geholfen“ – und
Martinus brillante, energiegeladene Musik mit ihrer Verbindung aus motorischer
Getriebenheit der Moderne und den kräftigen Farben einer sublimierten
tschechischen Folkore.
Eine eigenwillige Synthese aus folkloristischen Elementen und
westlichen Einflüssen
wie Jazz und Modetänzen der 30er-Jahre ist auch prägend für
das Œuvre des Bulgaren und Weltbürgers Pancho Vladigerov, dessen
gesamtes Klavierduo-Werk Genova & Dimitrov im Jahr 2000 aufgenommen und
im bulgarischen Pavillon auf der Expo präsentiert haben.
Ein mit der Einstudierung aus 500 Manuskript-Seiten so spannendes
wie stilistisch perfekt auf das Duo zugeschnittenes Projekt – sind doch auch Genova & Dimitrov
Musiker zwischen zwei Welten: als Kinder zweier Musikerfamilien griechischer
Abstammung in Bulgarien geboren, mit einer klassischen Laufbahn aus bulgarischer
Spezial-Musikschule, Grundstudium an der Musikhochschule in Sofia (bei Giulia
und Konstantin Ganev, die auch als Klavierduo konzertierten), danach Meisterklasse
in Hannover und nun ständigem Wohnsitz in Deutschland. 2001 wurden sie
in Bulgarien zu „Musikern des Jahres“ ernannt, sie konzertieren
so oft es der enge Tournee-Plan erlaubt auch dort, sind aber mittlerweile
auch rund um den Globus zu Hause. In dieser Saison debütiert das
Duo in Kanada, der Schweiz und im Rahmen der Europalia Belgium, außerdem
sind Tourneen nach Polen, Mazedonien, Brasilien und Afrika und auf dem Weg
Konzerte in Washington und Wien geplant; Ende Februar erscheint eine Einspielung
sämtlicher Klavierduo-Werke von Johann Christian Bach, ein Orchesterprojekt
und eine weitere CD sind bereits in Planung. Man darf gespannt sein.