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nmz-archiv
nmz 2003/04 | Seite 30
52. Jahrgang | April
ver.die
Fachgruppe Musik
Solidaritätsadresse an den Broadway
Die Bundesfachgruppenkonferenz der Musiker in ver.di wählte
und tagte zur Tarifdiskussion
Das Schönste? Das war diesmal ein Beifall. Ein regelrechter
Sturm. Beifall, mit dem sich die Delegierten der Fachgruppe Darstellende
Kunst bei ihrer Bundesfachgruppenkonferenz am zweiten Märzwochenende
in Halle selber feierten, nach dem ein Antrag ohne Gegenstimmen
angenommen worden war: Beantragt wurde, auf die Quotierung bei
der Vorstandswahl zu verzichten. Zwei Jahre ver.di genügten
hier, eine durchaus heterogen zusammengefügte Truppe, deren
Mitglieder einander anfangs misstrauische beäugt hatten, in
ihren Zielen und in ihrer Arbeit zusammenzuschweißen. Was
so oft in Bezug auf die Herkunft als „Quellorganisationen“ beschönigend
sprachgeregelt ist, sieht im ver.di-Alltag mitunter heute noch
nach aufgequollenen Differenzen aus. Und das ist dann der berüchtigte
Mehltau, der alles lähmt. Nicht, wie gesagt, bei den Vertretern
der Bühnen. Unnötigerweise dann doch für eine ganze
Weile bei den Musikern, die schließlich jedoch in gewohnter
Weise zur Harmonie fanden.
Beide Fachgruppen trafen sich
zu ihren Bundeskonferenzen
in nebeneinander liegenden Sälen des Hallenser Maritim-Hotels. Am ersten
Nachmittag sogar in einem: Es ging darin um die Finanzen in den Kommunen nach
den Tarifabschlüssen im Öffentlichen
Dienst. Betroffen davon und von der Verunglimpfung der Gewerkschaft sind gleichermaßen
Theaterleute wie Musiker. Also hatte dieses „Tarifpolitische Forum“ zur
Neugestaltung eines einheitlichen Tarifrechts eine immense Bedeutung auf dieser
Bundeskonferenz. Kurt Martin vom ver.di-Bundesvorstand hielt den Arbeitgebern,
die die Gewerkschaften derzeit als „Plage“ verschreien, entgegen,
man wolle dies gerne sein, wenn denn „soziale Gerechtigkeit“ und „kollektive
Schutzrechte“ erfolgreich verteidigt würden.
Eile tut Not
Derzeit bündeln vier Arbeitsgruppen Tarifvorschläge,
um noch vor den Sommerferien verbindliche Verhandlungen zu beginnen.
Eile tut Not: Im Bereich der Bühnen ist kraft Anmaßung
der GDBA seit dem 1. Januar der so genannte „Normalvertrag
Bühne“ auf dem Tisch, der Angestellte an den Theatern
zum Spielball von Sparvorgaben macht. Und bei den Musikschulen
nimmt die Zahl der nach dem BAT angestellten und bezahlten Musikschullehrern
beständig ab. Gründe hierfür sind die desolaten
Finanzen der Kommunen. Andreas Hupke von den Kölner Bühnen
forderte Gegenwehr in Form einer „seelisch-moralischen Aufrüstung“ der
Beschäftigten und sprach damit auch den Musikern aus dem Herzen,
die in den Kommunen von den „Einschränkungen fakultativer
Ausgaben“ besonders betroffen sind. Denn als „fakultative
Ausgaben“ stehen fast überall in der Bundesrepublik
die Aufwendungen für Kultur zur Disposition.
Wie sehr, das machten die Ausführungen von Alexander Wegener
(Uni Potsdam) deutlich, noch vertieft durch eine von Heinrich Bleicher-Nagelsmann
(Abteilungsleiter der Kunstfachgruppen) moderierte Gesprächsrunde:
Eckhard Kussinger (stellvertretender Gewerkschaftsratsvorsitzer
in ver.di und Bundesvorsitzender der FG Musik) Frank Werneke (Fachbereichsleiter
und Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes), Gerald Merten (Geschäftsführer
der DOV) sowie Clemens Weise (FG Darstellende Kunst) entwarfen
Forderungen zur Finanzsicherung in der Kultur. Die sollte, so Werneke, überall
als Pflichtausgabe festgeschrieben werden, mindestens jedoch die
Umlandfinanzierung für Einrichtungen in den Städten.
Und die Kulturfinanzierung müsse Thema eines zu gründenden
Podiums mit allen Beteiligten sein. Mertens Vorschlag zielte in
eine ähnliche Richtung, wenn auch auf Voraussetzung dafür:
Ausgehend von den Theatern, müssten sich in den Kultureinrichtungen
die Belegschaften in ihren gemeinsamen Interessen zusammenschweißen.
Das Primat habe der Flächentarifvertrag. Mit Haustarifverträgen
könnten Engpässe überwunden werden. „Wir müssen
beweisen, dass wir es besser können“, sagte Werneke
im Blick auf ver.di als Verhandlungspartner. Es gelte, die GDBA überflüssig
zu machen.
Positive Bilanzen
Das Beste? Die Impulse, die die Delegierten beider Fachgruppen
aus dieser gemeinsamen Auftaktveranstaltung in ihre getrennten
Sitzungssäle mitnahmen. Ulrich Steiner (NRW) von den Musikern
formulierte dies sogar als „Auftrag, mehr mit den Theater
zusammenzuarbeiten“. Zielgerichtet gearbeitet wurde bei
der Fachgruppe Musik in der Zeit ohnehin – auch wenn es
sich um die Findungszeit in der neu gegründeten ver.di handelte.
Mit Dirk von Kügelgen hat die Fachgruppe seit bald einem
Jahr einen neuen Fachgruppenleiter, der in Halle als Nachfolger
von Thomas Schwarz mehr bestätigt als neu gewählt werden
musste. Die verschiedenen AG´s – Musikschulgesetz,
Europa, Sicherung qualifizierter Musikunterricht, Freie – zogen
positive Bilanzen. Und es blieb nach der effizient angearbeiteten
Tagesordnung sogar noch Zeit einen Vormittag lang über Sachthemen
zu diskutieren. Die wichtigste Diskussion drehte sich um Erfahrungen
mit der Ganztagsschule: Wird sie, die in einigen Bundesländern
bereits flächendeckend umgesetzt wird, das Bild des Musikschullehrers
durch ganz neue Aufgabenfelder wandeln? Welche Konflikte sind
durch die unterschiedliche Vergütung zwischen Musiklehrern
und Musikschullehrern zu erwarten und wie sind sie zu vermeiden?
Welche Probleme ergeben sich aus der Klassengröße,
aus dem Teamteaching, durch den Unterricht an sozialen Brennpunkten,
wo bildungspolitische und erzieherische Defizite zu kompensieren
sind? Probleme und Aspekte, die man scharf im Auge haben wird.
Dafür bürgt ein Fachgruppenvorstand, der überwiegend
aus Kolleginnen und Kollegen mit Vorstandserfahrungen besteht.
Einen kämpferischeren Eindruck als die Musiker hinterließen
die Theater-Delegierten. Das mag daran liegen, dass sie an den
Bühnen und deren Sparten in den letzten Jahren wie keine
andere Kultureinrichtung unter Druck stehen. Die Klagen über
das immer knappere Geld für die Kunst und die angeblich
ins uferlose steigenden Kosten für das technische Personal
verdecken demagogisch die Tatsache, dass der Personalabbau an
deutschen Bühnen zusammengenommen längst dem bei der
Deutschen Bahn gleich kommt. „Streckenstilllegungen“ in
der Kultur scheinen unausweichlich. Der „Runde Tisch“ beim
Bundespräsidenten mag das öffentliche Bewusstsein für
die Probleme geschärft haben, mehr als manifeste Meinungsunterschiede,
wie Bühnensterben in den nächsten Jahren zu verhindern
ist, scheint der Tisch bislang nicht gebracht zu haben.
Momentan trägt das Allheilmittel den Namen „Gemeindefinanzreform“,
aber wann das Mittel auf den Markt kommt und wie es wirkt, weiß derzeit
niemand. Frank Werneke meinte, bei ver.di sei man wohl auch zu
vertrauenswürdig gewesen in der Gewissheit, die Staatsquote
werde gesenkt. Peter Fenske aus Hamburg nannte als vorrangiges
Ziel erst einmal ein verbessertes Image von ver.di bei den Künstlern. „Wir
müssen weg vom Breitmaulimage“, womit wohl Differenzierung
und Attraktivität gemeint waren. Clemens Weise wunderte sich
in diesem Zusammenhang, dass im ver.di-Programm „Lebenswerte
Stadt“ Kultur nicht mal genannt sei.
Wernekes Vorstoß, die Künstler und Kunstfachgruppen
müssten sich in ver.di lautstark profilieren, kann nur zugestimmt
werden. Sonst stehen auch hierzulande von Computern ersetzte Musiker
vor den Theatertüren wie am New Yorker Broadway. Natürlich
wurde in Halle eine Solidaritätsadresse verabschiedet. Die
Probleme bei uns brauchen in den kommenden Jahren mehr als nur
Solidaritätsadressen!