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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 17
52. Jahrgang | April
Rezensionen
Ein Medium floriert
Historisches, Oper und Konzerte auf DVD
Als vor einigen Jahren die ersten DVD-Geräte auf den Markt
kamen, musste man etliches mehr als 1500 DM über den Ladentisch
schieben. Nach den gehörigen – und letzten Endes vergeblichen – Investitionen
für die voluminösen, recht störungsanfälligen
Laserdisc-Player bedeutete dies eine weitere Schröpfung all
jener Musikenthusiasten, die sich zum plastischen, farbechten,
sprich: wirklichkeitsnahen Bild auch eine gute, wenn nicht gar
ausgezeichnete Tonqualität und dazu noch hohen Bedienungskomfort
wünschten. Die Bildplatte mit 30 cm Durchmesser ist längst
vom Markt verschwunden – und wohl dem, der sich zum Abspielen
seiner teuren Silber- und Goldscheiben bereits ein Ersatzgerät
zum Abspielen besorgt hat, denn die seinerzeit führenden,
aber in Werbung und Marketing recht zögerlichen Hersteller
haben die Produktion längst eingestellt. Für die neuere
DVD-Technik mit ihrer kleinen, der Compact Disc angepassten Formattechnik
wurde in den letzten Jahren ungleich mehr Aufwand betrieben, um
sie weltweit den Konsumenten von Musik, aber auch von ausführlichen
Spielfilmen schmack- und hörhaft zu gestalten. Heute kann
man gute, zuverlässige DVD-Player bereits für einen Schleuderpreis
von weit unter 200 Euro erstehen – und nicht von ungefähr
erreichten uns rund um das Weihnachtsgeschäft Meldungen, dass
der Handel in diesen Zeiten gebremster Investitionen gerade auf
dem DVD-Sektor erfreuliche Zahlen verbuchen durfte.
Lebt auf DVD wieder auf:
Claudio Arrau, Cover-Ausschnitt der Beethoven-DVD erschienen
bei EMI
Ein interessantes, weil auch lehrreiches Feld der audio-
und visuellen Nachrichtenübermittlung bedeutet
die DVD-Komprimierung von historischen und didaktischen Außergwöhnlichkeiten.
In dieser Hinsicht beginnt sich der europäische Ton- und Bildträgermarkt
erst zu formieren, denn etwa im Vergleich zum Angebot amerikanischer oder japanischer
Labels nutzte man bei uns die Möglichkeiten der Sparte „Unvergesslich – unvergessen“ nur
halbherzig. Was kann es Fesselnderes geben, als die Großen von einst
auch in ihrem körperlich-aureatischen Erscheinungsbild noch einmal – bald
studierend, bald anbetend – zu erleben!? Was kann uns kompetenter (oder
zumindest spannender!) auf die Fährten der Komponisten führen, als
bei der harten, amüsanten, feierlichen, gelösten Probenarbeit im
Vorfeld einer Konzertdarbietung beizuwohnen?! Erlaubt ist ersteres etwa im
Verlauf einer Claudio Arrau-Dokumentation mit Schlüsselwerken von Beethoven
und Schumann, wobei die konservative Bildführung genügend Gelegenheit
gibt, den Pianisten in seiner gestauten, eher grübelnden Brillanz zu verfolgen.
Schumanns Klavierkonzert erklingt hier im ersten Satz ungemein nachdenklich,
um vieles besonnener als etwa in einer Konzertdarbietung der furiosen Martha
Argerich, die sich auf einer DVD unter dem Motto „Martha Argerich and
Friends“ in all ihrer genialischen Unbekümmertheit auch besorgnisrregend
oberflächlich zu pianistischem Wort meldet (Rachmaninoff-Suite, Ravel!).
Der genannten Arrau-Edition wurde aus Gründen der Spieldauer und in diesem
Zusammenhang wohl auch aus Gründen der Kostengerechtigkeit eine lebhafte,
dabei sehr gradlinige Aufnahme der „Appassionata“ mit dem englischen
Pianisten Solomon beigefügt – eine Formalität, die weit über
das übliche Service-Programm der DVD-Technik mit ihren biografischen und
werkstättischen Sonderprogrammen hinauszielt. Arraus gedämpfte, gleich-
sam nach Innen gewendete Darbietung des Schumann-Konzerts erfährt in einer
neuen CD-Ausgabe mit Daniel Barenboim eine späte Bestätigung, denn
im Zusammenwirken mit Sergiu Celibidache und den Münchner Philharmonikern
kann keine musikalische Rede von flotter, äußerlicher Sportlichkeit
sein. Auch Tschaikowskys b-Moll-Konzert erfährt in dieser Besetzung eine
sehr innerliche, fast schon sakrale Ausdeutung fern aller Raubtiergefährlichkeit,
als wollte der Dirigent seinen Solisten via Tschaikowsky auf seine Herzensbeziehung
zu Bruckner einschwören. Und Anton Bruckner ist es auch, den Celibidache
in einer in Stimmung und Fachlichkeit geradezu narkotisierenden DVD-Produktion
zur wichtigsten Sache der Welt erhebt. Gefilmt, besser: optisch belauscht wurden
Proben und Aufführungen der f-Moll-Messe in München und in St. Florian – ein
Dokument energischer, ja fanatischer Detailarbeit mit Momenten philologischer
und philosophischer Gelassenheit, ein Dokument aber auch, wie sich das Gearbeitete,
das Erkämpfte im Glück des Vollbringens mit den unterstellten Intentionen
des Komponisten zur unwiderlegbaren Wahrhaftigkeit des Singens und Spielens
versöhnt.
Bei dieser Gelegenheit getraue ich mich, auch eine japanische
DVD-Produktion zu erwähnen, die sich der engagierte Musikfreund unter erschwerten Bedingungen
besorgen muss, denn sie ist – bis jetzt? – im europäischen
Handel nicht greifbar. Es handelt sich um einen Konzertmitschnitt der „Neunten“ von
Bruckner unter der Leitung von Günter Wand. Unbegreiflicherweise kommt
dieser herbe, sachliche deutsche Mann im hohen Alter auf völlig anderen,
ungleich materielleren Wegen der musikalischen Exegese zu ähnlichen Endresultaten
wie Celibidache. Am Ende scheinen sich die Werke von selber zu spielen und
zu interpretieren – der Dirigent erweist sich als das, was ihm als „Interpreten“ zugedacht
ist, nämlich als Vermittler des Unabwendbaren. Von Celibidache und Wand
zu Justus Frantz beschreibt die imaginäre Kurve des gestalterischen Möchtens
und Gelingens eine gehörig absteigende Bewegung. Und dennoch müssen
wir uns im Klaren sein, dass dieser Windhund des merkantilen, aber auch musiksozialen
Geschäfts mit seiner jugendlich besetzten „Philharmonie der Nationen“ via
DVD mehr Publikum erreicht als Celibidache mit seiner Bruckner-Weisheit (vom
Tschaikowsky-Konzert samt Barenboim einmal abgesehen). Frantzens Musici spielen
forsch und hemdsärmelig; man glaubt ihnen jede Form der kleinformatigen
Begeisterung. Entsetzlich jedoch Frantz’ biedere, marktschreierische
Selbstgefälligkeit und peinlich nebenbei auch die redaktionelle Schlamperei
im Begleittext, vor der nicht einmal Komponisten- und Interpretennamen gefeit
sind.
Wenn von DVD die Rede ist, dann heißt es für den Kunden, genau hinzuschauen.
Nicht immer sind die Interpreten im Bild! So offeriert man bei Naxos Chopins
Klavierkonzerte in einer gefühligen, sehr redseligen Aufnahme mit Idil
Biret, wobei aber der visuelle Teil nur darin besteht, Landschaften und Architektur
der akustischen Botschaft hinzuzufügen. Mehr als einmal wird sich wohl
niemand eine solche Aufnahme ansehen, es sei denn, er verwendet das TV-Gerät
als bunte Lichtquelle.
Auf dem musiktheatralischen Sektor sind mir zwei Editionen aufgefallen,
die in ihrer Gegensätzlichkeit ein weites Spektrum der DVD-Möglichkeit
abdecken. Harnoncourts und Lohners Zürcher „Helena“-Aufführung
in all ihrer reich- und dickkostümierten Ernsthaftigkeit (etwa im Vergleich
zur schlüpfrigen Pariser „Chatelet“-Wiedergabe unter Minkowski!) – und
auf der anderen Seite die von Ustinov etwas wortkarg kommentierte Salzburger
Marionetten-Version von Mozarts „Figaro“. Bei Offenbach ein fast
schon verbohrter körperlicher Einsatz im Sinne antikisierend-aktualisierender
Ausgelassenheit, bei Mozart die Reduktion von Personen auf ihre sozusagen totgeweihte
Lebendigkeit an den zarten Fäden ihrer unsichtbaren Beseeler.
Bruckner: Sinfonie Nr. 9; Schubert: Sinfonie Nr. 8 „Unvollendete“;
NDR Sinfonieorchester Hamburg, Günter Wand
RCA 74321-86299-2 (2 DVD)
Sergiu Celibidache und Bruckners Messe in f-Moll (Film von Jan
Schmidt-Garré); Münchner Philharmoniker; Arthaus
(Naxos) 100250
Chopin: Klavierkonzerte Nr. 1 und 2 (A
Naxos Musical Journey); Idil Biret (Klavier); Slovak State Philharmonic
Orchestra, Stankovsky
Naxos DVDI 1020
Chopin: Polonaise-Fantaisie, Impromptus op. 29 und op. 51,
Nocturne op. 27,2 u.a.; Debussy: Images I, Arabeske Nr. 1, Tarantelle styrienne;
Stanislav Bunin (Klavier)
Am@deo DVD-Classics (Cascavelle) 60020
Justus Frantz presents „First Night of the Proms“ – Glinka,
Tschaikowsky, Brahms, Dvorak, J. Strauss, Dinicu u.a.; Joseph
Lendvai (Violine); Philharmonie der Nationen; Platinum-Classics
(Cascavelle)
70001
Martha Argerich and Friends – Mozart: Sonate D-Dur KV 381;
Rachmaninoff: Suite Nr. 2 op. 17; Ravel: La Valse; Schumann: Fantasiestücke
op. 73; Martha Argerich, Nicolas Economou, Nelson Freire (Klavier),
Mischa Maisky (Cello)
Am@deo DVD-Classics (Cascavelle) 60021
Offenbach: La Belle Hélène; Kasarova, van der Walt,
Chausson, O. Widmer u.a.; Chor und Orchester des Zürcher
Opernhauses, Nikolaus Harnoncourt
Arthaus (Naxos) 100086
Mozart: Le Nozze di Figaro; Salzburger Marionettentheater; Sir
Peter Ustinov (Präsentator); Taddei, Moffo, Schwarzkopf, Cossotto,
Wächter u.a.; Philharmonia Orchestra and Choir, Giulini
am@deo DVD-classics (Cascavelle) 2004
Ray Charles at the Montreux Jazz Festival
Am@deo DVD-Classics (Cascavelle) 60026