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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 18
52. Jahrgang | April
Repertoire
Neues bei col legno
Mehrere kurze Walzer. Walzer zu vier Händen von Franz Schubert,
Johannes Brahms, Edvard Grieg, Paul Hindemith und Wolfgang Rihm;
Klavierduo
Andreas Grau & Götz Schumacher
Die Walzer-CD des Klavierduos Grau/Schumacher bildet den Auftakt
der drei CDs des Duos, die 2003 bei col legno erscheinen werden.
Auch diesmal haben sich die beiden Musiker ein Thema ausgesucht,
das sie anhand verschiedener Werke unterschiedlicher Komponisten
beleuchten. Anhand ihrer Komponistenauswahl spielen sie sich
durch die Geschichte der vierhändigen Walzergeschichte,
zeigen stilistische Varianten und geografische Besonderheiten
auf und wandern ins 20.Jahrhundert
hinein. Mit Paul Hindemith, vor allem aber bei Wolfgang Rihm
finden sich schließlich Parodien, Stilkopien und Skurilitäten,
die den Walzer als Tanz zum Teil verlassen, zum Teil aber auch
als Retrospektive auf die Geschichte des Walzers gehört
werden können.
Gerade bei den Walzern von Rihm ist ein Schmunzeln des Komponisten
nicht zu überhören. Die beiden Pianisten gestalten
die zahlreichen Miniaturen mit feiner Nuancierung, so dass auch über
eine Stunde Klavierwalzer nicht ermüdend wirken.
Giacinto Scelsi: Quattro Illustrazioni, Suite No. 8 „Bot-Ba“;
Cinque Incantesimi; Markus Hinterhäuser, Klavier
Markus Hinterhäuser, Spezialist nicht nur für Liedbegleitung,
sondern auch für Musik des 20. Jahrhunderts, widmet sich
in dieser Aufnahme der zweiten Phase der Klavierkompositionen
Giacinto
Scelsis.
Die drei zu Anfang der 50er-Jahre entstandenen Werke weisen
nicht nur im Titel, im Zentrum steht dabei die 8. Klaviersuite „Bot-Ba“,
auf die Beschäftigung des Komponisten mit fernöstlicher
Kultur hin. Einzelne Sätze zeigen eindeutige Bezüge zu
hinduistischen Mönchsgesängen und zu tibetischen Ritualen.
Die Betonung des Klangs, der Klangentfaltung ist zu vernehmen,
die Konzentration auf den Einzelton, der Scelsi in den folgenden
Jahren immer weiter folgt, ist in einigen Sätzen schon angelegt.
Doch auch Passagen dramatischer Klaviervirtuosität europäischer
Tradition scheinen immer wieder auf. Und wer möchte, kann
sich die 8.
Suite demnächst vergleichend anhören, denn bei HatHut
wird in Kürze eine Neuauflage unter anderem dieses Werks
mit der Pianistin Marianne Schroeder erscheinen.
Carlos H. Veerhoff (geb. 1926): Symphony
No. 6 „Desiderata“,
Alpha – Zeta, Pater Noster; Sinfonieorchester und Kammerorchester
des Mitteldeutschen Rundfunks, Leopold Hager, Michael Gläser,
Chor des Mitteldeutschen Rundfunks, Howard Aman; Elizabeth Hagedorn,
Sopran, Andreas Scheibner, Bariton, Hermann Christian Polster,
Bass, Boris Carmeli, Sprecher – Ersteinspielungen.
Spätromantik mit falschen Tönen? – Der in Argentinien
als Sohn deutscher Eltern geborene Carlos H. Veerhoff studierte
unter anderem in Berlin und lebt seit vielen Jahren in Süddeutschland.
Als Mensch, der immer wieder auch längere Zeit in Argentinien
und Afrika verbracht hat, bezieht er immer wieder Elemente fremder
Kulturen in seine Kompositionen mit ein, allerdings nicht klanglich,
sondern als Texte. Drei Ersteinspielungen sind auf dieser CD vereinigt,
zwei kürzere Chorwerke und seine
großdimensionierte Symphony Nr. 6 „Desiderata“ von
1996 für Orchester, Chor, Solisten und Sprecher. Die Musiksprache
Veerhoffs ist trotz aller Genauigkeit und Prägnanz in der
strukturellen Gestaltung stark expressiv geprägt. Aus der
Beschäftigung mit Dodekaphonie, der er zudem recht spät
erst begegnet ist, hat er davon abgeleitete Kompositionstechniken
entwickelt. Im Kern seines Schaffens stehen zwei zentrale Anliegen.
Zum einen sind seine Kompositionen immer wieder auch ein Aufruf
zur Erhaltung der Welt, des Lebens, der Erde. Zum anderen versteht
Veerhoff Tradition als Verantwortung gegenüber dem Neuen,
was sich nicht nur an der Hinwendung zu tradierten Formen, sondern
auch an den zu hörenden Klängen zeigt, die doch recht
klischeehaft die Beschreibung assoziieren: Spätromantik mit
falschen Tönen.
Francisco Guerrero (1951–1997): Coma Berenices für
Orchester (1996), Ariadna (1984) für 10 Violinen, 5 Violen
und 5 Violoncelli, Sáhara (1991) für Orchester, Oleada
(1993) für Streichorchester, Antar Atman (1980) für Orchester;
Orquesta Sinfónica de Galicia, José Ramón
Encinar
Der erste Eindruck hinterlässt auf den Hörer einstürzende
Klangmassen, die sich beim weiteren Verfolgen jedoch immer weiter
ausdifferenzieren. Der spanische Komponist Francisco Guerrero komponierte
Kammermusik v.a. aber Werke für Orchester. Dabei variiert
die Anzahl der Musiker zwischen einem nur mit Streichern besetzten
Kammerorchester und großen Formationen mit reichhaltigem
Bläser- und Schlagzeugsatz. Die hier eingespielten Werke geben
einen Einblick in Guerreros Orchesterschaffen der letzten 20 Jahre,
einer Zeit, in der er sich intensiv mit Fraktalen beschäftigt,
wie auch mit mathematischen Formeln zur Beschreibung der komplexen
Natur, mit der er seine musikalischen Strukturen vergleicht und
auf deren Basis seine Kompositionen entstehen. Gemeinsam ist den
Werken eine sehr dicht gearbeitete Struktur, eine Fülle sich
zum Teil abrupt abwechselnder Ereignisse, die gleichwohl in einen
strukturellen Fluss eingebettet sind und deren Komplexität
in ihrer Gestaltung erkennbar bleibt. Auch ein spielerisches und
dynamisch hohes Intensitätsniveau ist über weite Strecken
konstant. Sind seine Werke aus den 80er-Jahren von hoher impulsiver
Ereignisdichte geprägt, so wendet sich Guerrero später
immer wieder der Arbeit mit Klangbändern zu. Eine Assoziation
zu Ligetis Mikropolyphonie wird kurzzeitig geweckt, ist aber beim
weiteren Hören nicht haltbar.