Thema „Freie Szene“: Das 14. Pfingstsymposion im
Carl-Orff-Zentrum München
„Die Freie Musik-Szene“ war das Thema des von der
Künstlerin und Komponistin Ulrike Trüstedt zum 14. Mal
ausgerichteten Pfingstsymposions. Die auf zwei Tage verteilten Vorträge,
Lectures, Konzerte, Performances und Diskussionen in den Räumen
des Münchner Orff-Instituts widmeten sich Underground-, Independent-
und Off-Szenen. Mit welcher Freiheit Ulrike Trüstedt bei der
Konzeption des Symposions zu Werke gegangen war, zeigte sich an
den ästhetischen Positionen der vorgestellten Werke. In der
freien Szene ist für vieles Platz, nur nicht fürs Dogmatische.
Zoro Babel. Foto: Volker
Derlath
So stellte etwa der Biochemiker, Musikwissenschaftler und Komponist,
Jörg Schäffers, sein Konzept der Scientific Art vor. Seit
Jahren hat er sich darauf spezialisiert, Aminosäurefrequenzen,
Zelllinien des Fadenwurms, den Cantor’schen Mengenbegriff
oder sogar das Periodensystem zu „vertonen“ beziehungsweise
als Kompositionsmaterial zu verwenden. Sein musikalisch-chemischer
Katalog entbehrt nicht einer gewissen Skurrilität, doch die
Ergebnisse klingen frappierend, frisch und nicht schlechter –
nein besser – als mancher am schnellen Rechner ermittelte
Algorhythmus. In seiner Radikalität erinnert Schäffers
klingender Chemiekasten an Messiaen, der in den 50er-Jahren seine
Vogelstimmen-Modi der vorherrschenden Serialität vorzog.
Provokant die Performance von Thomas Glatz vom „Archiv für
Gebrauchs- und Benutztexte“ und Martin Krejci, „Institut
für Leistungsabfall und Kontemplation“. Live vor dem
Publikum „operierte“ Krejci eine fingerdicke Scheibe
„Presssack“ (ein grobe Wurst aus Schlachtabfällen)
mit Skalpell, Pinzette, Metallklammern, Tesaband und Thermometer.
Die dabei entstehenden Geräusche wurden verstärkt und
durch zusätzliche Computer-Musikeinspielungen ergänzt.
Glatz rezitierte dazu eine verquast anmutende Bildbeschreibung auf
dem Level eines Kunstgeschichte-Unterseminars.
Immer wieder wurde auch die Jazz-Szene gestreift, schließlich
stellt diese das Paradebeispiel für eine freie, so gut wie
nicht geförderte Musikszene dar. Zwei Konzerte improvisierter
Musik an diesen zwei Tagen hatten ihre „roots“ auch
im freien und jazzigen Spiel: Zoro Babel, Drumset, Christoph Reiserer,
Saxophone, Tobias Weber, E-Bass und elektrische Gitarre, sehen auf
der Bühne aus wie eine Jazzcombo: Aber das Trio ist mehr als
das. Babel-Reiserer-Weber sind keine Epigonen. Sie arbeiten zwar
mit bekanntem Material, doch sie formen es in Neues um, etwa in
großzügige Improvisationen, die wunderbar erdacht sind
und gleichzeitig so farbig, fragil und wandelbar wie ein Mobile.
Ganz anders improvisierte am darauf folgenden Abend Elmar H. Guantes
auf seinem Kontrabass. Er gab ein Konzert über ein Solokonzert
– ein Meta-Konzert für Kontrabass. Guantes thematisierte
hauptsächlich Nebensächliches: Zunächst erschien
er minutenlang nicht auf der Bühne – er müsse sich
noch die Hände waschen, hieß es. Dann sein Auftritt:
Guantes bepackt mit Instrument, Noten, Bogen, Notenständer,
Koffer, einer Flasche Wein, einer Flasche Wasser samt Gläsern.
Er karikierte in Gestus und Musik den modernen Virtuosen, schraubte
– als Running Gag – permanent am Stachel seines Basses
und sprach während des Konzerts Wirres zu sich und Publikum.
Eine valentineske Inszenierung – ganz nebenbei bekam man ein
schönes Basskonzert zu hören, mit Elementen aus Minimal
Music, Neuer Musik und Jazz.
Noch ein Solokonzert gab es: Vor Guantes trat Wilfried Krüger
mit einem virtuosen Soloprogramm für Horn auf. Auch wenn sein
Programm mit „Quatro pezzi“ von Giacinto Scelsi und
„Foliant 26“ von Martin Daske (das Stück mit der
dreidimensionalen Partitur) vor Aleatorik, Spielwitz und modernen
Spieltechniken nur so strotzte, Krüger steuerte zum Symposion
gekonnt die Klassiker der Moderne bei.
Rainer Nonnenmann, Musikwissenschaftler und Koordinator des Intitiativkreises
Freie Musik Köln, hatte mit einem Vortrag das Pfingsymposion
eröffnet: Er thematisierte die permanente und in Köln
derzeit krisenhafte Unterfinanzierung der Freien Szene (siehe nmz
6/03, S. 23) unter historischen, ästhetischen und kulturpolitischen
Aspekten. Einen derart hohen Organisationsgrad wie in Köln
besitzt die Münchner Freie Szene leider nicht. Das heißt,
dem Kulturreferat fehlt nach wie vor der Ansprechpartner für
die Freie Szene.
Im Gegensatz zu Köln hat München jedoch noch Geld zu
verteilen. Das immerhin muss Münchens umstrittener Kulturreferentin
Lydia Hartl zugute gehalten werden.