Gerade eben hat Ninon dem Geliebten Gino von ihrer HIV-Infektion
erzählt. Sie weiß noch nicht, dass er kurz darauf dennoch
um ihre Hand anhalten wird, dass sie wenig später ein ausgelassenes
Hochzeitsfest feiern, und beklagt ihr Schicksal in einem bewegenden
Monolog („Alles ist mir genommen.“).
Die schmerzensweichen, vierteltönig gefärbten Linien
ihres Trauergesangs werden von den Instrumenten (vor der Bühne
und an beiden Seiten des Publikums) aufgegriffen und allmählich
zu einem sanft verschlungenen Geflecht zusammengeführt, das
der beklemmenden Intensität der Situation sensibel nachspürt.
In dieser neunten Szene treten die Stärken von Jörn
Arneckes auf Kampnagel uraufgeführter Kammeroper „Das
Fest im Meer“ beispielhaft zu Tage: Mit seiner stets feingliedrigen
und subtil ausgehörten Musik gelingt es dem jungen Komponisten,
den vielschichtigen Facetten des Sujets gerecht zu werden. Eine
reife Leistung; schließlich geht es um nichts weniger als
das direkte Nebeneinander von Liebe und Tod: immerhin die zwei zentralen
Themen des menschlichen Lebens (und damit auch der Operngeschichte).
Virtuos spielt Arnecke mit Allusionen an die Tradition von Debussys
Klangzauber bis Ligetis Mikropolyphonie, nutzt die Surround-Sitzordnung
der 17 Instrumentalisten für zart verästelte räumliche
Effekte und scheut sich auch nicht, sinnlich schön zu komponieren,
wenn es die dramatische Situation erfordert. Damit spricht er, ohne
je anbiedernd oder platt zu wirken, eine allgemein verständliche
Sprache.
Durch den großen Farbreichtum seiner dunkel grundierten
Ausdruckspalette – auf Geigen, Oboen und Trompeten verzichtet
er ganz –, aber auch durch die exzellent gelöste Überblendung
verschiedener Handlungsstränge (die der Erzählstruktur
der Vorlage entspricht) gelingt es ihm, den Spannungsbogen über
100 Minuten hinweg zu tragen.
Die Inszenierung lässt der Musik viel Raum: Heinrich Tröger
hat eine meerblaue, nur von zwei Wänden unterteilte Bühne
gebaut, an deren Hintergrund nach und nach ein großes Wellenbild
sichtbar wird. Und Regisseur Christoph von Bernuth sind die psychologischen
Profile der Figuren wichtiger als raumgreifende Handlungen; erst
am Ende, beim Hochzeitsfest, gibt’s richtige „Action“.
Wenn die Darsteller mitunter (noch) den vorsichtigen Blick zum
Dirigenten einem ganz freien Spiel vorzogen, so wurde das durch
die musikalische Leistung aufgewogen: Alle sechs Solisten meistern
ihre schweren Partien glänzend und setzen die vom Komponisten
angestrebte Textverständlichkeit vorbildlich um.
Hervorzuheben ist dabei die wieder einmal großartige Maite
Beaumont: Mit ihrem anrührenden Spiel, ihrem makellos geführten,
betörend warmen und nuancenreichen Mezzo bringt die Spanierin
den durchweg gebannt lauschenden Zuschauern Ninons zwischen überschwänglichem
Glück und tiefstem Leid changierenden Charakter in packender
Weise nahe.
Mit einer sehr aufmerksamen und klangschönen Darbietung haben
schließlich auch die von Cornelius Meister souverän durch
die vertrackte Partitur geführten Mitglieder der Philharmoniker
einen wesentlichen Anteil am großen Erfolg der Aufführung,
deren nachhaltige Wirkung nicht zuletzt am erst allmählich
von der emotionalen Dichte sich erholenden, dann aber umso größeren
Beifall des spürbar beeindruckten Publikums abzulesen war.
Und auch der Chef war begeistert: Noch auf der Premierenfeier versprach
der Intendant der Hamburgischen Staatsoper Langevoort, sich um einen
baldigen Nachfolgeauftrag für Arnecke zu bemühen.