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nmz-archiv
nmz 2003/7-8 | Seite 15
52. Jahrgang | Jul./Aug.
Deutscher Kulturrat
So viel Konsens war noch nie
Zur Bundestagsdebatte „Deutsch als dritte Arbeitssprache
auf europäischer Ebene“
“Wir wollen, dass der Deutsche Bundestag diese Forderungen
des Deutschen Kulturrats möglichst einmütig unterstützt”,
dieser Wunsch von Dr. Peter Gauweiler in seiner Rede am 22. Mai
2003 vor dem Deutschen Bundestag zum Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
„Deutsch als dritte Arbeitssprache auf europäischer Ebene”
wird voraussichtlich Realität werden.
Der Kulturpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Eckhardt
Bartel sagte in der selben Aussprache: „Die bisherige Debatte
könnte man mit dem Satz überschreiben: So viel Konsens
war nie. ... Da die Zustimmung hier so groß ist, kann ich
sagen: Wenn wir unser Ziel beibehalten, werden sich sowohl Kultur-
als auch Europapolitiker auf einen gemeinsamen Antrag zu diesem
wichtigen Thema einigen. Die bisherigen Erfahrungen sprechen dafür;
also habe ich diesbezüglich keine Sorgen.“
Der Deutsche Kulturrat begrüßt diese parteiübergreifende
Einigkeit ausdrücklich. Wir haben vor der Bundestagsdebatte
mit Nachdruck daraufhin hingewiesen, dass die deutsche Sprache allein
auf Grund der Zahl der Sprecher zu den „großen“
Sprachen der Europäischen Union gehört. Nach Auffassung
des Deutschen Kulturrates müsse sich die Bedeutung der deutschen
Sprache in der Europäischen Union auch darin widerspiegeln,
dass sie tatsächlich als Arbeitssprache fest verankert wird.
Der Deutsche Kulturrat verlangt von der Europäischen Kommission,
dass künftig alle EU-Dokumente unmittelbar auch auf Deutsch
vorgelegt werden.
Während der Bundestagsdebatte am 22. Mai wurde Untersuchungen
über die Sprachenpolitik der Europäischen Union zitiert,
die zu dem Ergebnis kommen, dass Beamte der EU-Kommission mit EU-Organen
zu 69 Prozent auf Französisch, zu 30 Prozent auf Englisch und
zu einem Prozent auf Deutsch kommunizieren.
Beamte der EU-Kommission kommunizieren mit EU-Staaten zu 54 Prozent
auf Französisch, zu 42 Prozent auf Englisch und zu drei Prozent
auf Deutsch. Beamte der EU-Kommission kommunizieren mit Nicht-EU-Staaten
zu 30 Prozent auf Französisch, zu 69 Prozent auf Englisch und
zu einem Prozent auf Deutsch. Wirtschaftsrelevante Daten der EU-Außenkommunikation
werden fast ausschließlich in Englisch und Französisch
veröffentlicht. Die EU-Wirtschaftsdatenbanken arbeiten vorwiegend
in Englisch und Französisch.
Die 240.000 EU-Ausschreibungen jährlich werden fast ausschließlich
in Englisch und/oder Französisch veröffentlicht. Es ist
für den Deutschen Kulturrat inakzeptabel, dass nicht alle E-Dokumente
auch unmittelbar in der Sprache veröffentlicht werden, die
in der Europäischen Union mit am meisten gesprochen wird. Es
ist wettbewerbsverzerrend, dass wichtige europäische Ausschreibungen
erst mit großer Verzögerung, oftmals sogar zu spät
oder gar nicht, in deutscher Sprache veröffentlicht werden.
Es ist kaum zu verstehen, dass Konferenzen und Tagungen der Europäischen
Kommission zwar ins Englische und Französische, nicht aber
ins Deutsche gedolmetscht werden. Und es ist peinlich, dass deutsche
Staatsvertreter in Brüssel selbst oft auch dann nicht in ihrer
Muttersprache sprechen, wenn Franzosen, Italiener oder Vertreter
anderer EU-Mitgliedsstaaten von diesem selbstverständlichen
Recht Gebrauch machen. Die Kulturpolitische Sprecherin der Grünen,
Antje Vollmer, hat in ihrer Rede vor dem Deutschen Bundestag ein
Beispiel dieser wie sie es sagte „persönlichen Eitelkeiten“
genannt.
Für die Bundesregierung sprach Staatsminister Hans Martin
Bury. Das Ziel der Bundesregierung, so Staatsminister Bury, „ist
ein EU-Sprachenregime in der erweiterten Union, das die Stellung
der deutschen Sprache festigt und zugleich die Effizienz, Transparenz
und Legitimität der Institutionen stärkt sowie die Sprachenvielfalt
und den kulturellen Reichtum fördert. Europa hatte nie das
Ziel, Schmelztiegel zu sein oder zu werden. Europas Stärke
ist und bleibt seine Vielfalt.“ Das von der Bundesregierung
ins Auge gefasste so genannte „Marktmodell“ wird vom
Deutschen Kulturrat als erster Schritt in die richtige Richtung
begrüßt. Nach diesem Modell kann jedes Mitgliedsland
der EU auf eigene Kosten Dolmetschung verlangen.
Die Bundesregierung hat bereits vor der Bundestagsdebatte angekündigt,
dass sie im Falle der Durchsetzung des „Marktmodells“
in jedem Fall aktive und passive Deutschdolmetschung gewährleisten
wird. Diese Maßnahmen umfassen aber nur die zwischenstaatliche
Ebene. Es bedeutet nicht, dass künftig alle EU-Dokumente unmittelbar
auch auf Deutsch vorgelegt werden, es bedeutet nicht, dass die Arbeitspapiere
der europäischen Institutionen auch auf Deutsch existieren
und es bedeutet nicht, dass das gesamte europäische Informations-
und Dialogangebot auch in deutscher Sprache erfolgt.
Im Entwurf für die Europäische Verfassung wird bekräftigt,
dass die Europäische Union den Reichtum der kulturellen Vielfalt
einschließlich der Sprachen ihrer Mitgliedstaaten achten wird.
Diese Grundaussage der zukünftigen Europäischen Verfassung
darf nicht durch vermeintlich pragmatische Entscheidungen zunichte
gemacht werden.
Das vielfach vorgebrachte Argument, dass, wenn neben Englisch
und Französisch auch Deutsch zur Arbeitssprache der EU wird,
auch die Polen, die Italiener und die Spanier dasselbe Recht verlangen,
ist richtig. Warum auch nicht? Wer die kulturelle Vielfalt in Europa
wirklich will, muss diese Vielfalt gerade bei den Sprachen, einem
Kernelement der Kultur, zulassen. Wer die aktiven Arbeitssprachen
der Europäischen Union auf nur zwei, oder sogar nur eine Sprache
einengen will, ruiniert die kulturelle Vielfalt in Europa.