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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 23
52. Jahrgang | April
Rezensionen
Kurz vorgestellt
CDs
Bernd Alois Zimmermann: Intercommunicazione; Capriccio; Sonate
für Violine solo; Vier kurze Studien für
Cello solo; Présence; Peter Sheppard
Skaerved, Violine; Friedrich Gauwerky, Cello; Ian Pace, Klavier
Albedo ALB 022
Kammermusik von Bernd Alois Zimmermann (1918-1970), die in
engagierter Interpretation wieder einmal nachdrücklich beweist,
wie unverwechselbar, kraftvoll und vielseitig dieser Komponist
war. Vom virtuos spielerischen Zitat bis zur stillen
Innenbetrachtung schillert diese unverwechselbare Musik, die ein ganz notwendiges
Korrektiv zum Mainstream der Avantgarde darstellte.
Bohuslav Martinu: Fantaisie et Toccata;
Sonata Nr. 1; Fenêtre
sur le Jardin und andere Klavierwerke.
Paul Kaspar, Klavier.
Tudor 7054
Mit dieser CD wird die Einspielung des gesamten Klavierwerks
von Bohuslav Martinu eingeleitet. Hörbar liegt das Projekt bei
dem in München lebenden tschechischen Pianisten in guten Händen.
Mit Energie und Elan gestaltet er diese so charakterreiche Musik.
Auf der ersten CD ist auch die höchst gewichtige, bekenntnishafte
Klaviersonate von 1954 zu finden. Sie ist ein ganz großes
Werk des 20. Jahrhunderts.
Giacinto Scelsi: Quattro Illustrazioni;
Suite No. 8 „Bot-Ba“;
Cinque Incantesimi; Markus Hinterhäuser, Klavier.
col legno WWE 1CD 20068
Klavierkompositionen Scelsis aus den frühen 50er-Jahren, noch
vor seinem revolutionären Durchbruch zu seinen Einton-Komplexen
und seinem intensiven Eindringen in Phänomene des Klangs.
Der Weg hierhin, der asiatische (indische, tibetanische) Tonerfahrung
integriert, ist aus den abseits vom Gang der neuen Musik stehenden
Klavierwerken mitzuvollziehen. Es ist Musik aus anderen Welten,
voller Geheimnis, voller innerer Kraft.
Béla Bartók: Herzog Blaubarts
Burg. Cornelia Kallisch, Mezzosopran; Péter Fried, Bariton; RSO
Stuttgart des SWR, Peter Eötvös
Hänssler CD 93.070
Bartóks früher Opern-Einakter (geschrieben 1911, bei
einem ungarischen Kompositionswettbewerb als unspielbar abgelehnt)
wird von Eötvös in seiner ganzen strukturellen Härte
dargeboten. Liebe und Blut, Geheimnisse hinter verschlossenen Türen.
Eine Wanderung durch klangliche Kraftfelder.
Olga Neuwirth: Clinamen/Nodus; Construction
in Space; London Symphony
Orchestra, Pierre Boulez; Klangforum Wien, Emilio Pomàrico. KAIROS 0012302KAI
Olga Neuwirths Kompositionen werden in den letzten Jahren (die
Stücke entstanden 1999 und 2000) immer aggressiver, attackenhafter
in ihrer Körperlichkeit. Und wenn sie so durchhörbar
scharf und zugleich elementar gespielt werden wie etwa durch
das LSO unter Boulez, dann offenbaren sie ihren ganzen strukturellen
und energetischen Reichtum. „Construction in Space“ ist
der Bearbeitung der endzeitlichen Filmmusik zu „The Long
Rain“. Packende Musik!
Reinhard Schulz
Buch
Josef Kloppenburg:
Pädagogische Musik als ästhetisches Konzept. Neue
Musik und musikalische Praxis in der Schule (Forum Musikpädagogik
Bd. 52), Augsburg, Wißner 2002, 284 S., € 25,00, ISBN 3-89639-320-0
Zahlreiche Kompositionen und „Konzepte“ aus dem 20.
Jahrhundert – von Hindemiths „Tuttifäntchen“ bis
Diether de la Mottes „21 Lieder aus 20 Jahren“ – wurden
mit dem Anliegen geschaffen, Laien und Kinder durch eigenes Musizieren
näher an zeitgenössische Musik heranzuführen. Josef
Kloppenburg untersucht neben künstlerischen Aspekten die pädagogischen
Qualitäten ausgewählter Werke und legt Kriterien für
einen angemessenen Unterricht mit neuer Pädagogischer Musik
dar.
Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen
Reise, Reprint der
Ausgabe Hamburg 1772/1773, hrsg. von Christoph Hulst (Documenta
Musicologica I, Band 19), Bärenreiter, Kassel u.a. 2003, ca.
504 S., € 39,90, ISBN 3-7618-1591-3
Die Neuauflage dieses erstrangigen Quellenwerkes zum kontinentalen
Musikleben der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zeichnet
sich gegenüber dem Reprint von 1959 durch ein ausführliches
Vorwort von Christoph Hulst und ein Gesamtinhaltsverzeichnis der
drei Bände aus. Das ungewöhnliche Querformat präsentiert
jeweils vier Seiten des Originals.
Andrea Rittersberger: Andreas LiederLeseMitmach-Buch. Das
Gespenst Heinrich und seine Freunde, Beustverlag, München
2003, 189 S., Farbillustrationen, € 22,90, ISBN 3-89530-102-7
Ein sehr schön gestaltetes Buch, das zu einem vielfältigen
aktiven Erleben von Geschichten aus dem Jahreskreis anregt. Jede
der 25 Geschichten ist mit einem Lied verknüpft und kann
in etwa 30 Minuten durchgespielt werden. Dabei bleibt viel Spielraum
zwischen den sehr konkret gehaltenen Handreichungen und einem
freien
Umgang mit der Vorlage.
Michael Wackerbauer
Noten
Wolfgang Amadeues Mozart: Konzert
in G für Flöte und
Orchester nach dem Klarinettenkonzert KV 622. Klavierauszug. Bärenreiter
BA 5335a
Ursprünglich wohl schon in G-Dur für Bassetthorn geschrieben,
dann in A für Klarinette und schon damals für Viola und
auch für Flöte, wieder transponiert von A nach G, übertragen,
so dass die obere Mittellage und maximal bis g’’ reichend
dominiert. Die historischen Usancen rechtfertigen diese Neuausgabe
für Flöte, derer sich Christopher Hogwood angenommen
und dazu einen neuen nicht überladen wirkenden Klavierauszug
erstellt hat. Die schon in der ursprünglichen Vorlage uneinheitliche
Auszeichnung zur Phrasierung und Artikulation hat bewusst nur wenige
Korrekturen erfahren – offen also für eigene Interpretation.
Orchestermaterial liegt beim Verlag bereit. Nun kommt es darauf
an zu prüfen, ob der für dieses Konzert traditionell
eingeprägte Klarinettenklang mehr die Flötisten oder
das Publikum irritieren wird. Spieldauer 24 Minuten.
Georg Philipp Telemann: Ouverture
D-Dur TWV 55:D17 für 2
Trompeten, Streicher & B.c. Ed. Walhall
Verdienstvolle Erstausgabe für eine musikalisch und technisch
unkomplizierte Suite in französischem Esprit mit acht Charaktersätzen,
geschaffen für Musikantenlust und fast vom Blatt zu spielen,
schon spürt man den tanzenden Fürstenhof von einst.
Friedrich Cerha: Fünf Stücke für Klarinette in
A, Violoncello und Klavier (1999–2000). Doblinger D 07358
Die Reihe seiner vielen interessant und orginell besetzten
Kammermusiken findet eine interessante Fortsetzung in diesen
Heinrich Schiff
gewidmeten Triosätzen, ein anspruchsvolles Repertoire-Pendant
zu den beiden Klassikern, Beethovens op. 11 und Brahms’ op.114.
Musikalisch wie technisch vor allem in den beiden schnellen, wild
zupackenden Sätzen eine enorme Herausforderung, in den ruhigen
Passagen zwischen schlicht, licht und dicht wechselnd voller
Spannung.
Julius Klengel: Kleine Suite für drei Violoncelli op.59. Breitkopf & Härtel EB 5248
Er schrieb nicht nur Kurioses für zwölf, sondern – fast
vergessen – auch etwas für drei, durchaus unterschiedlich
fortgeschrittenen Cellospieler. Diese fünf in Charakter, Stimmung
und Form variierenden Sätze, ebenso melodiös wie rhythmisch
akzentuiert, sind nach fast 80 Jahren als Stimmensatz neu aufgelegt.
Giovan Battista Martini (1706–1786): Missa solemnis, Missa
da Morti. Für Orgel. Liturgische Werke Heft I, hrsg. von Jolando
Scarpa. Doblinger DM 1301
Dieser Erstdruck aus den Bologneser Handschriften umfasst zwei
abgeschlossene liturgische Orgelmessen aus dem noch viel zu wenig
erforschten Werk des Franziskaner-Padres Martini, der als komponierender
und vielseitiger Musikgelehrter allerhöchste Anerkennung genoss.
Sein Opus verrät außergewöhnliche kompositorische
Intensität und versteht sich auf den galanten Stil der Zeit,
ohne jedoch die kirchliche Würde anzutasten. Eine Entdeckung.
Aus der Einstimmigkeit heraus entwickelt sich improvisationsartig
ein Gespinst emanzipierter Gesangslinien von jeweils freirhythmischen
Leben. Zwei, dann drei Flöten treffen sich in bewegten Atemzügen,
wechseln zwischen klanglicher Schärfe und gehauchtem Nichts,
um schließlich in eine fugative Coda zu münden.