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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 20
52. Jahrgang | April
Rezensionen
Schlagabtausch ebenbürtiger Gegner
Video-DVDs mit Puccinis „Tosca“ im Vergleich
Floria Tosca und Maria Callas – zwei Namen, die miteinander
verbunden sind wie Hofstadters „endlos geflochtenes Band“.
Im Pantheon diskografischer Sternstunden behauptet ihre 1953er-Aufnahme
von Puccinis Oper seit einem halben Jahrhundert mehr oder weniger
unangefochten die Vorreiterrolle. Zwei Jahre nach Einführung
der silbernen Wunderscheibe liegt der Fall in Bezug auf Video-DVDs ähnlich.
Mit ihren beiden Fernseh-Dokumenten hat die Callas ihren Rivalinnen
die Latte sehr hoch gelegt.
La Divina: die Callas wird
als Tosca unvergessen bleiben. Foto: EMI/H. Rogers
Elisabeth Schwarzkopf besuchte
1952 eine Vorstellung in der Arena di Verona, gespielt wurde„La Traviata“.
Schnell stand ihr Entschluss fest, nie wieder die
Rolle der schwindsüchtigen Kurtisane zu übernehmen: „Welchen
Sinn hätte es, sich an einer Partie zu versuchen, die von einer Kollegin
so vollkommen dargeboten wird.“ Die „Kollegin“ war acht Jahre
jünger als die Schwarzkopf – ihr Name: Maria Callas. Ganz ähnlich
muss es vielen Sängerinnen ergangen sein, die die Callas als Tosca erlebten.
Zum Glück waren nicht alle so konsequent wie Elisabeth Schwarzkopf. Selbst
unter den momentan greifbaren Videos gelingt mancher Konkurrentin eine eigenständige
Deutung jenseits der übermächtigen Griechin.
Zwei Fernsehaufzeichnungen gibt es mit ihr – zweimal den 2. Akt, zweimal
mit dem unschlagbaren Scarpia von Tito Gobbi. Das eine wurde 1958 beim Paris-Debüt
der Callas im Palais Garnier aufgezeichnet. Das andere stammt von 1964, als
sie nach einer fast zweijährigen Pause wieder auf der Opernbühne
stand. Rechtzeitig zum 25. Todestag der großen Griechin präsentierte
die EMI beide Videos im Digitaltransfer: Jedes für sich genommen ist ein
Dokument von unschätzbarem Wert, aber der Vorzug gebührt der Londoner
Version. Nicht so sehr wegen der Inszenierungen von Luchino Visconti (Paris)
und Franco Zefirelli (London), die recht ähnlich wirken, wobei ich Zefirelli
als einen Tick ausgefeilter empfinde. Aber die beiden Dirigenten machen die
Entscheidung einfach: Die lieblose Hand von Georges Sebastian zerteilt den
durchkomponierten Fluss der Musik, etwa mit den schneidenden Bläserakkorden
zu Beginn der Folterszene. Sebastian hält den Vergleich mit dem London-Video
auch deshalb nicht stand, weil Carlo Felice Cillario am Pult der Covent Garden
Opera durch natürlichere Tempi ein insgesamt schlüssigeres Bild hinterlässt.
Ohnehin harmoniert das Gespann Callas/Gobbi in London viel besser,
was wohl daran liegt, dass die beiden in Paris zum ersten Mal als
Tosca und Scarpia
gemeinsam auf der Bühne standen. Sechs Jahre später wirkt manche
Geste weniger kalkuliert: Die beiden liefern sich einen Schlagabtausch ebenbürtiger
Gegner, der manch aktuelleres Video wie ein gefälliges Rührstück
erscheinen lässt. Zudem geht Gobbi freier und spielerischer mit der Partie
um. Das spannungsgeladene Katz-und-Maus-Spiel überschattet selbst Mankos
wie den Cavaradossi von Renato Cioni. Im Hinblick auf die Tenöre sollte
man sich in beiden Fällen kompromissbereit zeigen und weder mit ihm noch
Albert Lance zu hart ins Gericht gehen. An der Seite der Callas wurden auch
Sänger größeren Kalibers zur blassen Nebenfigur.
Oscar Bie beschrieb Puccinis „Tosca“ als „Schlächterarbeit
im Kleid des Liebenswürdigen“ und in den frühen, vor Intensität
brennenden Dokumenten wird immer verständlich, weshalb. Im Vergleich dazu
lassen einen die beiden Verfilmungen an Originalschauplätzen eher kalt:
In Gianfranco de Bosios Streifen von 1976 und der 16 Jahre später entstandenen
Adaption durch Giuseppe Patroni Griffi (VHS) kommt Puccinis Gefühlsmaschinerie
kaum in Fahrt: Weil ihr platter Realismus der Fantasie kaum Impulse liefert
und auch, weil die beiden Titelheldinnen ihre Kollegin nur bedingt vergessen
machen können. Obwohl Raina
Kabaivanska (1976) und Catherine Malfitano (1992) der Callas in gewisser Weise
sogar das Wasser reichen können: Sie liefern sich der Partie gnadenlos
aus. Dabei spürt man bei Kabaivanska intuitiv, dass sie in ihrer Glanzzeit
eine faszinierende Tosca gewesen sein muss. Darunter dürfte auch die Stimme
gelitten haben: Ihre Töne
wirken in der Höhe zunehmend klein und rau, was der „celebre cantante“ viel
von ihrem jugendlichen
Charme raubt. Dagegen kommen bei Malfitano auch die lyrischen Momente nicht
zu kurz, wodurch ein stimmigeres Charakter-Bild entsteht. Doch weil ihre Tiefe
nicht ganz so rund und fest ist, um eine schöne Legato-Linie verlässlich
zu unterstützen, werden Spitzentöne unruhig, wie zu Beginn des 3.
Akts. Hier lässt sich übrigens auch ihre Neigung zur darstellerischen Überzeichnung
beobachten: Muss die heißblütige Floria wirklich an den Rand der
augenrollenden Raserei geführt werden?
Das genaue Gegenteil ist Placido Domingo, der in beiden Fällen den Cavaradossi
singt – mit heroischer Größe und vokalen Schattierungen, aber
auch seltsam unspezifisch im Detail. Ähnlich verhält es sich mit
Sherill Milnes, dem Scarpia von 1976: Sängerische Kultiviertheit macht
aus dem sadistischen Polizei-Chef einen gutmütigen Schreibtisch-Täter.
Noch gefahrloser wirkt Leo Nucci in einer Aufzeichnung der Mailänder Scala:
Vergeblich sucht man hier die Autorität und das zweifelhafte Charisma
des politischen Verführers. Ganz allgemein kann zu dieser Aufführung
kaum guten Gewissens geraten werden – am ehesten noch wegen der warmherzigen
Tosca von Maria Guleghina. Doch wer einmal die Callas gesehen hat, wird sich
mit ihrer berechenbaren Darstellung ebenso schwer tun, wie mit dem lieblos
gesungenen „pittore“ Salvatore Licitras. Wobei die beiden von Riccardo
Muti nicht gerade zu Höchstleistungen angespornt werden: Wie beiläufig
lässt er die Musik abspielen; Momente, die Gewicht und Aussage haben,
sind an einer Hand abzuzählen. Auch bei Luca Ronconis auf Oberflächenglanz
bedachter Inszenierung wurde mir bis zuletzt nicht ganz klar, welche Sicht
auf das Stück er entwickelt hat.
Zurück zu Scarpia: Einzig Ruggero Raimondi kann es halbwegs mit Gobbi
aufnehmen. Dabei ist sein Scarpia keineswegs perfekt: Er ist ein basso cantante
und weniger ein dramatischer Bariton, wodurch sein Porträt oft die Tendenz
zur Gutmütigkeit entwickelt – im Live-Film an der Seite von Malfitano
ebenso wie in der acht Jahre später entstandenen Verfilmung von Benoît
Jacquot, wo auch noch Probleme in der Höhe dazu kommen. Doch sobald zum
akustischen auch der optische Eindruck tritt, werden diese Vorbehalte zur Nebensache:
Nie bedient Raimondi die Schablone des Fieslings, sein Scarpia ist immer auch
Mensch und deshalb umso gefährlicher, was im Rom-Film von Brian Larges
sensibler Bildregie in schrägen Kamerafahrten eingefangen wird. Noch kunstvoller
setzt Jacquot die ästhetischen Mittel des Films im bislang aktuellsten
Streifen mit Angela Gheorghiu als Tosca ein. Drei bildästhetische Ebenen
werden ineinander verschränkt: Bühnenelemente vor schwarzem Hintergrund,
Bilder der Originalschauplätze und S/W-Sequenzen von den Audio-Takes in
den Abbey Road Studios.
Ü
berhaupt führt an diesem Film kein Weg vorbei. Allein schon im Hinblick
auf die Dirigenten schlägt er alle anderen Videos um Längen: Bei
Bruno Bartoletti ist in der Version mit Kabaivanska eine individuelle Handschrift
kaum auszumachen. Zubin Mehta unterlegt den Expressionismus der Malfitano
mit effektorientierten Orchesterdetails,
die zuweilen Ausmaße eines Sinfoniekonzerts annehmen. Antonio Pappano
als Begleiter der Gheorghiu hingegen beweist untrüglichen Theaterinstinkt,
etwa wenn er Pausen als Spannungsträger setzt (vor „Or lasciami
al lavoro“) oder Tempoanweisungen ausreizt, wie am Ende der zweiten
Begegnung von Cavaradossi und Angelotti. Dabei strömt die Musik ebenso
frei wie die Legato-Linien der Gheorghiu: Bruchlos verbinden sich sängerische
Intelligenz mit Emotion und souveräner Überwindung technischer
Hürden. Dafür
ist Roberto Alagna als Cavaradossi für meine Begriffe sehr leicht besetzt,
im 2. Akt wirkt er ein wenig überfordert. Der überragende Gesamteindruck
des Films wird dadurch ebenso wenig geschmälert wie die heißblütige
Titelheldin von Angela Gheorghiu. Nur mit ihr und dem Londoner Callas-Dokument
geht es einem wie Tosca mit ihrem Mario: „Ecco un artista!“
Oliver Wazola
Diskografie
(Besetzung in der Reihenfolge: Tosca, Cavaradossi, Scarpia,
Angelotti, Sagrestano)
Callas, Lance, Gobbi u.a.; Orchestre du
Théâtre National
de l’Opéra Paris, Sebastian; Regie: Visconti (1958)
DVD EMI
Callas, Cioni, Gobbi u.a.; Orchester des Royal Opera House
Covent Garden, Cillario; Regie: Zeffirelli (1964)
DVD EMI
Kabaivanska, Domingo, Milnes, Luccardi, Mariotti; New Philharmonia
Orch., Bartoletti; Regie: de Bosio (1976)
DVD Decca/Universal