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nmz-archiv
nmz 2003/7-8 | Seite II
52. Jahrgang | Jul./Aug.
Beilage:
Bücher für den Sommer
Tenor ist die langsame Verbitterung
György Ligeti im Gespräch mit Eckhard Roelcke
György Ligeti/Eckhard Roelcke: „Träumen
Sie in Farbe?“ György Ligeti im Gespräch
mit Eckhard Roelcke, Zsolnay Verlag, Wien 2003, 237 S., € 19,90,
ISBN 3-552-05228-3
Eine Gesprächsbiografie, das liegt in der Natur der Sache,
liefert zwei Angriffspunkte: die Art der Fragen und die Antworten.
Leider wird man hier auf beiden Seiten fündig. Eckhard Roelcke
liefert im Grunde nur den Part des staunenden Fragers, der kaum
ein Gegengewicht zu den Positionen Ligetis herzustellen vermag.
Die Fragen sind dürftig und niveaulos, fast immer nach dem
Motto „Erzählen Sie doch über...“ gestrickt.
Als Mitdebattierer versagt Roelcke bis auf wenige Ausnahmen (wo
es über Architektur in New York oder Berlin geht). Der Stachel
der anderen Sicht, der anderen Gewichtung, der bohrenden Nachfrage
bei argumentativen Untiefen wird nicht gesetzt. Fast möchte
man ihnen das Attribut „folgsam“ beziehunsweise des
vorauseilenden Gehorsams eines Dackels an der Leine geben.
György Ligeti/Eckhard
Roelcke: „Träumen Sie in Farbe?“ György
Ligeti im Gespräch mit Eckhard Roelcke, Zsolnay Verlag,
Wien 2003, 237 S., € 19,90, ISBN 3-552-05228-3
Das Heft hat Ligeti in der Hand: „Do you have other questions?
Beenden wir die Debatte? ,Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.‘
Das steht immer am Ende der Interviews im ,Spiegel‘.“
So kappt er am Schluss des Buches fast unwillig das Gespräch.
Nichts geht mehr.
Das alles ist freilich im Falle von György Ligeti nicht gar
so schlimm. Denn man kann im Grunde jedes Wort sagen, also zum Beispiel
Kartoffel oder Viertaktmotor, und sofort springt Ligeti mit dem
Elan der Wissbegier und des „Eh-Schon-Wissens“ darauf
an, geht ins Weite, kommt auf Musik und Gesellschaft, auf fraktale
Landschaften oder logische Paradoxien. Wir kennen ihn als brillanten
Erörterer oder Erläuterer seiner oder anderer Musik, als
spitzfindigen Argumentierer, dem die Dialektik des fruchtbaren Streitgesprächs
in die Wiege gelegt ist. Das liest sich gut, locker vom Hocker gewissermaßen.
Aber was Ligeti da so erzählt, bleibt doch auf ziemlich traurige
Weise hinter dem Niveau zurück, das wir aus seinen früheren
Erörterungen oder vor allem aus seinen so perspektivisch innovativen
Kompositionen kennen. Sind wir im Zeitalter der Abrechner, wie es
Mode bei den in Ruhestand getretenen Profi-Fußballern ist?
Ligeti wirkt verbittert: Opfer des Faschismus, des Stalinismus,
der Darmstädter Avantgarde, der 68er.
Die studentische Auflehnung war blind, sie führte schließlich
zum Terrorismus, legt Ligeti dar. George W. Bush schickt einen Dankesgruß.
Ligeti vergisst dabei, dass dieses antiautoritäre Umfeld auch
bester Nährboden für sein kompositorisches Denken und
Arbeiten war.
Kaum einer der kompositorischen Kollegen kommt gut weg. „Wolfgang
Fortner zum Beispiel war homosexuell. Er hatte beim Schott-Verlag
eine wesentliche Stimme und hat dort den ebenfalls homosexuellen
Hans Werner Henze empfohlen, und Henze wurde bekannt. Das sage ich
ohne jede Bewertung.“, wertet Ligeti.
Hat er nichts zur Musik von Henze zu sagen, wo man unschwer und
auf bessere Art fündig – positiv wie negativ –
würde? Nono ist verbohrt und im Grunde nicht so wichtig, Stockhausen
ist eitler Egomane und und und... So etwas hilft nicht und das ist
das eigentlich Enttäuschende, ja Schlimme daran. Das Niveau
der Debatte unterschreitet das Niveau des Debattierten.
Ligeti hat sich mit diesem Buch keinen Dienst erwiesen. Den Spruch
„Si tacuisses...“ kennt er, wie er über so vieles
bescheid weiß. Beherzigt hat er ihn hier nicht.