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nmz-archiv
nmz 2003/7-8 | Seite 24
52. Jahrgang | Jul./Aug.
Arbeitskreis
Musik in der Jugend
Neues Forum für die zeitgenössische Chormusik
„Tage der Neuen Chormusik 2003“ erstmals in Aschaffenburg
Der Arbeitskreis Musik in der Jugend veranstaltet vom 30. Oktober
bis 2. November 2003 in Zusammenarbeit mit der Stadt Aschaffenburg
sowie dem Internationalen Chor Forum erstmals die „Tage der
Neuen Chormusik”.
Geplant ist, mit diesem Festival ein neuartiges Forum für
chorbegeisterte Sängerinnen und Sänger, aber vor allem
auch Chorleiterinnen und Chorleiter zu schaffen, die sich hier stärker
als bisher mit der A-cappella-Chormusik der Gegenwart auseinandersetzen
können.
Denn unverkennbar hat sich im 20. Jahrhundert eine ganz neue Ästhetik
des Chorsingens entwickelt, die auf den Festivals für zeitgenössische
Musik nur eine untergeordnete Rolle spielt. Kurt Suttner, der als
Vorsitzender eines künstlerischen Beirats dieses Festival für
den AMJ mitentwickelt hat, stellt sich vor, mit diesem Forum eine
Lücke zu füllen und auf dem Gebiet der Neuen Chormusik
zu einer Begegnung zwischen Basis und Spitze des Chorlebens beizutragen.
Leiter von Kinder-, Jugend-, Schul- und Erwachsenenchören,
die mit ihren Ensembles zeitgenössischen Chorwerken oft ratlos
gegenüberstehen, sollen auf Vertreter professioneller und semiprofessioneller
Gruppierungen treffen, deren verdienstvolle Aufführungen neuer
und neuester Kompositionen in der allgemeinen kulturellen Szene
oft nur am Rande wahrgenommen werden. Dieser Austausch von Basis
und Spitze soll zu einer Bereicherung der gesamten Chorszene führen.
In den Konzerten dieser Veranstaltung sind deshalb neben einem
professionellen Rundfunkchor auch semiprofessionelle und Laienchöre
vertreten. Das Eröffnungskonzert bestreitet eines der professionellen
Spezialensembles auf dem Gebiet zeitgenössischer Chormusik,
das SWR Vokalensemble Stuttgart. Unter der Leitung des in Stockholm
lebenden Dirigenten Gary Graden singt es Alfred Schnittkes „Zwölf
Bußverse”. Diesem ausgedehnten Chorwerk werden am 30.
Oktober in der Stiftskirche Aschaffenburg Responsorien des Renaissance-Komponisten
Carlo Gesualdo und zwei Chorstücke Wolfgang Rihms gegenübergestellt.
Der seit über 30 Jahren auf die Neue Chormusik spezialisierte
via-nova-chor aus München wird unter der Leitung von Kurt Suttner
mit Günter Bialas’ Genesis-Vertonung „Im Anfang“,
nach der Übersetzung Martin Bubers, eine wichtige Wegmarke
der Chormusik der 60er-Jahre am 31. Oktober in einem speziellen
Nachtkonzert präsentieren.
Mit dem Mädchenchor Hannover ist einer der derzeit besten
Chöre im Mädchen-/Frauenchorbereich dabei. Komponisten
wie der Este Arvo Pärt haben für diesen Chor erst kürzlich
Werke geschrieben. Ähnlich wie beim via-nova-chor München
übernimmt dieser Chor eine Vorreiterrolle, indem er immer wieder
Komponisten anregt, für ihn neue Werke zu schreiben. Gemeinsam
mit dem Konzertchor Darmstadt unter der Leitung von Wolfgang Seeliger
werden am 1. November in der Stadthalle Aschaffenburg unter anderem
neuere Werke von Arvo Pärt, Einojuhani Rauravaara und Hans
Schanderl, aber auch Chorwerke der klassischen Moderne wie Pendereckis
„Agnus Dei“, Brittens „Hymn to St. Cecilia“
und Schönbergs „Friede auf Erden“ aufgeführt.
Den Konzertabschluss der Tage der Neuen Chormusik bildet schließlich
eine Matinee am Sonntag, den 2. November. Hier wird der KammerChor
Saarbrücken unter der Leitung von Georg Grün als Auftragskomposition
ein neues Chorwerk des schwedischen Komponisten Thomas Jennefelt
uraufführen, ein Werk das seinen Impuls nimmt von Matthias
Claudius’ berühmtem Ausspruch: „Es ist Krieg, und
ich begehr’, nicht Schuld daran zu sein“.
Gepaart wird diese Uraufführung mit Bearbeitungen von Clytus
Gottwald nach Kompositionen von Gustav Mahler, Alban Berg, Maurice
Ravel und Claude Debussy. Clytus Gottwald, der Nestor der modernen
Chormusik nach 1945, wird auch das Eröffnungsreferat der Tage
der Neuen Chormusik halten, in dem er ausgehend vom Motto „Wurzel,
Stationen, Ausblicke der Neuen Chormusik“ einen historischen
Überblick der Entwicklung darstellen wird.
Verständnis für das Neue
Außerdem wird das seit sechs Jahren durchgeführte AMJ-Projekt
„Komponistinnen und Komponisten schreiben für Kinder-
und Jugendchöre” ein wichtiger Bestandteil der Veranstaltung
sein. Denn das Verständnis für neue musikalische Ausdrucksmöglichkeiten
entsteht nicht erst im Erwachsenenalter, sondern wird bereits beim
Singen im Kinderchor angebahnt. Erneut werden in diesem Rahmen fünf
Uraufführungen auf dem Programm stehen, die in enger Zusammenarbeit
zwischen Komponisten und Chören entstanden sind und die Literatur
in diesen Chorgattungen nachhaltig bereichern sollen. Dabei steht
die enge Partizipation der Kinder und Jugendlichen am Kompositionsprozess
im Vordergrund: Denn die Erfahrungen bisheriger Projekt-Durchgänge
haben gezeigt, dass immer wenn die Zusammenarbeit zwischen Komponist
und Chor besonders intensiv war, die geglücktesten Ergebnisse
vorgestellt werden konnten.
Die Konzeption der Tage der Neuen Chormusik sieht neben den Konzerten
aber auch pädagogische Veranstaltungen vor. In sogenannten
„Reading-Sessions“ wird durch erfahrene und kenntnisreiche
Chorleiter Literatur unterschiedlicher Schwierigkeit aus dem Bereich
der zeitgenössischen Chormusik vorgestellt. Berücksichtigt
werden dabei die Chorgattungen Frauenchor, Jugend- und Schulchor
sowie gemischter Chor. Eine eigene Veranstaltung widmet sich dem
zeitgenössischen Stilbereich Rock, Pop, Jazz und Crossover,
der insbesondere in den Jugend- und Schul-Chören gleichfalls
eine zunehmende Rolle spielt. Eine Notenausstellung, die Manfred
Bender vom Deutschen Zentrum für Chormusik konzipiert, soll
an Ort und Stelle eine zusätzliche Möglichkeit bieten,
das weite Feld der Neuen Chormusik kennen zu lernen. In diesem Sinne
ist auch ein Vortrag zum Thema „Neue Formen der Notation in
zeitgenössischer Chormusik“ vorgesehen. Als Ergebnis
eines studentischen Projektes der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf
wird Raimund Wippermann dieses wichtige Thema in Klang- und Notenbeispielen
erläutern und einen systematischen Überblick geben.
Vokale Avantgarde
Als besonderes Kursangebot gibt es schließlich parallel
zur Veranstaltung einen Interpretations- und Dirigierkurs, der von
Manfred Schreier, Professor an der Musikhochschule Trossingen, geleitet
wird. Interessierte
Dirigenten- beziehungsweise fortgeschrittene und praxiserfahrene
Dirigierstudenten sollen hier die Möglichkeit haben, sich mit
wichtigen Stationen der Entwicklung vokaler Avantgardemusik
der 50er- bis 70er- Jahre praktisch auseinanderzusetzen. Grund-lage
bilden hierbei Dieter Schnebels „Für Stimmen (…missa
est) dt 31,6“, Luigi Nonos „Sarà dolce tacere“,
Brian Ferneyhoughs „Time and Motion Study III“ und Helmut
Lachenmanns „Consolation II“.
Für die Probenarbeit und das Abschlusskonzert stehen Mitglieder
des Vokalensembles „Polyphonie T voca“ zur Verfügung.
Demgegenüber sollen aber auch gerade erst entstandene Partituren
junger Komponisten erarbeitet werden. Sie zeigen, was aktuell für
Stimmen komponiert wird und welche Fragen sich bei der Erarbeitung
dieser Werke für alle Beteiligten ergeben. Das Kursergebnis
wird dann in einem Abschlusskonzert präsentiert.