Das Wörthersee Classics Festival mit Werken von Webern, Berg,
Mahler, Wolf und Brahms
„Also in Pörtschach bist Du? Hätte man nur eine
Idee, wo das ist?“ Dies erwiderte Clara Schumann auf einen
Brief von Johannes Brahms, in dem er ihr über sein neu entdecktes
Feriendomizil am Wörthersee berichtete. Drei Sommer lebte er
hier, 1877, 1878 und 1879, und er lag im Gegensatz zu den vielen
Touristen, die heute die Landschaft und das Klima genießen,
nicht auf der faulen Haut. Es entstanden etwa die 2. Symphonie,
das Violinkonzert op. 77, die „Regenlied“-Sonate für
Geige und Klavier und vieles mehr.
Aus deutscher Perspektive ist das Wörthersee Classics Festival
in Klagenfurt heute gedanklich und geografisch mindestens so entlegen
wie damals Pörtschach für Clara Schumann. Allenfalls lenkt
diesen Sommer die 17. Bachmann-Preisverleihung – zum 30. Todestag
von Ingeborg Bachmann im Jahr 2003 – die Aufmerksamkeit des
bundesdeutschen Feuilletons für kurze Zeit auf Klagenfurt.
Zu allem Überfluss liegt die Kärntner Landeshauptstadt
in diesem Jahr auch noch im Schatten der nur etwas mehr als einer
Stunde entfernten Europäischen Kulturhauptstadt Graz.
Dennoch ist das junge Festival, das 2002 erstmals Premiere hatte,
Beachtung wert. Interessant bereits die Thematik: die kreist um
Alban Berg, Gustav Mahler, Johannes Brahms, Hugo Wolf und Anton
Webern. Die Kombination dieser Komponisten scheint nur auf den ersten,
oberflächlichen Blick nicht zwingend zu sein. Gemeinsam war
ihnen nicht nur, dass sie alle für die Epoche des Übergangs
von der Romantik in die Moderne stehen. Gemeinsam war ihnen auch,
dass sie für kürzere oder längere Zeit am Wörthersee
lebten. Die Vorgeschichte des Festivals ist schnell erzählt:
Zwischen 1975 und 1978 begab sich Anton Fuchs für die Kärntner
Kulturzeitschrift „Die Brücke“ in fünf Essays
auf die Spuren der genannten Komponisten. Etwas altväterlich,
aber liebevoll und anschaulich schildert er Biografisches aus dem
Leben dieser, mit Ausnahme von Brahms, österreichischen Musiker.
Weiter geht die Geschichte erst im Jahre 1990, als die Geigerin
Elena Denisova und ihr Mann, der Pianist und Dirigent Alexej Kornienko,
aus Russland nach Österreich auswandern, in Klagenfurt eine
neue künstlerische Heimat finden und dort gemeinsam mit Michael
Springer die Österreichische Gustav Mahler Vereinigung ins
Leben rufen. In den fünf Essays von Fuchs entdeckten Elena
Denisova, Alexej Kornienko und Michael Springer ihre Idee für
ein Festival. Mit einem Etat von etwa 400.000 Euro – davon
etwa 120.000 von Seiten des Landes Kärnten, 80.000 von der
Stadt Klagenfurt, der Rest wird durch Sponsoren und Kartenverkäufe
aufgebracht, holten die Initiatoren in diesem Jahr internationale
Stars, mehrere Orchester und einen Chor zu Gastspielen nach Klagenfurt.
Und das Publikum nahm ein anspruchsvolles Programm an fünf
Festivaltagen gern an. In den Konzertreihen großer Städte
wären derartige Programme nur von einem Kennerpublikum besucht.
Bedenkt man, welches Besucherpotenzial die vielen Urlauber darstellen,
die im Sommer das südliche Bundesland bevölkern, dann
darf man dem jungen Festival gute Zukunftschancen einräumen.
Gilbert Kaplan, selbst ernannter Mahler-Spezialist, machte mit
seinem aus Salzburg hinlänglich bekannten Dirigat der Symphonie
Nr. 2 „Auferstehung“ den Festivalauftakt. Manuela Bress
als Mezzo und Michaela Kaune als Sopran waren dazu als eingeführte
und erfolgreiche Mahler-Interpretinnen eingeladen worden.
Das Moskauer Philharmonische Orchester bestritt nicht nur den Gustav-Mahler-Tag,
sondern auch den darauf folgenden Alban-Berg-Tag, dieses Mal unter
Peter Keuschnig. Die einzige Uraufführung, die Auftragskomposition
„Kleine Fantasie für großes Orchester“ von
Nikolaus Fheodoroff, interpretierte das Orchester mit eben solchem
Feuer wie die „Romeo und Julia“- Suite von Sergej Prokofieff.
Alban Bergs Violinsonate einmal mit russischen Temperament aufgefasst
zu erleben, ließ einen Manches neu hören.
Das energisches Tempo, das Keuschnig anschlug, gestattete kein
längeres Auskosten des Berg’schen Lamento, ließ
der Solistin Denisova aber dennoch genug Raum zu klanglicher Entfaltung.
Ein ungewohntes Erlebnis, das hochemotionale Werk in der Atmosphäre
der Landschaft zu erleben, in der es 1935 entstanden war.
Den Stars war das Wochenende vorbehalten: Koloratursopran Ildikó
Raimondi und ihr Begleiter Charles Spencer bestritten einen fulminanten
Hugo Wolf Liederabend, Sabine Meyer und Mischa Maisky einen, zunächst
verhalten beginnenden, sich dann aber großartig steigernden
Johannes Brahms-Abend.
Nach der Einstimmung durch das Anima Quartett in die Hugo Wolf
Matinee am Sonntag mit einer lebendigen Aufführung seiner „Italienischen
Serenade“ entpuppten sich unerwarteterweise eine Stradivari
und eine Gurnaeri del Gesu als die eigentlichen Stars des Vormittags.
Ein Sponsor, der international tätige Geigenrestaurator Dietmar
Machold, nutzte die Gelegenheit, um dem Publikum seine Arbeit näher
zubringen. Die Demonstration seiner Instrumente durch Elena Denisova
und Atle Sponberg entwickelte sich zu einem spannenden Exkurs in
die Welt alter und neuer beziehungsweise neu renovierter Violinen.
Was zunächst nach ungehörigem „Eindringen“
des Sponsors in die Domäne der Kunst aussah, wurde durch den
Kenntnisreichtum des Vortrags von Machold zu neuer Qualität.
Ein kommentiertes Konzert, das eben nicht das Werk, sondern das
Instrument im Fokus hatte – warum nicht?