Ein kleines „Jugend musiziert“-Märchen ·
Erzählt von Barbara Haack
Es war einmal zu Pfingsten 2005 beim Bundeswettbewerb „Jugend
musiziert“. Als langjähriger Fan des Wettbewerbs verbrachte
ich auch in diesem Jahr einige Pfingsttage damit, Wertungen und
Konzerte zu erleben und daneben die einzigartige Atmosphäre
aus Freude und Anspannung, Erwartungshaltung und Konzentration,
Ernsthaftigkeit und Spaß zu schnuppern, die von den teilnehmenden
Jugendlichen stets ausgeht.
Das Wettbewerbsprogramm versprach einiges, die Auswahl fiel schwer.
Ich wandte mich erst einmal in die städtische Konzerthalle,
wo die Wertung der „Besonderen Besetzungen“ stattfand.
Neben mich setzte sich in letzter Minute ein junger Mann von etwa
17 Jahren. Die Türen gingen zu, das Ensemble trat auf die Bühne.
Der junge Mann erstarrte und fragte mich entsetzt, ob denn hier
jetzt nicht die „Four Clogs“ auftreten sollten. Nein,
antwortete ich, wahrscheinlich meine er die Wertung „Besondere
Besetzungen Rock- und Popmusik“, die meines Wissens im Saal
nebenan durchgeführt werde. Hier gehe es um klassische und
romantische Ensemblemusik. Der junge Mann suchte nach einem Fluchtweg,
aber da wir in der Mitte der Stuhlreihe saßen, der Saal gut
gefüllt war und die Musiker auf der Bühne soeben das Stimmen
beendet hatten, hatte er keine Chance. 20 Minuten lang musste er
sich nun das Beethoven-Septett in Es-Dur anhören. Ich verteilte
meine Konzentration gleichmäßig auf die Musik und meinen
Sitznachbarn. Offenbar hatte er sich mit seinem Schicksal abgefunden
und brachte dem Geschehen auf der Bühne ein wenig Interesse
entgegen. Sein Gesichtsausdruck wechselte von Langeweile zu Verblüffung
bis zu echter Spannung. Am Schluss sagte er zu mir: „Das ist
ja richtig geile Musik“ und blieb sitzen, um sich nun auch
noch das Klarinetten-Quintett von Brahms anzuhören.
Danach war Wertungspause, und wir begaben uns gemeinsam in den
Nachbarsaal. Hier verlor ich meinen neuen Bekannten schnell aus
den Augen. Der Saal war brechend voll, erstaunlich viele junge Menschen
mit Geigen-, Cello- und Posaunenkästen saßen im Zuschauersaal.
Auf der Bühne eine Schall- und Lichtanlage, eine vierköpfige
Rockband spielte soeben ihr Wertungsprogramm. Der Frontsänger
wandte sich mit seinem Mikrofon an das Publikum, begrüßte
es und lud zum Mitsingen ein. Die jungen Zuschauer, die sich vielleicht
soeben selbst der Jury in einer Solo- oder Ensemblewertung präsentiert
hatten, applaudierten begeistert. Bei der nächsten Gruppe fiel
der Applaus deutlichgeringer aus: die Zuschauer wussten die Leistungsunterschiede
durchaus zu würdigen.
Irgendwann wurde es mir zu laut, und ich verließ den Saal.
Jetzt machte ich eine kleine Pause und wollte mir die Stadt ansehen.
Am Marktplatz stieß ich auf eine Bühne, die mit dem mir
wohlbekannten Logo gekennzeichnet war: Die Jugend musizierte auch
hier. Gerade spielte eine Jazzband, die – so ging es aus dem
herum liegenden Programmzettel hervor – im letzten Jahr einen
ersten Bundespreis gewonnen hatte. Dann wurde ich aufmerksam: der
Zettel verhieß als nächsten Programmpunkt den „Cello-Clown“
– speziell für Kinder. Und tatsächlich hatten sich
schon diverse Eltern mit ihren Kindern auf den Bänken vor der
Bühne niedergelassen. Auftritt des Clowns, nicht älter
als 20 Jahre; es handelte sich um eine junge Cellistin. Sie fragte
die Kinder, ob sie ein Cello kennen, erklärte ihnen, dass das
Instrument ihr Clowns-Werkzeug sei und begann zu spielen. Dabei
passierten ihr allerlei Missgeschicke, die sie den Kindern auf clowneske
Art erklärte. Am Schluss spielte sie den „Sterbenden
Schwan“, die Kinder gaben keinen Laut von sich. „Das
möchte ich auch lernen“, erklärte eine 7-Jährige
anschließend ihrem Vater, der noch nicht wusste, was da auf
ihn zukommt. Auch die Cellistin war vor zwei Jahren Preisträgerin
– in der Wertung „Musikvermittlung“. Das machte
mich neugierig, und ich ging in den Rathaussaal, der in diesem Jahr
für diese Wertung bereit stand.
Hier, so erklärte der Jury-Vorsitzende den Zuhörern,
ginge es darum, ein musikalisches Programm auf originelle oder ansprechende
Art und Weise dem Publikum zu vermitteln, sei es durch eine gelungene
Moderation, durch Einsatz von weiteren Medien, durch schauspielerische
Einlagen oder anderes. Ich war begeistert und blieb bis zum Wertungsende
sitzen, weil die Darbietungen an Originalität und Abwechslung
nichts zu wünschen übrig ließen.
Am Abend saß ich im Preisträgerkonzert, das ich mir
nach den Erfahrungen der letzten Jahre auf keinen Fall entgehen
lassen wollte. Die große Bühne bot Raum für den
Aufbau zweier Rockbands, ein klassisches Schlagzeugensemble und
zwei Flügel. Während des Konzerts zeigte sich, dass daneben
noch genug Platz war für eine Musical-Tanz-Darbietung und für
den Vortrag des ersten Bundespreisträgers in der Wertung „Musikvermittlung“,
der sich ein eigenes kleines Bühnenbild mitgebracht hatte.
Das Konzert dauerte – zugegeben – ein wenig zu lang.
Aber ehrlich gesagt: Ich hatte es nicht wahrgenommen, zu gefangen
war ich von der Unterschiedlichkeit der Darbietungen und von der
künstlerischen Qualität, die wie immer zuverlässig
alle Beiträge auszeichnete. Das Publikum raste – und
es ließ sich nicht mehr erkennen, wer von den Jugendlichen
im Zuschauerraum an welcher Wertung teilgenommen hatte.
Ein kleines „Jugend musiziert“-Märchen –
mit einigen heute schon realen Bestandteilen. Der Wettbewerb musste
immer wieder den Spagat vollziehen zwischen der Notwendigkeit, die
Marke „Jugend musiziert“ nicht zu verwässern, und
der nötigen Offenheit für neue Entwicklungen. Dieser Spagat
ist häufig gelungen. Nicht nur das: Oft gingen von hier Impulse
aus, die entscheidende Entwicklungen mit gestalteten. In diesem
Sinne könnte das Märchen so (oder ganz anders?) schon
bald Wirklichkeit werden.